Organisierte Kriminalität: Kaltgestellt und verschleppt

15 Jahre nach den Duisburger Mafiamorden wird Organisierte Kriminalität weiter verharmlost. Hinweise auf ihre Präsenz gibt es dabei genug.

Einschusslöcher in einer Windschutzscheibe

Einschusslöcher nach einer Schießerei in Duisburg 2015, bei der sechs Italiener ums Leben kamen Foto: Ina Fassbender/reuters

In Thüringen wird 2006 ein aussichtsreiches Ermittlungsverfahren („FIDO“) gegen die kalabrische ’Ndrangheta abrupt eingestellt, obwohl der leitende Staatsanwalt kurz zuvor angekündigt hatte, er wolle noch viele Jahre weiter ermitteln. Besagter Staatsanwalt wird durch einen Kollegen ersetzt, das Verfahren anschließend eingestellt.

In Mecklenburg-Vorpommern wird 1997 eine LKA-Sonderkommission, die die Aktivitäten der in Apulien beheimateten Sacra Corona Unita (SCU) aufklären soll, ohne nachvollziehbare Gründe aufgelöst, obwohl (oder weil?) die ErmittlerInnen laut Aussagen eines beteiligten Fahnders kurz davor standen, weitreichende mafiöse Verflechtungen in Norddeutschland aufzudecken. Besagter Fahnder, der öffentlich Kritik an dieser Entscheidung äußerte, wird kaltgestellt.

In Baden-Württemberg verschleppt eine Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen die ’Ndrangheta und verweigert im Nachgang der Festnahme des in der Landespolitik bestens vernetzten Mafioso Mario Lavorato im Jahr 2018 Folgeermittlungen. Ein ausgewiesener Mafiaexperte des LKA, der auf weiterführende Finanzermittlungen gedrängt hatte, wird zwangsversetzt.

Man kann in diesen Anekdoten ein Muster erkennen. Verfahren gegen italienische Mafiaorganisationen in Deutschland werden oftmals verschleppt oder ohne nachvollziehbare Gründe eingestellt, engagierte ErmittlerInnen mundtot gemacht. Oftmals vergehen Jahre oder Jahrzehnte der Untätigkeit seitens der Behörden, bis durch die Berichterstattung hartnäckiger JournalistInnen die Fälle wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gelangen. Kommt es doch einmal zu Verurteilungen, so sorgen Deals zuweilen dafür, dass die Beschuldigten glimpflich davonkommen. Anders gesagt: Die Bundesrepublik heißt die italienischen ­Mafias seit Jahrzehnten überaus freundlich willkommen.

Zweithöchste Mafiapräsenz in Europa

Daran haben auch die Duisburger Mafiamorde, welche sich heute zum 15. Mal jähren, nichts geändert. In der Nacht des 15. August 2007 werden sechs Italiener vor dem Duisburger Restaurant Da Bruno hingerichtet. Wie sich später herausstellt, war das Massaker der Höhepunkt eines jahrelangen Streits zwischen verfeindeten ’Ndrangheta-Clans. Wer nun denkt, dieses blutige Ausrufezeichen hätte die bundesrepublikanische Öffentlichkeit dauerhaft wachgerüttelt, der irrt. ’Ndrangheta, Cosa Nostra, Camorra und Sacra Corona Unita haben nach wie vor in der Bundesrepublik eine ausgeprägte Präsenz.

Die ’Ndrangheta als aktuell mächtigste global agierende Mafia ist laut Behörden in Deutschland mit etwa 500 Mitgliedern vertreten. Dazu gesellen sich mehrere Hundert Mitglieder der anderen italienischen Mafias. Dies macht Deutschland zum Land mit der höchsten Mafiapräsenz in Europa außerhalb Italiens, so eine ­aktuelle ­Studie der Forscherinnen Anna Sergi und Alice Rizutti.

Die Gründe hierfür sind vielfältig. Gesetze sind teilweise zu lax und schützen einseitig die Rechte mutmaßlicher Mafiosi. Die rigiden Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung stellen eine extrem hohe Hürde für investigative journalistische Recherche, beziehungsweise wissenschaftliche Forschung zum Thema Mafia dar. Die Spruchpraxis der Gerichte tendiert zu Nachsichtigkeit. Behörden fehlen Ressourcen. Letzteres führt dazu, dass Strukturermittlungen kaum stattfinden. So kritisiert Joachim Speiermann, leitender Staatsanwalt in einem der größten Mafiaprozesse Deutschlands, im Gespräch mit der taz die Tendenz der Gerichte, rein deliktbezogen zu arbeiten und die zugrunde liegenden mafiösen Strukturen zu ignorieren – hatte ihn doch der Vorsitzende Richter im Konstanzer Mafiaprozess explizit dazu aufgefordert, bitte an der Oberfläche zu bleiben.

Speiermanns palermitanischer Kollege Calogero Ferrara, der die Defizite des deutschen Justizsystems in grenzüberschreitenden Ermittlungen am eigenen Leib erfahren hat, äußert sich ähnlich skeptisch: „Germany just looks at the individual, not the larger network behind it.“ Dieses Nicht-­Wissen-Wollen ist ein begünstigender Faktor für das Fortbestehen der deutschen Willkommenskultur. Einige wenige engagierte JournalistInnen und AktivistInnen – wie beispielsweise der Verein mafianeindanke – versuchen seit Jahren, die deutsche Öffentlichkeit wachzurütteln, doch ihre Aufgabe gleicht einer Sisyphusarbeit.

Diese Apathie an sich ist bedenklich genug. Doch dahinter könnte sich ein noch größerer Skandal verbergen. Werden die italienischen Mafias etwa protegiert durch Alliierte in den höchsten Kreisen der deutschen Justiz und Politik? Diese Frage soll aktuell ein Untersuchungsausschuss im Erfurter Landtag klären, welcher erforscht, warum das eingangs erwähnte FIDO-­Verfahren gegen die ’Ndrangheta in Thüringen abrupt eingestellt wurde. Das FIDO-­Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Gera bis zum Jahr 2006 wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung, Drogenhandels und Geldwäsche geführt und dann plötzlich, ohne das Vorliegen sachlicher Gründe, eingestellt. So konstatierte es eine BKA-Ermittlerin vor dem Erfurter Untersuchungsausschuss.

Begünstigung durch Politik und Justiz?

Gab es hier Einmischung seitens der Politik? Indizien deuten jedenfalls auf eine durchaus kuschelige Beziehung zwischen Thüringer Eliten und kalabrischer Mafia hin. So war beispielsweise S.P., ehemaliger Besitzer des Duisburger Da Bruno, Reisebegleitung des ehemaligen Thüringer Innenministers Richard Dewes, als dieser – Achtung: Pointe! – eine Interpolkonferenz zur Organisierten Kriminalität besuchte. Gleichzeitig hatte dieser inzwischen verstorbene S.P., von dem das BKA annimmt, dass er ein Mitglied der ’Ndrangheta war, das Glück, in diversen Verfahren vor deutschen Gerichten über Jahrzehnte hinweg – angefangen in den 1970er-Jahren bis in die frühen 2000er – immer wieder glimpflich ­davonzukommen.

Ein anderes Indiz für die Nähe zwischen Mafia und deutschen Eliten ist die Zeugenaussage einer BKA-Ermittlerin vor dem Thüringer Untersuchungsausschuss über die Übergabe eines Umschlags zwischen einem Thüringer Richter und zwei Erfurter Gastronomen und mutmaßlichen ’Ndranghetisti. Besagter Richter sei – wie auch einige Thüringer Politiker – außerdem mindestens einmal nach San Luca gereist. San Luca ist nun aber nicht bekannt als beliebte Touristendestination; vielmehr rührt der zweifelhafte Ruhm des kleinen Ortes daher, dass er eine der Hochburgen der ’Ndrangheta ist. Ausländische JournalistInnen und andere neugierige ZeitgenossInnen werden in San Luca nicht mit offenen Armen empfangen; die Gäste aus Thüringen jedoch seien vor Ort freundlich bewirtet und umsorgt worden.

Auch in Norddeutschland scheinen die Mafias bestens vernetzt zu sein. Ronald Buck, der eingangs erwähnte zwangsversetzte Ermittler im Sacra-Corona-Verfahren, sagt im Gespräch mit der taz, ein Bericht, den er hierzu verfasst habe, sei plötzlich aus seiner Ablage verschwunden. „Man war sehr gut miteinander bekannt“, so Buck mit Blick auf die Nähe zwischen Behörden und Mafia. Hätte er damals weiter ermitteln dürfen, glaubt Buck, hätte man höchstwahrscheinlich Verbindungen der SCU in Politik und Wirtschaft aufgedeckt.

Der Journalist Jürgen Roth konstatierte bereits vor Jahren, dass der nachsichtige Umgang des deutschen Staats mit der Mafia System habe. Doch wie genau funktioniert dieses System? Der Thüringer Untersuchungsausschuss, der sich ebendieser Frage widmen soll, macht bisweilen einen trägen und desorganisierten Eindruck. Es bleibt zu hoffen, dass sich das Gremium in den verbleibenden Monaten seiner Tätigkeit doch noch zu einer schonungslosen und systematischen Offenlegung mafiöser Strukturen aufraffen kann. Denn die Frage, wie diese Strukturen die checks and balances des deutschen Rechtsstaates aushebeln, betrifft Grundpfeiler unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und bedarf daher dringend der Klärung.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist Juniorprofessorin für globale und transnationale Kooperationsforschung an der Uni Duisburg-Essen.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.