Gallery Weekend Berlin: Hybrid ist jetzt das neue Normal

Berliner Galerien nutzen verstärkt den digitalen Raum – ohne auf analoge Präsenz verzichten zu wollen. Auch der Verkauf läuft inzwischen oft digital.

Der einjährige Noa schaut sich beim Gallery Weekend Berlin das Werk "I... I... I..." von Ryan Gander in der Galerie Esther Schipper an, wobei er von seiner Mutter an der Jacke gehalten wird.

Nur gucken, nicht anfassen: Gilt auch beim Gallery Weekend Foto: Christoph Soeder / dpa

BERLIN taz | Die Kunst-Crowd bewegt sich wieder durch die Stadt. Von Freitag bis Sonntag ruft das Gallery Weekend zum Galerienrundgang. Konzentriert auf die Bezirke Mitte, Kreuzberg, Schöneberg und Charlottenburg zeigen 52 der insgesamt 345 Berliner Galerien dabei Werke von 80 Künstler*innen. Viele Ausstellungen sind extra für das Kunstwochenende als Anziehungspunkt für Sammler und Kunstinteressierte aus der ganzen Welt konzipiert.

Die Buchmann Galerie zeigt zum Beispiel die meditative Serie von Reishäusern des Bildhauers und documenta-Künstlers Wolfgang Laib. Die Schauspielerin und Künstlerin Lea Draeger breitet in der Ebensperger Gallery sowie im ehemaligen Krematorium Wedding ihr mittlerweile mehr als 5.000 Blätter umfassendes Werk von Bildnissen der „Ökonomischen Päpste und Päpstinnen“ aus. Bei Thomas Schulte kann man sich ins Frühwerk von Allan McCollum vertiefen und auch das von McCollum und dessen Künstlerfreund Matt Mullican entwickelte Würfelspiel „Your Fate“ spielen.

Vor allem aber ist das fein analoge Lauf- und Guck-Event vom Eintritt in eine neue Ära der souveränen hybriden Kunstpräsentation bestimmt. Denn gerade in den letzten beiden von der Pandemie bestimmten Jahren entwickelten viele Galerien ihre digitalen Tools weiter. Ausstellungen wurden abgefilmt, viele einzelne Werke hochauflösend digitalisiert, VR-Spezialisten kreierten immersive digitale Räume. Vieles wird auch jetzt genutzt.

„Wir bespielen weiter alle Kanäle. Neben unserer eigenen Website hat sich Instagram als wichtig herausgestellt sowie die Online-Plattformen Artsy und Artnet. Artsy wird mehr von Nordamerika und Asien aus genutzt, Artnet stärker im deutschsprachigen Raum“, konstatiert Galerist André Buchmann gegenüber der taz.

Kontaktaufnahme über fünf Kanäle

Die Kontaktaufnahme sei vor allem vielschichtiger geworden. „Wir haben Kunden, die auf fünf verschiedenen Kanälen zu uns kommen. Sie gucken sich die Website an, sie gehen unter Umständen in einen von unseren Online Viewing Rooms (OVR) rein, gucken dann auf Artsy nach, was es so kostet, drücken auf den Enquiry-Button auf unserer Website, um sich einen Preis nennen zu lassen“, beobachtet Galerist Thomas Schulte. Manche schrieben eine Mail, andere riefen meldeten sich telefonisch oder kämen direkt in die Galerie. Laut Schulte ist die Art der Kontaktaufnahme dabei keine Frage des Alters.

Rundgang Das Gallery Weekend ist eine Veranstaltung von Berliner Galerien, die jedes Jahr an einem Wochenende um den 1. Mai Kunstinteressierte zu einem Galerienrundgang in Berlin einladen. Vergangenes Jahr fand das Gallery Weekend erstmalig auch ein zweites Mal im Herbst statt.

2022 Das diesjährige Gallery Weekend startet am Freitag, 29. April, um 18 Uhr. Kunst gucken kann man bis Sonntag, 1. Mai, um 19 Uhr. Programm: www.gallery-weekend-berlin.de. (taz)

Das ergibt sich auch aus dem „Art + Tech Report“, für den ein Team um die Beraterin Kerstin Gold bereits im ersten Pandemiejahr 2020 380 Samm­le­r*in­nen befragt hat. „Für uns etwas überraschend stellte sich heraus, dass 85 Prozent noch auf die althergebrachten Websites der Galerien für erste Informationen zugriffen. Dann folgten Plattformen wie Artsy und Artnet. Artsy wurde schon fast wie Google gebraucht. Man suchte dort gezielt nach Künstler*innen“, erzählt Gold der taz.

Wichtigste Social-Media-Plattform sei Instagram. „Es wird mit seinem sehr direkten Zugang stark zur Anbahnung von Verkäufen genutzt“, erklärt Gold. Aus Sicht des Galeristen Thomas Schulte wurde auch der Onlineshop der Galerie zu einem sehr wichtigen Instrument. Aufgrund all dieser Entwicklungen nahm der digitale Kunsthandel in den letzten zwei Pandemiejahren stark zu.

Umsatz bei Digitalverkäufen steigt

Laut der vom Landesverband der Berliner Galerien initiierten Studie „Bestandsaufnahme Digitalisierung im Berliner Kunstmarkt“, an der 104 Berliner Galerien teilnahmen, lag der durchschnittliche Jahresumsatz durch Digitalverkäufe schon 2020 bei 10 Prozent, bei etwa einem Dutzend der befragten Galerien sogar über 50 Prozent. Tendenz: steigend.

Ein Motor dafür sind auch die Förderungen der „Neustart Kultur“-Programme während der Pandemie. „16 Millionen Euro gingen an die Galerien, die eine Zeit lang die einzigen noch offenen Kulturstandorte waren. 5 Millionen davon waren für Digitalisierung gedacht. Das ermöglichte vielen Galerien, neue Instrumente zu erproben“, berichtet Werner Tammen, Vorsitzender des Landesverbands der Berliner Galerien, der taz. Nicht alle neu erprobten Tools werden noch genutzt. Als großen Verlierer nennt Galerist Schulte die VR-Räume. Be­su­che­r*in­nen seien schnell frustriert gewesen, wenn sie digital an Wände stießen.

Als Treiber der Digitalisierung sieht Beraterin Gold die Samm­le­r*in­nen: „Über alle Sammlergruppen hinweg herrscht eine hohe Alltagsaffinität für digitale Praktiken. Das wurde auch für den Kunstmarkt gewünscht.“

Auf die analoge Präsenz des Galeriepublikums will niemand verzichten, auch nicht die Digitalberaterin. „Ich gehe natürlich zum Gallery Weekend“, sagt Gold und verweist auf die neuen hybriden Selbstverständlichkeiten. „In den langen Monaten zwischen zwei Gallery Weekends freue ich mich auf das ganzheitliche Konzept von online und offline. Ich glaube, dass da kein Gegensatz mehr herrscht, sondern sich beides zu etwas verbindet, das in der Summe größer ist als 1+1.“

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