Taliban in Afghanistan: Totalitäre Amateure

Die Taliban haben in Afghanistan einen neuen Burka-Erlass verhängt. Doch haben sie so mancherorts Probleme, die Unterdrückungsmaßnahmen umzusetzen.

Ein Mädchen dreht sich um, sie sitzt in einer Gruppe Frauen, verschleiert und in Burkas

Eine Gruppe Frauen wartet in Kabul auf Brot Foto: Ali Khara/reuters

Neun Monate, nachdem die Taliban die US/NATO-geführte Koalition zum zuletzt chaotischen Abzug aus Afghanistan zwangen, versuchen sie mehr und mehr, die afghanische Gesellschaft zu kontrollieren. Sie drehen die zuvor teils gut verankerte Teilhabe von Frauen am öffentlichen Leben.

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Einem neuen Erlass zufolge müssen sich ab sofort alle Afghaninnen in der Öffentlichkeit verschleiern, „am besten mit der Burka“. Auch andere Formen des Hidschab, der „Verhüllung“, seien akzeptabel, solange sie „intransparent und weit“ genug seien, um die „Konturen des Körpers“ zu verbergen.

Der Erlass folgt auf die umstrittene Nichtwiedereröffnung der höheren Mädchenschulen und andere Dekrete, die die Bewegungsfreiheit der weiblichen Bevölkerung einschränken sollen. Das zeigt auch der eigentliche Kernsatz des neuen Erlasses: „Nicht ohne Grund das Haus zu verlassen, ist die erste und beste Methode, die schariagemäße Verhüllung zu beachten.“

Diese Gründe möchten selbstredend die Taliban bestimmen. Und wo sie liegen, macht die schon geltende Alltagspraxis klar: Frauen dürfen noch in ausgewählten Bereichen arbeiten, in denen man ohne sie einfach nicht auskommt.

Beginn der zweiten Taliban-Herrschaft

Das sind Kliniken, Schulen und Universitätsklassen für Studentinnen, aber auch Zoll und Sicherheit am Flughafen sowie die Polizei (Frauen müssen ja kontrolliert werden), zum Teil wohl Banken und Nichtregierungsorganisationen (NRO) sowie Teile der Privatwirtschaft. Nun aber eben vorschriftsmäßig verschleiert, nicht etwa nur mit Kopftuch, und in Begleitung eines Mahram, eines männlichen Verwandten, auf dem Arbeitsweg.

Die UNO sieht in dem Erlass eine neue Qualität. Erstmals handelte es sich um „eine formale Direktive, nicht nur eine Empfehlung“, wie bei vorherigen Anordnungen. Die UNO geht davon aus, dass sie „umgesetzt und durchgesetzt“ werden wird. Mit dem Erlass beginnt die zweite Taliban-Herrschaft, langsam aber stetig zur bürokratisch-regulierten Diktatur zu gerinnen. So jedenfalls die Intention der Taliban.

Einen solchen totalitären Anspruch umzusetzen, haben die Taliban während ihrer ersten Herrschaft (1996-2001) schon einmal versucht. Sie scheiterten aber an der Vielzahl von Ge- und Verboten. Man kam mit dem Kontrollieren einfach nicht mehr hinterher. „Implementierungsermüdung“ nannten wir das damals bei der UNO.

Solch eine Ermüdung zeigt sich auch jetzt schon wieder in der Mädchenbildung: Mindestens drei norwegische und deutsche NGOs berichteten in den letzten Tagen, dass sie in mehreren Provinzen auch Mädchenschulen über Klasse 6 weiterbetreiben, und zwar mit Genehmigung des Taliban-Bildungsministeriums. Das ist besser als gar nichts, aber eben auch nicht mehr als ein paar Nischen.

Niemand kann sicher sein

Ob auch das neue Dekret wirklich überall und immer um- und durchgesetzt wird, kann man noch nicht sagen. Klar ist: Um die Positionen der Taliban zu Kleidungsfragen wissend, besorgten sich viele afghanische Frauen, die sich bisher lockerer gekleidet hatten, bereits unmittelbar nach der Machtübernahme der Taliban Burkas. Anfang der Woche war aus Kabul zu hören, dass sich zumindest in den von schiitischen Hasara bewohnten Stadtteilen die jungen Frauen noch nicht an den neuen Erlass hielten.

Das ist gleichzeitig auch das Problem: Niemand in Afghanistan kann sich sicher sein, wann und wo die jeweiligen örtlichen Taliban welches Dekret umsetzen. Da die Ordnungshüter bewaffnet sind, sorgt das für ein Klima der Unsicherheit und Angst.

Verschärft wird es durch andauernde Übergriffe und Festnahmen früherer Polizei-, Armee- und Regierungsangehöriger, „verschwundene“ Ak­ti­vis­t:in­nen und unerklärte Leichenfunde, die den Taliban zugeschrieben werden. Medienvertreter wurden festgenommen (und wieder freigelassen), nachdem sie über das Taliban-Sendeverbot für türkische Seifenopern berichtet hatten. Irgendwie scheinen die Taliban doch zu verstehen, wie unpopulär viele ihrer Maßnahmen sind.

Mensch fragt sich, warum sie seit Wochen anscheinend alles tun, um die öffentliche Meinung in der Welt und vor allem in den sogenannten Geberländern zu verprellen, obwohl ihnen – und vor allem den von ihnen weniger regierten als beherrschten Af­gha­n:in­nen – ökonomisch das Wasser bis zu Hals steht.

Burka-Erlass gefährdet Hilfe für Hungersnot

Gerade berichtete das UN-Welternährungsprogramm, der Hunger in Afghanistan habe „beispielloses“ Ausmaß erreicht. Dass die für den vergangenen Winter befürchtete große Hungerkatastrophe ausblieb, ist eben jenen ausländischen Gebern und Hilfsorganisationen zu verdanken, die wenigstens einige der von US-Präsident Biden eingefrorenen afghanischen Auslandsguthaben loseisten.

Der für „Moral“ zuständige Vizeminister Chaled Hanafi steuerte kurz nach dem Verhüllungserlass folgende Antwort bei: „Islamische Prinzipien und islamische Ideologie sind für uns wichtiger als alles andere.“ Mit anderen Worten: Ihr (der Westen) habt hier verloren, und wir lassen uns von euch nichts sagen.

Der „Burka-Erlass“ wird es für alle, die sich dafür einsetzen, nicht alle Kontakte zu den Taliban abzubrechen, um die prekäre humanitäre Situation in Afghanistan zu lindern, weiter erschweren, dafür zu argumentieren. Das schließt ein, mit den Taliban zu verhandeln, die afghanische Zentralbank so unabhängig von ihrer Regierung zu machen, dass über sie diese Hilfsgelder ins Land geleitet werden können.

Das letzte Wort hier soll die schon länger in Deutschland lebende und lehrende, aus Afghanistan stammende Hochschullehrerin Jasamin Ulfat haben. Sie wies auf Twitter Medienkommentare zurück, der Verhüllungserlass sei „die harscheste Taliban-Maßnahme gegen Frauen bisher“. Sie schrieb: „Die Schulbildung wegzunehmen und die Bewegungsfreiheit der Frauen einzuschränken ist weitaus schlimmer als ein Schleier. Ein Schleier ist nur sichtbarer als die anderen Einschränkungen.“

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war von 2000 bis 2003 bei politischen UN-Missionen in Afghanistan und nahm an (manchmal erfolgreichen) Verhandlungen mit den Taliban teil. Heute ist er als Afghanistan-Analyst ständiger Taliban-Watcher

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