Der Stil ist sachlich

Boris Iofan war einer der wichtigsten russischen Architekten der Sowjetzeit. Eine Ausstellung der Tchoban Foundation in Berlin widmet sich seinem Werk

Skizze des Architekten Iofan für Wohnblöcke in der Moskauer Schtscherbakowskaja Straße, 1962–1969 Foto: Tchoban Foundation

Von Robert Mießner

415 Meter hoch hätte er ragen sollen, der Palast der Sowjets in Moskau. Einmal realisiert, wäre aus dem Architektentraum der 1930er Jahre das höchste Gebäude der Welt geworden. Dass auf seiner Kuppel eine Arbeiterstatue in ihrer Hand eine Fackel hätte tragen sollen, es dann aber ein in die Zukunft weisender Lenin wurde, sagt viel über die Geschichte aus. Vom Palast der Sowjets wurde nicht mehr als das Fundament fertig. Im Zweiten Weltkrieg verlangten andere Projekte dringender nach Material.

Nach dem endgültigen Baustopp im Jahr 1958 wurde auf dem Gelände eine beheizbare Badeanstalt, das Schwimmbad Moskwa, errichtet. Es heißt, vom Fenster seiner gegenüberliegenden Wohnung habe der Architekt Boris Iofan sehen können, wie der Nebel über den gefluteten Palastentwurf zog.

„Stalins Architekt: Aufstieg und Fall von Boris Iofan“ ist der Titel einer aktuellen Ausstellung für den Baukünstler, dessen 130. Geburtstag in das vorige Jahr fiel. Im Begleitbuch schreibt der Kurator Wladimir Sedow von Iofan als „einer Figur, die gleichzeitig unübertroffen und tragisch einsam ist“. Geboren wurde Boris Iofan 1891 in Odessa. Er studierte in Rom und arbeitete als Architekt in Italien. Eines der Ausstellungsexponate zeigt vermutlich den Entwurf eines Bühnenbildes für die Opernsängerin Elvira Cassaza, eine imposante Gebirgslandschaft mit Palast und Säulengang, gerahmt und gehalten von stilisierten Vögeln und ihren geschwungenen Flügeln. Das Frappierende an der Skizze ist, dass sie auf den ersten Blick wie das Sowjetwappen aus einem Traum wirkt.

In Italien heiratete Iofan eine Aristokratin – und trat der Kommunistischen Partei bei. Nach der Machtübernahme Mussolinis kehrte er in seine Heimat zurück, suchte die Nähe zur sowjetischen Regierung und machte sich zunächst mit neoklassizistischen und später konstruktivistischen Projekten einen Namen. Zu Beginn der 1930er Jahre griff er den neoklassizistischen Stil erneut auf.

Indirekt haben alle Fans von sowjetischen Filmen mehrmals etwas von Iofan gesehen. 1937 wurde sein Vorschlag des sowjetischen Pavillons auf der Pariser Weltausstellung gebaut und mit einer Goldmedaille prämiert. Iofan trat in direkte Konkurrenz mit dem NS-Architekten Albert Speer, als die Pavillons der beiden Diktaturen einander gegenüber entstanden. Den sowjetischen Pavillon krönte die knapp 25 Meter hohe Edelstahlplastik „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ der russischen Bildhauerin Wera Muchina, seit 1947 bildet die Statue das Bildmotiv im Logo der sowjetischen, später russischen Filmgesellschaft Mosfilm.

Der Stern Iofans wiederum begann 1948 zu sinken, wobei der in Ungnade Gefallene aber immer Kommunist blieb. Noch aus den Sechzigern datiert ist eine späte Skizze zum Palast der Sowjets im schwungvollen, schwarz-orangenen südländischen Modus.

1962 bis 1969 konzipierte Boris Iofan Moskauer Wohnhochhäuser, der Stil ist sachlich, aufgeräumt. Es sind Wohnblöcke, wie sie dieser Tage in Putins Krieg gegen die Ukraine in Schutt und Asche gebombt werden. Begleitet von einer Rhetorik, die den reaktionären Kern der zugrundeliegenden Ideologie schlecht verhüllt. Der mörderische Phantomschmerz Putins gilt nicht der Sowjetunion als Union, sondern als Imperium. Eines der Ausstellungsexponate von „Stalins Architekt“ ist eine schadhafte Skizze der Lenin-Figur für den Palast der Sowjets. Durch den Sockel geht ein Riss.

„Stalins Architekt: Aufstieg und Fall von Boris Iofan“: Tchoban Foundation. Museum für Architekturzeichnung, Christinenstraße 18a, Berlin. Bis 15. Mai. Ein Katalog ist bei DOM publishers erschienen