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: Das Leben
einer Drittfrau,
in Vietnam

„May, die dritte Frau“ (Vietnam 2018, Regie: Ash Mayfair). Die DVD ist ab rund 14 Euro im Handel erhältlich.

May ist arm, und sie ist erst vierzehn Jahre alt, da wird sie einem reichen Landbesitzer im Norden Vietnams als dritte Ehefrau zugeführt. Es ist das 19. Jahrhundert, „May, die dritte Frau“ ist ein Historienfilm, aber weder die Kostüme noch die genauen sozialen Umstände werden betont. Mit May, der Protagonistin, geht es in einer zeremoniellen Kanufahrt hinein in eine geschlossene Welt. Ihr und uns wird wenig erklärt, vorgeführt, Regisseurin Ash Mayfair (viet­namesischer Name: Phuong Anh Nguyen) gibt dem Unausgesprochenen viel Gewicht, den Gesten der Frauen, der Seidenproduktion, die das Arbeitsleben bestimmt, aber auch den Bildern der Natur, die im Close-up eigene, manchmal fast traumverlorene Stimmungen erzeugen.

Angesiedelt ist die Geschichte im Norden des Landes, Wasser und Berge, der Film ist weit davon entfernt, die Schönheiten dieser Umgebung zu leugnen. Ebenso weit davon entfernt ist er jedoch, die Brutalität auszublenden, mit der die Gesellschaft die Frauen als Verfügungsmasse behandelt. Es ist May, von der dreizehnjährigen Nguyen Phuong Tra My gespielt, die bei einem Casting mit 900 Kandidatinnen ausgewählt wurde. Es sind ihre Blicke, die die Konturen der Zwänge sichtbar machen. Wieder und wieder setzt Mayfair sie als Beobachterin in Szene, wortlos ahnend und erkennend, verstört bemüht, sich in ihrer aufgezwungenen Lage zurechtzufinden.

Gesprochen wird wenig, es verwundert nicht, wenn man liest, dass die Regisseurin von ihrem ohnehin schon ohne jeden Kitsch poetischen Film, nachdem dieser in Farbe bei vielen Festivals mit Erfolg lief, unter dem Titel „Be­tween Shadow and Soul“ aus demselben Material eine zweite Fassung erstellte: ganz ohne Dialog und in Schwarz-Weiß. Sehr schade, dass die DVD-Edition diesen anderen selben Film nicht enthält.

May hat das Glück, schwanger zu werden und sich mit diesem Vorwand den sexuellen Ansprüchen des Mannes erst einmal entziehen zu können. Die anderen Ehefrauen raten ihr unterdes, durch Selbstbefriedigung sich einen dem Zwang abgewandten Bereich der Lust zu erschließen. Sie selbst haben dem Mann Kinder geboren, die zweite Ehefrau, Xuan, drei Töchter, die erste einen Sohn, was ihr, da Männer mehr gelten, größere Anerkennung verschafft. So betet auch May, mit schlechtem Gewissen, sie möge einen Sohn gebären, ihrer eigenen Stellung wegen und weil das soziale Unglück der Frauen mit der Geburt programmiert ist.

Allerdings ist das Begehren des Sohns so verkorkst, wie es unter solchen Bedingungen sein muss: Er hat ein Verhältnis mit der zweiten Frau Xuan. Der Versuch einer Zwangsverheiratung mit einer Jüngeren, die er nicht will und nicht kennt, scheitert auf furchtbare Weise. May ihrerseits entwickelt zärtliche Gefühle für Xuan, vielleicht sogar Liebe, aber der Weg zu diesem Glück auf der Seite ist gleichfalls versperrt.

Die Regisseurin gibt dem Unausgesprochenen viel Gewicht, den Gesten der Frauen, der Seidenproduktion, die das Arbeitsleben bestimmt

„May, die dritte Frau“ ist ein in seiner Stilsicherheit verblüffendes Debüt. Regisseurin Mayfair, in Ho-Chi-Minh-Stadt geboren, hat ihre Heimat mit 13 Jahren verlassen, am Theater gearbeitet und an der NYU Film studiert. Für das Drehbuch zum Film erhielt sie den Spike Lee Film Production Award. Als künstlerischer Berater kam an der Seite seiner Ehefrau Tran Nu Yen Khe, die Ha, die erste Frau, spielt, Tran Anh Hung, unter anderem Gewinner des Goldenen Löwen für „Cyclo“, an Bord.

Mayfair hat den Film auch in Vietnam ins Kino gebracht – allerdings wurde er nach wenigen Tagen von der Zensur verboten, unter dem Vorwand, dass er eine Dreizehnjährige in Sexszenen zeige. Der wahre Grund dürfte ein anderer sein: „May, die dritte Frau“ zeigt die zerstörerischen Zwangsverhältnisse, die konservative Geschlechterpolitik produziert, bei aller Sanftheit ganz unverblümt. Ekkehard Knörer