zwischen den rillen
: Minoritäre Nu-Metal-Dämmerung

Sasami: „Squeeze“ (Domino/GoodtoGo)

Sasami Ashworth wagt, was sich das Gros ihrer Kol­le­g:in­nen momentan nicht traut. Die US-Künstlerin läuft weder irgendwelchen Trends hinterher noch bleibt sie einer bestimmten Stilrichtung treu, die 31-Jährige arbeitet ausschließlich an ihrer eigenen musikkünstlerischen Vision. Nu-Metal hätte man dennoch nicht unbedingt als Merkmal ihres neuen, zweiten Albums „Squeeze“ erwartet. Immerhin hatte sich die Kalifornierin mit ihrem Debütalbum 2019 noch dem introspektiven Indierock hingegeben.

Ihre musikalische Neuausrichtung ist wohl eher einem Zufall geschuldet. Vor etwa zwei Jahren bat sie der Künstlerkollege Kyle Thomas alias King Tuff, ihn auf ein Konzert der Death-Metal-Band Barishi zu begleiten. Ihre anfängliche Skepsis warf Sasami an jenem Abend ziemlich schnell über Bord. Die knallharten Walls of Sound, die von den Gitarren aufgetürmt wurden und sich perfekt zum Haareschütteln eigneten, wurden damals zum geeigneten Ventil für Sasamis Frust. Nach diesem Erweckungserlebnis stand für die Künstlerin fest: Die raue Energie von Metal wünschte sie sich auch für ihre eigenen neuen Stücke, deren Songtexte bereits aggressiv ausgefallen waren. So thematisiert der Titelsong „Squeeze“ Gewalt gegen Frauen.

Kantig, aber auch eingängig sollte der Sound dazu sein. Dafür suchte Sasami die passenden Mitstreiter:innen. Neben King Tuff und Barishi stand ihr unter anderem der Megadeth-Schlagzeuger Dirk Verbueren zur Seite. Auf den ersten Blick mag es verwundern, dass sie Meg Duffy von der Indierockband Hand Habits, die normalerweise ein Aushängeschild der Folkszene ist, ebenfalls einlud.

Tatsächlich war das aber eine logische Entscheidung, weil die Stücke mitunter in Richtung Folkrock und Countrypop abdriften. Während „Skin a Rat“ oder „Sorry Entertainer“ den Pegel voll am Anschlag halten, kommt „Tried to Understand“ durchaus poppig um die Ecke. Dieser Song klingt Sheryl Crow zum Verwechseln ähnlich. Ein Charakteristikum, das „Say It“ unverwechselbar macht, sind die eigenwilligen Synthesizerhooklines, die sich an der Gitarre reiben. Das erdig-warme „Call Me Home“ erinnert wiederum an Fleetwood Mac, ohne seinen Industrial-Einschlag zu verraten. Diese Nummer handelt von Apathie, jemand verliert sich in einer depressiven Phase und fühlt plötzlich überhaupt nichts mehr.

Das Instrumental „Feminine Water Turmoil“ pfeift auf Genregrenzen. Es verbindet Metalriffs mit einem klassischen Arrangement für Streicher, bevor es direkt in das Finale „Not a Love Song“ hineinzufließen scheint, das nach dem gleichen Muster gestrickt ist. Völlig überraschend sind solche Schlenker in die Klassik nicht: Sasami hat als Kind Waldhorn gespielt, sie studierte am Konservatorium und arbeitete in Los Angeles, wo sie bis heute wohnt, als Musiklehrerin. 2015 stieg sie bei der Rockband Cherry Glazer ein. Bis sie drei Jahre später eine Solokarriere reizvoller fand.

Weiblicher Vampir

Während Sasami an „Squeeze“ tüftelte, tauchte sie tief in ihre Familiengeschichte ein. Mütterlicherseits stammt sie vom Volk der Zainichi ab, einer koreanischen Minderheit, die in Japan lebt und diskriminiert wird. Ihre Großmutter wurde in Japan geboren, die meisten Zeit ihres Lebens verbrachte sie in Tokio, inzwischen ist sie nach Südkorea gezogen. Sasami stieß bei ihrer Recherche dieser komplexen Geschichte auf Nure-onna, einen japanischen Yokai-Schlangengeist mit dem Kopf einer Frau und dem Körper einer Schlange – attraktiv, feminin, aber auch bösartig. Ein nach Selbstermächtigung lechzender weiblicher Vampir. Geradezu prädestiniert als Vorbild für die Wut, die immer wieder in Sasamis Musik aufpoppt und für die Hö­re­r:in­nen wie ein erlösender Eskapismus ist.

Dagmar Leischow