crime scene
: Ein amerikanischer Polizist in Irland

Cal war einst Cop in Chicago. Doch Zweifel an seinem Job und das Ende seiner Ehe haben ihn dazu getrieben, sein bisheriges Leben aufzugeben und nach Irland zu ziehen. Für wenig Geld hat er ein heruntergekommenes kleines Haus auf dem Land gekauft, das er allmählich aufmöbelt. Das soll sein neuer Lebenszweck sein. Mit seinem nächsten Nachbarn versteht er sich gut, und auch sonst wird der Fremde von der nahen Dorfgemeinschaft freundlich aufgenommen.

Alles scheint in bester Ordnung. Doch irgendwann beginnt Cal sich beobachtet zu fühlen und macht bald darauf die Bekanntschaft eines Kindes, das eine beunruhigende Geschichte zu erzählen hat: Sein ältester Bruder sei verschwunden, einfach so, und niemand glaube ihm, dass das nicht freiwillig geschehen sei. Und tatsächlich stößt Cal, der sich widerwillig bereit erklärt zu recherchieren, alsbald auf Ungereimtheiten und beginnt zu durchschauen, dass die vermeintliche Dorfidylle zumindest teilweise nur Fassade ist.

Die Schriftstellerin Tana French ist eine Meisterin darin, schreibend eine Atmosphäre aufzubauen – eine für eine Krimiautorin gar nicht hoch genug zu schätzende Fähigkeit –, in der man die Luft vor lauter Geheimnissen nur so flimmern sieht. Deshalb sind ihre Romane dicker als andere, denn das braucht Zeit. Und es besteht durchaus die Gefahr, dass diese Fähigkeit zum Selbstzweck wird.

Es gibt French-Romane, die vor Atmosphäre fast bersten, dahinter aber mit einem allzu bemüht konstruierten Plot aufwarten. Dieser Roman gehört nicht dazu. In „Der Sucher“ ist die latent bedrohliche Stimmung, ganz wie es sein muss, Teil des Plots, und die Outsider-Geschichte, die French zu erzählen hat, geht organisch in der Krimihandlung auf. Nur seine Position als Außenseiter in der Dorfgemeinschaft versetzt Cal überhaupt in die Lage, die Rolle des klandestinen Ermittlers einzunehmen. Denn alle alteingesessenen Mitglieder der ländlichen Community sind viel zu sehr Teil des gewachsenen und verknöcherten Sozialgefüges, als dass irgendjemand das Verschwinden eines junges Mannes, dessen Familie im Ort eh als asozial gilt, hinterfragen würde.

Doch Cal gewinnt, mit je mehr Leuten er über den Vermissten spricht, ein wesentlich differenzierteres Bild von dessen Person und den Schwierigkeiten, in denen er gesteckt haben mochte, als der erste Anschein vermuten ließ. Die Herumfragerei allerdings trägt nicht zur Steigerung von Cals Popularität bei …

Tana French: „Der Sucher“. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Fischer Scherz Verlag, Frankfurt am Main 2021. 496 Seiten, 22 Euro

Verschiedene Schichten legen sich in diesem Roman organisch über- und umeinander. Das irische Dorfleben mit dem Getratsche im Dorfladen und dem Witzereißen im Pub wird liebevoll porträtiert, ebenso die eigenwilligen Charaktere der DorfbewohnerInnen und die zwischen lieblich und harsch changierende Landschaft, die sich im Laufe des Romans von einer verträumten Herbst- zu einer lebensfeindlichen Winterszenerie wandelt und damit die Handlung auf ihre Weise kommentiert. Cals eigene Geschichte, sein Bedürfnis nach Neuanfang und die gleichzeitige Sehnsucht nach seinem vergangenen Leben als Vater einer nunmehr erwachsenen Tochter, all das begleitet derweil kontinuierlich seine Suche nach dem Verschwundenen.

Ein „Sucher“ ist Cal in mehrfacher Hinsicht, denn vor allem sucht er für sich selbst einen neuen Sinn – auch wenn er das niemals so formulieren würde, denn Cal ist kein Mann der Selbstreflexion, sondern einer der Tat.

Seine Suche nach diesem und jenem jedenfalls hat Tana French zu einem rundum gelungenen Spannungsroman geformt, der auf fast 500 Seiten einen zuverlässigen Lesesog erzeugt und damit perfekte Lektüre für feuchtkalte Winterabende bietet.

Nur seine Position als Außenseiter im Dorf versetzt Cal in die Lage, einmal nachzuforschen

Dazu wünscht man sich nur noch ein knisterndes Feuer im offenen Kamin.

Katharina Granzin