Salzburger Festspiele: Ein faustischer Konflikt

Unheimlich war es in der Oper „Herzog Blaubarts Burg“ schon immer. Bei den Salzburger Festspielen sorgen russische Förderer für Beunruhigung.

Links sitzt eine Frau auf einer dunklen Bühne, rechts steht ein Mann, zwischen ihnen zeichnen Flammen die Buchstaben i c h

„Herzog Blaubarts Burg“ mit Ausrine Stundyte (Judith), Mika Kares (Herzog Blaubart) Foto: Monika Rittershaus

Wird die Kunst am Ende ihrer Geschichte wieder zur sakralen Angelegenheit? Ein Besuch bei den Salzburger Festspielen scheint das nahezulegen. Der Regisseur Romeo Castellucci und der Dirigent Teodor Currentzis erschaffen das barocke Welttheater neu aus Elementen der Moderne: „Herzog Blaubarts Burg“ von Béla Bartók und Carl Orffs selten gespieltes „De temporum fine comoedia – Das Spiel vom Ende der Zeiten“.

Dieser Abend sucht über zwei Spielstunden Gott und das Schöne, beschwört die Kunst als Gegenglück des Geistes in einer Welt, die den Zustand ihrer Unaushaltbarkeit gerade neu definiert. Darin treffen beide Künstler nahezu punktgenau die rückwärtsgewandte Utopie, die den Festspielen ein Jahrhundert zuvor in den Trümmern des Ersten Weltkriegs und einer darin zugrunde gegangenen Großmacht zur Gründung verhalf. Castellucci und Currentzis zelebrieren Musiktheater von monumentaler Kargheit in seinen Bildern und einer überbordenden Opulenz in seinen Mitteln.

Das könnte und sollte eigentlich jene seltenen Glücksmomente hervorbringen, die das Theater heute so dringend braucht – angesichts knapper Budgets, schlanker Betriebsführungen und eines Wettbewerbs um schwindende Aufmerksamkeit. Gleichwohl stellt sich hier die Frage nach dem Preis der Schönheit. Der überschattet, so der britische Guardian, die Eröffnung der Festspiele am Tag dieser Premiere.

Global agierende Kunstunternehmen

Castellucci wie Currentzis betreiben transnational oder schon global agierende Kunstunternehmungen, die den hergebrachten Systemen öffentlicher Förderung auf der nationalstaatlichen Ebene längst entwachsen sind. Auf der Suche nach neuen Geldquellen sind sie bei russischen Oligarchen fündig geworden, die nach dem 24. Februar, dem Angriff Russlands auf die Ukraine nun in neuem Licht erscheinen.

Castellucci wird seit Jahren von der V-A-C-Stiftung von Leonid Mikhelson, eines in der Gasbranche tätigen russischen Milliardärs gefördert. Currentzis Unternehmen mit Chor und Orchester steht in Verbindung mit der von der EU sanktionierten halbstaatlichen russischen VTB, Putins „Privatbank“ (so der Guardian) und anderen Ver­tre­te­r:in­nen des Regimes. Ein Konzertprogramm, das auch bei den Festspielen zu hören sein wird, tourte zuvor mit freundlicher Unterstützung von Gazprom durch Russland.

Die Frage, die sich hier stellt, ist nicht unbedingt die, die in und außerhalb der Musikbranche derzeit heiß diskutiert wird: ob, wann und wie glaubwürdig sich Künst­le­r:in­nen zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geäußert haben. Ginge es doch eher darum, die Zwecke zu betrachten, die private Förderer verfolgen, von denen man direkt oder auch mittelbar profitiert.

Wenn die Debatte, die sich jetzt entspinnt, einen bleibenden Nutzen haben soll, dann leitet sie das Ende einer neoliberalen Ära in der Kulturpolitik ein. Jahrelang hatte der österreichische Staat das Spektakel bei den Betrieben einer repräsentativen Hochkultur zwar bestellt, hat dessen Spitzenfinanzierung aber zunehmend den gewachsenen Geldvermögen überlassen, von denen man sich den warmen Regen eines „Trickle- down“-Effekts für gesellschaftlich wünschenswerte Praktiken erhoffte.

Die Verwunderung ist nun groß, dass sich das Schöne scheinbar selbst genügt und die beiden anderen Werte der bürgerlichen Kunst-Trias, das Wahre und das Gute, nicht frei Haus mitliefert.

Zirzensischer Feuerzauber

Aber Schatten lassen sich am besten tilgen, indem man sie gänzlich ins Dunkel taucht. Am Anfang von „Herzog Blaubarts Burg“ war die Bühne in der Felsenreitschule zu Salzburg wüst und leer. Und bevor Licht war, jenes der technischen Apparatur, verging glatt eine Stunde. Himmel und Erde waren noch nicht geschieden, auch nicht Innen und Außen, wie ein Spielansager (Christian Reiner) den andächtig Lauschenden verkündet.

Welche Zwecke verfolgen private Förderer? Das müsste debattiert werden

Die Schrecken, die die Wunderkammern von Blaubarts Burg bergen, sind getragen von Bartóks Musik zunächst nur als inneres Bild vorhanden, bis Castellucci den darin ruhenden Schlaf der Vernunft in einen zirzensischen Feuerzauber verwandelt.

Flammenskulpturen in geometrischen Grundformen brannten Menetekel des Unbewussten ins horizontlose Dunkel, bis sie sich irgendwann in den Wassern des gefluteten Bühnenbodens spiegelten. Die Seele ist ein weites Land, aber was darin wütet, ist wie Feuer und Wasser. Schließlich malen die Elemente die in Großbuchstaben spiegelsymmetrische Zeichenfolge „I-C-H“. Der Prozess der Individuation führt durch Konflikte, angstbesetzte Entdeckungen und Triebverzicht.

Tour de Force ins Unbewusste

Das Libretto von Béla Balázs macht aus einem Schauermärchen über toxische Männlichkeit eine Tour de Force ins Unbewusste, in der die sieben Kammern von Blaubarts Burg nach und nach geöffnet werden. Unternommen wird sie von einem Paar, Judith (Ausrine Stundyte) und Blaubart (Mika Kares). Bezeichnenderweise ist der Logos darin weiblich, Judith treibt den Erkenntnisprozess, Blaubart gibt nach und nach verdrängte Inhalte preis.

Die Psychoanalyse inspiriert die Kunst mit ihren Fragestellungen, ihre Antworten an sie bleiben dann doch oft unterkomplex. Castellucci schenkt dem Paar ein Kind, um es dann sterben zu lassen – eine Kleinfamilienstruktur, die die Sache eher verkleinert. Zwischen zirzensischer Verspieltheit und Weltdeutungspathos sind es die Stimmen von Stundyte und Kares, die zuverlässig einen Weg durchs Dunkel weisen.

Im zweiten Teil des Abends reaktivieren Castellucci und Currentzis ein vielleicht nicht zu Unrecht selten gespieltes Werk von Carl Orff – zur Freude einer kleinen, aber verschworenen Gemeinde des Komponisten. „De temporum fine comoedia – Das Spiel vom Ende der Zeiten“ wurde 1973 unter Herbert von Karajan in Salzburg uraufgeführt. Mit großem musikalischem Apparat und viel Schlagwerk setzt sich hier ein Wettstreit der Chöre, ein weiblicher und ein männlicher, in Szene.

Die Weissagungen der vorchristlichen Sibyllen und die frühchristlichen Anachoreten (Einsiedler) streiten in einer Art Battle-Rap über die letzten Dinge, wer in den Himmel kommt, nur die Guten oder auch die Sünder. Bei Orff bereut sogar Lucifer (wiederum Christian Reiner) und alles wird gut. Castelluccis visuelle und choreografische Umsetzung gerät immer mehr in das Fahrwasser einer Redundanz, die Orffs Taktschlag lediglich verdoppelt.

Kein Verzicht auf Currentzis

Was sagt eigentlich die Festspielleitung zum Preis der Schönheit? Ein kleinerer Sponsorenbeitrag des Bergbauunternehmens Solway wurde wegen Umwelt- und Menschenrechtsverstößen in Guatemala auf Betreiben einiger Künst­le­r:in­nen aufgegeben. Vormalige Stars wie Anna Netrebko oder der Dirigent Valery Gergiev sind ohnehin in der Klassikszene kriegsbedingt in Ungnade gefallen. Gergiev, der es dem Vermögen nach selbst schon zum Oligarchen gebracht hat, kanzelt der Eröffnungsredner der Festspiele, der Schriftsteller Ilja Trojanow, hart, aber zu Recht als „Großgrundgewinnler“ ab, „gefördert von den mafiösen Banken seines Landes“ und der Moskauer Regierung.

Castellucci und vor allem Currentzis wollte Festspielinten­dant Markus Hinterhäuser dagegen um jeden Preis halten. Auch wenn eine grundlegende Erklärung zum Weltgeschehen, die Currentzis im Frühjahr noch in Aussicht gestellt hatte, nie abgegeben wurde. Sein Förderer VTB-Chef Andrei Kostin zitiert ihn in russischen Medien dagegen mit Loyalitätsbekundungen. Currentzis wurde im Russland der 2000er Jahre zum Popstar, was ihn auch im Westen begehrt machte. Was er nun durchlebt, ist ein faustischer Konflikt auf hohem Niveau. Die Festspiele konnten gar nicht auf Currentzis verzichten, sie hätten sonst ein klaffendes Loch mitten im Programm.

„Another russian season“

Wichtiger wäre indessen zu verstehen, wie der musikalisch-industrielle Komplex Russlands im Westen wirkt, wie Geld in symbolische Werte, wie diese in Geschäftsanbahnung, politischen Einfluss oder einfach nur gutes Wetter in der Öffentlichkeit umgesetzt werden.

Das ist nicht erst seit dem 24. Februar ein Problem. Schon 2019 verkündete ein Mitteilungsmagazin des russischen Außenministeriums stolz, dass die Festspiele auf „another Russian Season“ zusteuerten. Das war kaum die Wahrnehmung der Festspiele, ihres Publikums oder der österreichischen Öffentlichkeit, erklärt aber möglicherweise im Nachhinein so manche Großzügigkeit.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.