Massaker in Butscha: Zwischen Minen und Toten

Die Bilder von Leichen in Butscha gehen um die Welt. Unsere Autorin hat vor Ort mit den dort lebenden Menschen gesprochen.

Zerbombtes Flugzeug in einem Hangar

Das zerbombte Transportflugzeug Mriya auf dem Militärflughafen Hostomel Foto: Kutsenko Volodymyr

BUTSCHA UND HOSTOMEL taz | Zerstörte und verbrannte militärische Ausrüstung, umgestürzte und zertrümmerte Privatfahrzeuge, über die ein Panzer hinweggerollt ist, umgestürzte Bäume, abgerissene Stromleitungen, ausgebrannte Häuser und Leichen von Zivilist*innen: So sehen sie jetzt aus, die Vororte der ukrainischen Hauptstadt Kiew Irpin, Butscha und Hostomel. Von hier waren die russischen Truppen vor wenigen Tagen vertrieben worden. Bei ihrem Abzug haben sie Tod, Verwüstung, Schmerz und Trauer hinterlassen.

„In den Straßen der Stadt liegen überall Leichen“, sagte der Bürgermeister von Butscha, Anatoli Fedoruk, nachdem die ukrainische Armee hier wieder die Kontrolle übernommen hatte. Alle Toten tragen normale Kleidung. Einige liegen einfach auf den Straßen, hinter Autos oder Fahrrädern. Bei einigen sind die Hände auf dem Rücken gefesselt. „In Butscha haben wir bereits 280 Menschen beerdigt“, sagte Fedoruk am Samstag vor Journalist*innen.

Das Territorium des gesamten Ortes muss jetzt von Minen geräumt werden. Auf den Straßen der befreiten Städte liegen noch Hunderte nicht explodierter Granaten sowie viel verbrannte russische Ausrüstung. Trotz der Gräueltaten und erbitterten Kämpfe, die im vergangenen Monat in Butscha stattgefunden hatten, leben immer noch mehrere Tausend Menschen in der Stadt.

Strom, Heizung, Gas, Wasser sowie Mobilfunk gibt es immer noch nicht. Um sich etwas zu essen zu machen, müssen die Menschen in die Höfe ihrer Häuser gehen. So macht es auch der 81-jährige Dmitri, der sich gerade über einem Feuer eine Suppe kocht. „Wir haben die Russen hier gesehen. Sie gingen in alle Wohnungen unseres Hauses. Sie suchten etwas, Nahrung oder Waffen, ich habe keine Ahnung. Wenn jemand nicht aufmachte, dann haben sie die Tür einfach aufgebrochen “, erinnert sich der alte Mann an seine erste Bekanntschaft mit russischen Soldaten. „Aus irgendeinem Grund dachten sie wohl, sie seien hier willkommen. Ich weiß nicht, was man ihnen dort im Fernsehen erzählt. Das waren alles Jungs, so um die 20 Jahre alt“, erzählt er weiter. Seine Hände und die Nase sind ganz schwarz von Ruß. Dmitris Augen füllen sich mit Tränen – wegen des Rauchs oder vor Verzweiflung.

Überall lauern Minen, die die russischen Truppen zurückgelassen haben. Sie schreckten nicht einmal davor zurück, an den Leichen noch Minen anzubringen

Räume, die als Folterkammern dienten

Seine 78-jährige Nachbarin Valentina bestätigt, dass hier niemand mit russischen Soldaten etwas hätte zu tun haben wollen. „Sie brachen die Tür meiner Nachbarin auf. Die war evakuiert worden und konnte ihnen deshalb natürlich nicht öffnen. Dann gingen sie hinein und durchsuchten alles, wahrscheinlich vermuteten sie irgendwo Waffen. Dann gingen sie wieder. Wie soll meine Nachbarin denn jetzt überhaupt zurückkommen?“, fragt die Rentnerin, die sich ebenfalls ihr Abendessen vor einem Hauseingang über einer Flamme zubereitet. Entsetzen steht ihr ins Gesicht geschrieben. „Ich hoffe so sehr, dass sie niemals wieder zurückkommen“, sagt sie noch.

Jetzt versuchen die ukrainischen Behörden alles, was möglich ist, um die Leichen so schnell es geht zu bergen, sie zu identifizieren und die Verbrechen zu dokumentieren. Parallel dazu werden die Städte entmint. Minen, die die russischen Truppen zurückgelassen haben, lauern überall. Die Soldaten schreckten nicht einmal davor zurück, an den Leichen noch Minen anzubringen.

In den befreiten Städten gilt noch bis zum 5. April eine Sperrstunde. Allen, die draußen sind, auch den geflohenen Bewohner*innen, ist deshalb der Zutritt verboten. Das hat auch damit zu tun, dass viele von ihnen jetzt in ihre Häuser zurückkehren wollen, doch das ist viel zu gefährlich.

Als die ersten Bilder von den Kriegsverbrechen in Butscha, Irpin und Hostomel öffentlich wurden, versetzte das vielen Ukrai­ne­r*in­nen einen Schock. Vor allem der Umstand, mit welcher Grausamkeit und Sinnlosigkeit diese Taten begangen wurden. So wurden beispielsweise in Butscha Räume entdeckt, die offenbar als Folterkammern dienten – darin wurden die Leichen von Männern gefunden, die mit dem Gesicht zur Wand knieten und denen in den Hinterkopf geschossen worden war.

Leichen wie Schaufensterpuppen

In einem Nachbardorf von Butscha fand die ukrainische Armee ein Grab mit zwei Frauen und vier Männern – alle ebenfalls durch Schüsse in den Hinterkopf exekutiert. Später konnte festgestellt werden, dass es die Familie der Dorfvorsteherin Olga Suchenko war, die am 23. März verschwunden war. Solche Orte finden sich buchstäblich in jedem Viertel der Städte im Großraum Kiew, aus denen sich die russische Armee zurückgezogen hat.

„Russland ist schlimmer als der IS. Wenn ich früher gesagt habe, dass ich mein Bestes tun würde, um die Täter vor Gericht zu bringen, bin ich mir jetzt sicher, dass dies die Arbeit meines Lebens ist, die ich bis zu meinem letzten Atemzug machen werde. So lange, bis alle zur Verantwortung gezogen werden“, lautete der erste Kommentar des ukrainischen Außenministers Dmitro Kuleba zu den mutmaßlichen Kriegsverbrechen Russlands.

Internationale Teams

Die ukrainische Armee rückte am Freitag, 1. April, in Butscha ein, das seit 27. Februar von russischen Truppen besetzt gewesen war. Am Samstag, 2. April, konnten Jour­na­list*in­nenteams mehrerer ausländischer TV-Sender, Nachrichtenagenturen und Zeitungen den Ort betreten – unter anderem von BBC, CNN, Al Jazeera, AFP, AP, reuters, Washington Post, New York Times, The Times, Bild.

Berichterstattung für die taz

Unsere Autorin Anastasia Magasowa war Teilnehmerin eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung. Sie war am Sonntag, 3. April, eine von 20 Jour­na­lis­t*in­nen, die an einer von dem ukrainischen Verteidigungsministerium organisierten Tour für Me­di­en­ver­tre­te­r*in­nen nach Butscha und Hostomel teilnehmen konnte. Mehrere Kiewer Vorstädte wurden zur Sperrzone erklärt, die Regelung gilt bis einschließlich kommenden Dienstag. Auch Jour­na­lis­t*in­nen können sich dort nicht frei bewegen.

Die russischen Truppen sind nun schon vor einigen Tagen aus Butscha abgezogen. An ihre Anwesenheit erinnert nicht nur zerstörtes Kriegsgerät, sondern auch Leichen russischer Soldaten. Da liegen sie, auf den Bürgersteigen, nur 26 Kilometer vom Zentrum Kiews entfernt, und das schon seit einigen Wochen. Während dieser Zeit haben sie nicht nur angefangen zu verwesen, sondern auch Hunde sind über sie hergefallen.

Das ukrainische Militär schafft es derzeit nicht, die von Russen getöteten Zi­vi­lis­t*in­nen oder die gegnerischen Soldaten von den Straßen zu entfernen. Die verbrannten steifen Leiber erinnern eher an Schaufensterpuppen denn an menschliche Körper. Diese russischen Soldaten waren jemandes Söhne, Brüder, Ehemänner. Für die Ukrainer bleibt es ein Rätsel, warum sie hierhergekommen und für was sie gestorben sind und warum ihre eigenen Kameraden die Leichen zurückgelassen haben.

Die Stadt Hostomel, die sich hinter Butscha und unweit der Grenze zu Belarus befindet, war eine der ersten, die angegriffen wurden. Das Ziel war vor allem der örtliche Militärflugplatz. Jetzt sieht dieser Ort grauenhaft aus. Tausende Splitter, Hunderte Patronenhülsen, überall verbranntes russisches Kriegsgerät und vor allem das völlig zerstörte größte Transportflugzeug der Welt: „Mriya“ – „Traum“ auf Ukrainisch.

Dieses Flugzeug war immer der ganze Stolz der Ukraine, weil ukrainische Konstrukteure es entworfen hatten. Jetzt ist nichts von ihm übrig geblieben und es kann auch nicht wieder instand gesetzt werden.

Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow hat am Sonntag die Kämpfer geehrt, die an den Kämpfen teilgenommen haben. Die Zeremonie fand in einem zerstörten Hangar neben den Überresten der „Mriya“ statt, also auf dem Schlachtfeld, umgeben von verstreuten Überresten der russischen Hinterlassenschaften – Uniformen, Schuhwerk, Trockennahrung und zerstörte russische Kriegstechnik. Unter den Geehrten war auch der 26-jährige Krimtatare Ruslan, dessen Eltern immer noch auf der Krim leben.

„Die Kämpfe waren sehr hart. Die russischen Soldaten kann man nicht als Armee bezeichnen. Das sind Barbaren. Sie zerstören wahllos alles um sich herum, sie töten Zi­vi­lis­t*in­nen und haben keine militärische Ehre“, sagt Ruslan und fügt hinzu: „Ich habe hier nicht für eine Auszeichnung gekämpft, sondern für mein Land, meine Familie und meine Eltern. Es liegen noch viele Schlachten vor uns und die werden wir definitiv gewinnen.“

Aus dem Russischen Barbara Oertel

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