Gespräch mit verstorbenem William Pope.L: „Rasse ist unglaublich immateriell“

Der Konzeptkünstler William Pope.L ist im Alter von 68 Jahren gestorben. Letztes Jahr sprach die taz mit ihm über Konfrontationen und über freudigen Lärm.

Ein junger Herr wirft Architekturmodelle in eine rote Schreddermaschine

„Contraption“ von Pope.L im Schinkel Pavillon, performed bzw. geschreddert von Mickey Mahar Foto: Frank Sperling

Der US-amerikanische Konzeptkünstler William Pope.L ist tot. Er starb am 23. Dezember im Alter von 68 Jahren in seiner Heimatstadt Chicago. Mit seinen Performances und Installationen war der „Schamane des Alltags“, wie er sich selbst bezeichnete, wichtiges Vorbild für junge Schwarze Künst­le­r:in­nen in den USA.

Letztes Jahr noch ließ er während seiner Ausstellung im Berliner Schinkel Pavillon Modelle ikonischer Berliner Bauten schreddern. Die taz konnte zu diesem Anlass mit ihm sprechen.

taz: William Pope.L, in Ihren Arbeiten verhandeln Sie die Themen Rasse, Geschlecht, Klasse und deren Intersektionalität, die Sie satirisch überspitzen. So zeigte Ihre Installation „A Vessel in a Vessel in a Vessel and So On“ von 2007 einen kopfüber auf einem Podest befestigten Frauenkörper im Piratenkostüm mit entblößten Brüsten und einem Serviertablett. Dazu, anstelle des Kopfes, eine Büste von Martin Luther King Jr. Wie haben Sie die Reaktionen darauf erlebt?

William Pope.L: Tatsächlich nie direkt, obwohl ich natürlich damals die Kritiken dazu gelesen habe. Ein wesentlicher Bestandteil des Feminismus der 70er Jahre war ja diese monolithische Vorstellung davon, was Frauen sind. Da kam die besondere Situation Schwarzer Frauen nicht vor und das setzt sich wahrscheinlich bis zu einem gewissen Grad auch heute noch fort, wenn man, sagen wir mal, über Transsexualität nachdenkt. Dazu kommt der Klassenaspekt, über den in den USA nicht gern gesprochen wird. Also wollte ich anfangen, Arbeiten zu machen, um diese Abwesenheiten in Kunstwerken zu verhandeln.

Pope.L: „Between a Figure and a Letter“, Schinkel Pavillon bis 31. Juli 2022

Bei Ihrer Performance „Tompkins Square Park Crawl“ von 1991, als Sie im Anzug und mit einer Topfpflanze über den Asphalt krochen, um gegen Gentrifizierung und Verdrängung der vor allem Schwarzen Community zu demonstrieren, wollte Ihnen ein schwarzer Mitbürger aufhelfen und war schließlich empört über Ihre Aktion der öffentlichen Selbsterniedrigung. Er fühlte sich persönlich angegriffen und beleidigt. Wie haben Sie sich dabei gefühlt, dass ein Schwarzer Amerikaner Ihren satirischen Ansatz der Gesellschaftskritik nicht nur nicht verstanden, sondern sogar abgelehnt hat?

Ich würde sagen, seine Reaktion war das, was ich mit meiner Arbeit erreichen wollte. Er löste in mir Scham und Schuldgefühle aus, aber gleichzeitig auch eine Art professionelle Wut darüber, dass er sich in meine Arbeit einmischte. Einerseits verstand ich seine Position, ich verstand als Schwarzer, woher er kam, total. Auf der anderen Seite dachte ich: „Du stehst mir verdammt noch mal im Weg.“

Im Grunde konfrontieren Sie Ihre Arbeit mit einem heteronormativen weißen Amerika, aber Sie konfrontieren sie auch mit der Schwarzen Identität in den USA. Haben Sie das vorhergesehen?

Ja und nein. Vieles habe ich zuerst bei meiner eigenen Familie ausgetestet. Meine Inszenierungen lösen einen Konflikt aus und das ist es, was ich mit der Verknüpfung von Gegensätzlichem bei den Menschen, die meine Arbeit konsumieren, erreichen möchte, aber ich muss es auch selbst aushalten. Weil mir bewusst ist, dass sie sich unwohl fühlen werden und eine Reihe von widersprüchlichen Dingen aushandeln müssen, darunter Ablehnung, Überraschung oder Schmerz. Das muss ich akzeptieren.

geboren 1955 in Newark, war Dramaturg, Dichter und Künstler. Er arbeitete vor allem mit Installationen, Performances und Interventionen im öffentlichen Raum. Bekannt wurde er durch seine Serie der „Crawls“, als er im Business-Anzug und später im Superman-Kostüm über die Straßen New Yorks kroch. 2020 zeigten gleichzeitig das MoMA und das Whitney Museum in New York große Überblicksausstellungen. Im Schinkel Pavillon war seine für Berlin entwickelte Installation „Contraption“ zu sehen.

Für Ihre Ausstellung im Schinkel Pavillon haben Sie einige ältere Arbeiten ausgewählt, wie den Film „Small Cup“, ein Wortspiel mit dem lateinischen cupulafür die Kuppel des Kapitols in Washington, deren Modell auf scheinbar harmlose Weise von Hühnern gestürzt und zerstört wird. Außerdem einige Zeichnungen aus Ihrer Serie „Skin Set Drawings: the space between the letter“, für die Sie Kugelschreiber, Korrekturflüssigkeit, aber auch eigenen Schweiß und Haare verwendeten und die nur mit Abstand durch ein Sichtfenster betrachtet werden können. Andere sind ganz verdeckt und zusätzlich mit einem Holzpfahl durchbohrt. Das wirkt wie eine Form der Autoaggression.

Diese Zeichnungen wurden zuerst 2013 in der Renaissance Society in Chicago gezeigt. Es ist eine Art, mit dem Körper zu zeichnen.

Die Ausstellung in der Renaissance Society trug den Titel „Forlesen“, nach einer Kurzgeschichte des Science-Fiction-Autors Gene Wolfe von 1974, in der es um Gedächtnisverlust sowie die Sinnlosigkeit bestimmter Arbeitsabläufe geht. In Ihrer speziell für Berlin entwickelten, performativen Installation „Contraption“ greifen Sie diese erneut auf.

Es ist die Idee des Fordismus: eine Maschine, die man bedient und der man gleichzeitig ausgesetzt ist, deren immergleichen, automatisierten Abläufen und deren Lärm.

Hier schreddern Schau­spie­le­r*in­nen am Fließband Holzmodelle, die dem Schinkel Pavillon, der Neuen Wache und dem Humboldt Forum nachempfunden sind, auch Beispiele kolonialer, imperialistischer Architektur. Gleichzeitig werden die Überreste zunehmend zu einer Bedrohung, da sie den verfügbaren Raum verdrängen.

Es gibt in der Ausstellung verschiedene Zeitebenen von Dauer und Verfall. Den der Architektur, der Zeichnungen, des Films und der Maschine selbst. Auch die Kartoffeln in der Ausstellung haben ihre eigene Zeitlinie. Während des Verrottens findet eine Transformation statt, die in einigen Wochen zu sehen sein wird. Das ist die Natur der Fäulnis, die immer in Schichten verläuft.

Für Ihre Installation „Contraption“ haben Sie, wie auch bereits für vorangegangene Projekte, eine begleitende Klangspur erstellt, die aus übereinandergeschichteten Fragmenten besteht, darunter Gospel.

Ich denke, das ist eine Möglichkeit, Erfahrung auf nicht materielle Weise zu organisieren. Die Gospelmusik, mit der ich aufgewachsen bin, ist sehr laut. Und die Phrase, die man vor allem in Baptistenkirchen häufig hört, ist „der freudige Lärm“. Das ist die eigentliche Musik, die nichtprofessionellen Stimmen. Sie treffen nicht die Töne, singen jedoch mit Kraft und Leidenschaft. Aber der ­tatsächliche physische Klang, der mich immer fasziniert hat, ist derjenige, bei dem die ­Stimmen auseinanderfallen und er organisch wird. Das ist, was ich an „Contraption“ so interessant finde: Verlangen ist immer eine Frage der Wiederholung.

In Ihrer Performance „White Room #4 / Wittgenstein & My Brother Frank“ von 2005 saßen Sie in einem orangefarbenen Yeti-Kostüm und mit schwarzem Tape überklebten Augen in einem Glaskasten und schrieben mit klangverstärkter Feder aus dem Gedächtnis das Wittgenstein-Traktat „Bemerkungen über die Farben“.

Wittgenstein stellte die Frage, was transparentes Weiß sei und ob es so etwas überhaupt geben könnte. Diese Frage war für mich wie ein kleiner persönlicher Witz darüber, ob man Weißsein überhaupt erkennen kann. Das hat mich interessiert. Es ist irgendwie lustig, denn Rasse ist unglaublich immateriell und keine tatsächliche Farbe. Es ist wie bei meinem Kind. Es würde sagen, wie können Weiße weiß sein? Hey Mann, was meinst du? Nun, sie sind es nicht. Ja, du hast recht.

Das Interview erschien auf taz.de zuerst am 26. 4. 2022.

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