Wende zum seriellen Bauen: Nicht nur preiswert

Die Deutschen bauen gern verdient, aber massiv. Doch die Ampel will nun die Wende zum seriellen Bauen einleiten – aus guten Gründen.

Architekturmodell eines Hauses der Siedlung Dessau-Törten

Modulbauweise: Modell der Bauhaus-Mustersiedlung Dessau-Törten, Reihenhaus Typ Sie Tö I Foto: akg images

Der Regierungswechsel in Deutschland wird sich in den nächsten Jahren nachhaltig auf die Wohnungslandschaft auswirken – das zeichnet sich jetzt bereits ab. Dreißig Jahre nach Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit setzte sich unter den rot-grün-gelben Koalitionären die Einsicht durch, dass sich die sozialen Engpässe auf dem Wohnungsmarkt verschärften und endlich eine „dauerhafte Sozialbindung bezahlbaren Wohnraums“ her muss. Das im Koalitionsvertrag geforderte Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz kommt deswegen einer Kehrtwende gleich.

Zugleich macht der Vertrag einen wichtigen klimapolitischen Schritt in Richtung auf ein Emissionseinspargesetz: Endlich werden nicht allein die Schadstoffemissionen herangezogen, die bei der Nutzungsphase von Wohnungen entstehen, sondern bei der gesamten Bauphase, die beim Abbau von Kalkstein zur Zementproduktion beginnt. Architekten sprechen dabei von grauer Energie, die nun im „digitalen Gebäuderessourcenpass“ berücksichtigt wird.

Diese Maßnahmen könnten endlich dazu führen, nicht allein mit weniger Material zu bauen und so schnell wie möglich auf fossile Energieträger zu verzichten, sondern noch grundsätzlicher: die gebaute Welt aus anderen Baustoffen zu errichten.

Klaus Englert ist Autor des Buches „Wie wir wohnen werden“. Kürzlich erschien die zweite Auflage im Reclam-Verlag.

Schließlich berücksichtigt das Koalitionspapier einen dritten Faktor, der die sozialen und klimapolitischen Aspekte zusammenführt: Die Förderung seriellen Bauens wird die Bauphase abkürzen und die Kosten insgesamt senken. Das mag in Kürze ziemlich viel Architektenlatein sein. Aber es lohnt die Mühe, sich die Wende hin zum seriellen Bauen einmal genauer anzuschauen.

Die Verfasser des baupolitischen Programms haben sicher nicht die zweifelhaften Segnungen des DDR-Plattenbaus vor Augen, obwohl auch die kommunistischen Funktionäre daran dachten, mit westlicher Bautechnologie den Lebens­standard der Bevölkerung zu steigern. Wenn es im Koalitionspapier heißt, es sollen 400.000 zum Teil öffentlich geförderte Wohnungen gebaut werden, dann spielt hierbei der Kostenfaktor selbstverständlich eine große Rolle.

Baubedarf in großen Städten

Das Kölner Institut für deutsche Wirtschaft hat allerdings kürzlich errechnet, dass sich der Fehlbedarf vornehmlich auf die größeren Städte bezieht, während viele Gemeinden im Saarland oder in Sachsen-Anhalt mehr als nötig bauen. Von den 308.000 Wohnungen, die laut Kölner Institut bundesweit entstehen sollen, gibt es allein in Berlin einen Bedarf von 22.200. Ansonsten, so die Immobi­lien­ex­per­ten, solle man sich vor weiter drohendem Verfall und Leerstand hüten und besser auf Altbausanierung setzen.

Als sich die Architekten des Neuen Bauens in der Weimarer Republik für den Einsatz moderner Bautechnologien entschieden, verbanden sie damit ein Plädoyer für schnelleres und preiswerteres Bauen, das breiten Schichten zugutekommen sollte. Dabei dachten sie keineswegs an Qualitätsminderung, denn selbst die gleichförmigen, tristen Plattenbausiedlungen, die in den 1970er Jahren in Berlin-Marzahn errichtet worden waren, galten seinerzeit aufgrund ihres gehobenen Standards als äußerst begehrt.

Entscheidend war, dass das legendäre Dessauer Bauhaus, das gemeinhin als international gefeierte Kunstschule galt, seinen Ruf nur erlangen konnte, weil die anhaltinische Hauptstadt den Bauhausdirektor Walter Gropius darauf verpflichtete, die Wohnungsnot der Gemeinde zu lindern. Tatsächlich ließ Gropius daraufhin eine Wohnsiedlung in Dessau-Törten errichten – eine Siedlung aus 314 Reihenhäusern mit einer jeweiligen Grundfläche von 57 bis 75 Quadratmetern.

Industrialisierung des Hausbaus

Die Wahl fiel nicht zufällig auf den Bauhaus-Gründer, denn der hat sich schon Jahre zuvor in Fachartikeln und Vorträgen, in denen er sich vehement für den „Bau von Montagehäusern“ und die „Industrialisierung des Hausbaus“ eingesetzt hatte, zum „Ford des Wohnungsbaus“ erkoren.

Die Kommune erwartete von dem Modellversuch Dessau-Törten, dass die Industrialisierung des Bauens die wirtschaftliche Not lindern werde. Gropius versprach denn auch, dass indus­trielle Vorfertigung, die Verwendung von Betonfertigteilen, vereinfachte Planungs- und Errichtungsprozesse die Baukosten deutlich drücken werden.

Tatsächlich war die Dessauer Siedlung nach nur zweijähriger Bauzeit bereits fertiggestellt. Ermöglicht wurde sie durch das Reichsheimstättengesetz, das in Zeiten der Not breiten Bevölkerungsschichten bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellte. Als Reaktion auf den Wohnungsmangel startete man beispielsweise auch in Düsseldorf mehrere Wohnungsbauprogramme, mit denen gezielt sozial schwache Familien gefördert wurden. Mit dem Programm „Bauen für das Existenzminimum“ ließ die Stadt – zwischen 1926 und 1932 – 17.000 neue Wohnungen für 60.000 Menschen errichten.

Die zweckmäßige Kleinwohnung

Allerdings gab es in der Pioniersiedlung Dessau-Törten offensichtlich nicht erwartete Anfangsprobleme, die dazu führten, dass die Fertigungskosten deutlich zunahmen. Eine Dessauer Lokalzeitung berichtete genüsslich vom Unmut der Bewohner und sah bereits „die erste große Niederlage des Bauhauses und seines Leiters“. Aber Gropius ließ sich von der „Niederlage“ keineswegs davon abhalten, im folgenden Jahr die Mustersiedlung Karlsruhe-Dammerstock zu errichten, die im Sommer 1929 im Rahmen der Bau- und Wohnungsausstellung „Die Gebrauchtwohnung“ der Öffentlichkeit gezeigt wurde.

Das von drei gemeinnützigen Baugesellschaften getragene Siedlungsprojekt, das ursprünglich 750 Wohneinheiten vorsah, verdeutlichte der Bevölkerung, wie moderner Wohnungsbau durch standardisierte Bauelemente – etwa für Badezimmer und Kleinstküchen – nicht nur preiswert, sondern auch hygienisch und funktionsfähig sein kann. Ausgangspunkt war die zweckmäßige, allen Ansprüchen genügende Kleinwohnung.

1929 war das Jahr der wohnungspolitischen Offensive des Bauhauses. Als im Oktober die 228 Wohnungen (mit 23 unterschiedlichen Wohnungstypen) des ersten Bauabschnitts übergeben worden waren, eröffnete im Frankfurter Palmengarten der 2. CIAM-Kongress für Neues Bauen (Congrès International d’Architecture Moderne). Eine Ausstellung im Werkbund-Haus versinn­bildlichte die CIAM-Losung „Haus für das Existenzminimum“ mit Entwürfen für Kleinstwohnungen.

Die internationale Avantgarde

Der Kongress verdeutlichte, dass die Bauhaus-Ideen zum Wohnungsbau seit der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre im Austausch mit der internationalen Avantgarde entstanden. Das zeigte sich bereits zuvor, als Ludwig Mies van der Rohe anlässlich der Werkbund-Ausstellung „Die Wohnung“ die internationale Avantgarde nach Stuttgart-Weißenhof einlud. Gekommen waren der Westschweizer Le Corbusier, der Niederländer Jacobus Johannes Pieter Oud, der Belgier Victor Bourgeois und der Österreicher Josef Frank. Doch ausgerechnet Gropius’ junger Kollege Konrad Wachsmann erregte 1929 Aufsehen, als er für Albert Einstein ein wegweisendes, industriell vorgefertigtes Sommerhaus aus Holz in Caputh errichtete, unmittelbar am Templiner See.

Das Holzgerippe des Hauses wurde in den Industriehallen eines Holzbauunternehmens in der Oberlausitz errichtet, dann wieder zerlegt und an die Baustelle verschickt. Für Rohbau und Fassadenverkleidung benötigten die Arbeiter lediglich zwei Wochen, zwei weitere für den Innenausbau. Wenig später konnten Elsa und Albert Einstein bereits in das geliebte „Paradies“ (Albert Einstein) einziehen.

Jahre später, nachdem Wachsmann mit Einsteins Hilfe in die Vereinigten Staaten emigrierte, entwickelte er zusammen mit Gropius das „packaged house system“, ein Fertighaussystem in Holzbauweise, das in weniger als neun Stunden von fünf ungelernten Arbeitern aufgestellt werden konnte. Die vorfabrizierten Fertigbauelemente konnten sogar zum Bau von beliebigen Ein- und Zweifamilienhäusern verwendet werden.

Alternative zum Massivbau

Obwohl das Modulsystem bei den Amerikanern nicht ankam, machte es Wachsmann international bekannt. Ihm ist es zu verdanken, dass serielles Bauen nicht nur preiswert und schnell, sondern auch nachhaltig ist. Richtig eingesetzt, ist die Methode eine sinnvolle Alternative zum Massivhaus, dem die Deutschen bis heute in Nibelungentreue verbunden sind.

Und was lässt sich heute vom seriellen Bauen erwarten? Die Berliner Architekten Sauerbruch & Hutton halten Wachsmanns Erbe lebendig und beweisen, welches Potenzial in ihm steckt. 2017 errichteten sie in Hamburg-Wilhelmsburg das Studentenwohnheim „Woodie“. 371 Wohneinheiten wurden in Wachsmanns Manier in Holz-Modulbauweise in nur neun Monaten fertiggestellt.

Wer beim Anblick des Hauses an stapelbare Massivholz-Container denkt, liegt nicht ganz falsch. Natürlich ist die rationale Fassadenstruktur nicht sonderlich anheimelnd. Und dennoch: Das aus Lärche errichtete Wohnheim erreicht fast die gleiche Wärme wie Einsteins Paradies aus Kiefernholz.

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