Rumpliger Schall

Sieben Mal Vinyl: Ein Jahr nach dem Tod der einzigartigen Françoise Cactus erscheint eine Box mit dem Frühwerk von Stereo Total

Cover Vinyl-Box Stereo Total „Chanson Hystérique“

Von Andreas Hartmann

Sie liegt auf einer Wiese im Park, nackt, eine Zigarette rauchend: Françoise Cactus. Sie allein ist abgebildet auf dem Cover von „Chanson Hystérique 1995–2005“, einer Werkschau, die auf sieben Vinyl-Schallplatten das Frühwerk ihrer Band Stereo Total zusammenfasst. Das Cover und die Vinyl-Box sind eine Hommage an Berlins große Chanteuse, die am heutigen Tag, am 17. Februar, genau vor einem Jahr im Alter von 57 Jahren, gestorben ist. Der verdammte Krebs!

Die Box ist wunderbar aufgemacht, bis kurz vor ihrem Tod hat Françoise Cactus an ihr mitgearbeitet. Neben den regulären LPs enthält sie eine Picture-Disc, die eine neben einem Grab pinkelnde und dabei lächelnde Cactus zeigt. Auch eine Art, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Und einen kleinen Band mit ausgewählten Kunstarbeiten von ihr gibt es auch. Sie war schließlich nicht nur Schlagzeugerin, Sängerin, Songwriterin und genial-dilletantische Bearbeiterin Tausender Instrumente, sondern auch Schriftstellerin und Künstlerin.

Vor allem Portraits popkultureller Ikonen, die auch ihr musikalisches Schaffen mitgeprägt haben, hatten es ihr angetan: Brigitte Bardot, Nancy Sinatra oder Sid Vicious. Und sie schuf Wollkunst. Mit ihrer ebenfalls in dem Band abgedruckten gehäkelten Wollita sorgte sie für einen echten Kunstskandal, weil die Berliner Boulevardpresse die halbnackte Wollfigur für Schweinkram hielt. Françoise Cactus hatte riesigen Spaß an der lächerlichen Aufregung um ihre solide Handarbeitskunst.

Mit der Vinyl-Box liegt nun zumindest das frühe Schaffen von Stereo Total endlich in angemessener Form vor. Cactus, die eigentlich Françoise van Hove hieß und aus einem Kaff im französischen Burgund in den Achtzigern nach Berlin gezogen ist, stöberte selbst immer auf Flohmärkten nach alten Schallplatten, die sie dann zum Teil bei ihrer Radiosendung auf Radioeins auflegte. Und der Vintage- und Trashpop von Stereo Total, der möglichst billig und einfach aufgenommen wurde, damit er auch möglichst billig und einfach klang, passt natürlich besser zu einem veralteten Analogmedium als zu Spotify. Jetzt muss man die Schallplatten nur noch möglichst schlecht behandeln und leicht zerkratzen, damit sie die Musik noch adäquater abbilden. Die Musik, die natürlich immer noch funktioniert.

Der charmante Rumpelsound, den Cactus gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Brezel Göring über all die Jahre fabriziert hat, ist weiterhin einmalig. Cactus singt mal auf Deutsch mit ihrem unnachahmlichen Akzent, mal auf Französisch und wenn es sein muss, auch auf Japanisch. Und oft singt sie so schlecht, dass es weh tut und doch weiß man immer: Genau so schlecht muss sie singen, damit es im Stereo-Total’schen-Sinne erst wirklich gut ist. Französischer Chanson, stolperndes Deutsch, Garagenpunk und irgendwann auch Billigheimer-Elektronik wird jedenfalls nie wieder so brillant miteinander verschmolzen werden, wie das bei Stereo Total der Fall war.

Die mit dieser Mischung, das darf man nicht vergessen, nicht nur in Berlin Stars waren, sondern Weltstars – auch in den USA oder Japan geliebt wurden.

Die Band wird und kann es nun nicht mehr geben. Gegenüber dieser Tatsache ist diese Vinyl-Box wenigstens ein kleiner Trost.

Stereo Total – Chanson Hysterique 1995–2005 – (Tapete)