Russischer Popstar über Repressionen: „Russland geht mir auf den Sack“

Maksim Pokrovsky, Mastermind der Moskowiter Band Nogu Svelo! kann zu Hause nicht frei spielen. Im US-Exil hat er sein Tonstudio und genießt Freiheiten.

Maksim Pokrowsky vor einem Hochhaus

Maksim Pokrowsky hat sich das Aufnehmen im Tonstudio selbst beigebracht Foto: Arina Voronova

taz: Herr Pokrovsky, Sie haben 2020 die Proteste in Belarus in dem Song „Molchanie jagnjat“ (Schweigen der Lämmer) thematisiert sowie Alexei Nawalny mit Ihren Aussagen in sozialen Medien unterstützt. In Ihren neuen Songs wenden Sie sich explizit gegen die russische Invasion in der Ukraine. Wurden Sie deshalb schon bedroht?

Maksim Pokrovsky: Nach unseren Aussagen zur Unterstützung von Alexei Nawalny wurden bereits Clubbesitzer davor gewarnt, weiter mit uns zu kooperieren. Das ist zwar kein direkter Eingriff, aber geht schon in die Richtung. Ein alter Bekannter von uns hat sich zuletzt immer seltsamer benommen. Ob er das auf Geheiß eines bestimmten Dienstes tat, weiß ich nicht, aber er hat uns mehrmals davon zu überzeugen versucht, dass wir unsere politischen Einstellungen überdenken. Tatsächlich haben wir bis jetzt aber keinen Anruf eines Offiziellen erhalten, der uns etwas untersagt hat.

Neben den Konzerten und Festivalauftritten kann Ihre Band auch privat gebucht werden. Haben Sie auch für Politiker und Geschäftsleute gespielt?

Privatkonzerte werden über das Management gebucht. In der Regel sind es Unternehmen, die Künst­le­r:In­nen für Firmenfeiern brauchen. Wir haben in letzter Zeit kaum mehr auf solchen Veranstaltungen gastiert. Die wenigen Auftritte in diesem Kontext waren eigentlich ganz anständig. Es gibt auch Privatpersonen, die uns buchen. Leute, die in der Lage sind, Konzerte von uns zu bezahlen. Ich kenne sie nicht alle persönlich und weiß nicht genau, was sie tun. Ich bin mir sicher, dass wir nicht für die russischen Politiker und Oligarchen gespielt haben, die derzeit Schlagzeilen machen.

Waren Sie seit dem 24. Februar schon in Russland oder planen Sie bald einen Besuch?

Nein, ich plane derzeit keinen Besuch. So wie die Dinge liegen, habe ich auch überhaupt keine Lust, nach Russland zu reisen.

In dem Song „Pokolenie Z“ singen Sie, „Ich erkenne dieses Land nicht wieder“. Was hat sich Ihrer Meinung nach in der Gesellschaft und insbesondere in Moskau in den letzten Jahren verändert?

In der russischen Gesellschaft selbst hat sich der Niedergang ebenso fortgesetzt wie der Prozess des Obskurantismus. Die Staatsmacht und ihre Propaganda sind in der Bevölkerung noch stärker verankert. Lichtblicke gibt es keine. Moskau ist mir zunehmend fremd. Was das Erscheinungsbild der Stadt angeht, so gefällt mir das Zentrum in gewisser Hinsicht sogar, mit alten Fabriken, die zu Filmstudios und Hallen für moderne Kunst umgebaut wurden.

Auf der anderen Seite gibt es eine neue Mall, die den Paweletzki-Bahnhof verdeckt. Dazu dann noch die Vororte mit ihren riesigen Wohnsilos, die allerdings stadtplanerisch überhaupt nicht für die Menschen ausgelegt sind. Für mich und meine Familie ist die Stadt schon lange kein akzeptabler Lebensraum mehr.

War New York als Wohnort also eine bewusste Entscheidung?

Natürlich. Wir sind keine Kleinkinder, die unbewusste Entscheidungen treffen. Zunächst einmal ist New York der ideale Ort für Musiker, auch für russische. Wir nutzen hier unser eigenes Studio. Als Band haben wir zwar nicht alle Möglichkeiten, wie es sie in Russland gab, aber trotzdem fühlen wir uns inzwischen hier zu Hause. Wir konzentrieren uns weiterhin hauptsächlich auf den russischen Markt. Außerdem ist die Nähe zu Europa und Russland weniger wichtig als früher.

Wie das?

Das ist recht einfach (lacht). Wenn ich New York mit anderen US-Städten vergleiche, ist es wirklich ideal. Die russische Diaspora siedelt unweit des Flughafens JFK. Als ich früher regelmäßig nach Russland flog, sagte ich immer, ich gehe kurz mit dem Hund Gassi nach Moskau. Eine Stunde zum Flughafen, acht Stunden Schlaf während des Fluges, schon war ich in Moskau und erledigte meine Geschäfte.

Wie laufen die Aufnahmen mit der Band in Ihrem Studio in New York ab? Kommen russische Künst­le­r:In­nen oder arbeiten Sie mit US-Kollegen?

Unterschiedlich. Inzwischen produziere ich fast alles selbst. Wobei, ich bin kein Ausnahme-Produzent, ich habe keine Ambitionen als Toningenieur, aber da ich genau weiß, was ich will, kann ich das Fehlen eines professionellen Produzenten ausgleichen. Wir arbeiten in Patchworkform. Zum Beispiel nimmt unser Gitarrist hier in New York seine Parts im Studio auf, dann schickt unsere Saxofonistin aus Moskau ihre Einspielungen. Es ist auch möglich, dass wir die anderen Instrumente um ihren Part herum einspielen. Es ist immer anders, aber es funktioniert.

Sind Russland und der Krieg in der Ukraine überhaupt ein Gesprächsthema für Ihre US-Nachbarn?

Ich denke, jeder hier ist über den Krieg informiert. In den US-Medien wird das Thema ausführlich behandelt. Vor Kurzem waren wir in New Jersey bei Dreharbeiten zum Videoclip für den Solisong „Ukraina“. Wir reisten durch einige Kleinstädte in der Gegend zwischen New Jersey und Pennsylvania. Dort sahen wir viele ukrainische Flaggen wehen. In New York ist dies ebenso der Fall. Nicht nur im Süden von Brooklyn, wo viele Einwanderer aus Russland und der Ukraine leben, sondern auch unter den US-Bürger:Innen. Es ist zu bemerken, dass die Ukrai­ne hier tatsächlich breite Unterstützung bekommt.

Bemerken Sie eine antirussische Haltung in den USA?

Wenn ich mir die Einstellung der New Yorker ansehe, würde ich sagen, nein. Vielleicht liegt es daran, dass mein Bekanntenkreis überschaubar ist. Wir leben recht beschaulich, haben keine Massen von Freunden, die wir auf extravaganten Wochenendpartys treffen. Meistens komponieren wir Musik, drehen Videos, treffen Freunde und Partner, die uns dabei helfen. Unter den US-Amerikanern, die ich kenne, habe ich bislang jedenfalls keine antirussischen Gefühle festgestellt.

ist Bassist, Sänger und Mastermind der russischen Popband Nogu Svelo! (Krämpfe im Bein!). 1991 in Moskau gegründet, hat sie bis jetzt 18 Alben veröffentlicht. Der 53-Jährige ist in Russland ein Star. Seit 2016 lebt er in New York. In der Musik von Nogu Svelo! vereinen sich diverse Stile zu eingängigen Melodien und mitreißenden Refrains. Pokrovsky ist Sprachrohr einer Gruppe von Russ:Innen, die entschieden gegen den Krieg in der Ukraine eintreten. Songs wie „Nam ne nuzhna voina“ („Wir brauchen keinen Krieg“, mit einem Zitat von Außenminister Lawrow: „ein Mann ein Mann, ein Wort, ein Wort“) sprechen für sich.

In dem Song „Nam ne nuzhna vojna“ singen Sie, dass Russen und Ukrainer Brüder sind. Viele Russen, die gegen den Krieg sind, haben Ihre Aussage übernommen. Ein Angriff auf ein Volk, das nicht als Brudervolk betrachtet wird, wäre also in Ordnung?

In diesem Fall gehen wir von dem aus, was wir haben. Die schreckliche Situation seit dem 24. Februar betrifft zwei Völker, die verbrüdert sind. Darauf nicht hinzuweisen, wäre meiner Meinung nach sehr merkwürdig gewesen. Ich schreibe keine Songtexte, die die Meinung einer öffentlichen Institution widerspiegeln. Meine Texte geben immer meine persönliche Sicht der Dinge. Wenn – Gott bewahre – es einen Krieg mit einem anderen Volk geben würde, gelten wieder andere Maßstäbe und Argumente.

Ihr Song „Zajebáli“ (Auf den Sack gehen) erschien im August 2020. Worum ging es konkret?

In „Zajebali“ ging es um mehrere Dinge auf einmal: Die gewalttätige Niederschlagung der Proteste in Belarus, die Vergiftung von Nawalny und die Verfassungsänderung für eine verlängerte Amtszeit des russischen Präsidenten. Seitdem ist die Zahl der Themen, die mir auf den Sack gehen, noch weiter angewachsen. Das Lied scheint für die Ewigkeit gemacht.

Wie sehen Sie die Zukunft Russlands? Halten Sie ein Szenario wie in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit einer totalen Unterdrückung auf allen gesellschaftlichen Ebenen für möglich?

Ob so ein düsteres Szenario auch in Russland möglich ist, kann ich nicht ausschließen. Der repressive Machtapparat wird irgendwann am Ende sein. Wie bald, das ist die Frage. Da heißt es abwarten und dann lautet meine Antwort: Vielleicht kommt es früher zu einem Machtwechsel, als wir denken.

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