Satteldach auf Plattenbau

Die Hellersdorfer Außenstelle der nGbK erinnert an ein Beteiligungs- und Umgestaltungsprojekt des Architekten Lucien Kroll in der Plattenbaulandschaft

Von Tom Mustroph

In der Nachwendezeit stand Hellersdorf kurz davor, eine architektonische Weltsensation zu werden. Der belgische Architekt Lucien Kroll wurde von der Wohnungsbaugesellschaft WoGeHe beauftragt, einen Teil der Siedlungsareale umzugestalten. Kroll war seit den 1970ern vor allem in Belgien und Frankreich für seine fragmentarisch wirkenden Bauten und den in der Außenhülle erkennbaren Beteiligungsprozessen von späteren Nut­ze­r*in­nen bekannt. Hierzulande hatte man kaum Notiz von ihm genommen. Als umso größeren Coup darf man werten, dass die WoGeHe diesem Außenseiter den Zuschlag erteilte.

Kroll ging schnell an die Umsetzung. Dies lässt sich aus der detailreich zusammengestellten Ausstellung „Lucien Kroll in Hellersdorf. Eine Baustelle“ ablesen. Fotos von interessiert Guckenden an einem eckigen Tisch sind beim Debattieren über Formen und Flächen sind zu sehen. Andere Fotos zeigen, wie Menschen, denen damals teils die Berufswege entglitten, modulare Wohnelemente in regalhohe Fassadenmodelle einsetzen und experimentieren. Wohin Kroll und sein Team die Teil­neh­me­r*in­nen führen wollten, lässt sich an Großdias erkennen. Auf einem sieht man die eckigen Betonkästen, wie sie sich damals präsentierten. Auf dem Bild daneben sind die Formen aufgelöst. Mehrstöckige Häuser mit Satteldächern sind in Kerben gesetzt, die von oben in Plattenbauten geschlagen wurden. Die glatten Dächer sind plötzlich wellig. Auch aus den Fassaden selbst ragen Ausbuchtungen hervor. Und in die Höfe sind ebenfalls kleinere Häuser mit Bauformen, die an den ländlichen Raum erinnern, der sich am Ende der Großsiedlungen noch anschloss. Damals standen die Monster-Malls im nahen Eiche noch nicht.

Kroll wollte den Be­woh­ne­r*in­nen zu größeren Variationsmöglichkeiten inmitten von standardisiertem Bauen verhelfen. Dabei setzte er auf vorgefertigte Elemente, wie eine Übersicht ergibt. „Kroll schlug auch unterschiedliche Eigentumsformen vor, vor allem Modelle von genossenschaftlichem Eigentum“, erzählt Jochen Becker, der gemeinsam mit Jesko Fezer die Ausstellung entwickelte und die begleitende Publikation herausgibt.

Diversität statt Monotonie und Monopol war offenbar das Leitmotiv von Kroll, der in diesem Jahr 95. Geburtstag feierte. Bemerkenswert ist zudem, dass Kroll schon damals Partizipation ernster nahm, zumindest als zahlreiche nur aufgesetzt wirkende Beteiligungsprojekte der Gegenwart. Er setzte nicht nur auf die Ergebnisse von Workshops, sondern nahm die Trampelpfade der Be­woh­ne­r*in­nen ernst, wie sie Wege zu U-Bahn und Einkaufszentren abkürzen und in täglicher Frequenz aus den Rasenstücken heraustrampeln. Sein Wegesystem wollte sich dem Trampelpfade-Netz anpassen.

Bald wurde das Experiment abgebrochen. Warum genau, schlummert noch in den Tiefen der Berliner Wohnungsbaubürokratie. Kroll durfte eine Publikation herausgeben, sie ist Basis der Ausstellung. Einzelne Dekorationselemente wie Palisaden an Fassaden und Schutzdächer über Hauseingängen kann man noch im Quartier unweit des Ausstellungshauses entdecken. Die Ausstellung selbst ist reizvoll. Sie gemahnt aber auch an eine der vielen verpassten Chancen der 1990er Jahre.

station urbaner kulturen/nGbK Hellersdorf, Auerbacher Ring 41, bis 28. Mai