Ausstellung im Sacrower Schloss: Die Kunst geht nackt

Kunst ist ein zerbrechliches Konstrukt. Das wird deutlich in der Ausstellung „Grenzüberschreitungen“ im Schloss Sacrow bei Potsdam.

Neben einem Fenster hängt eine Assamblage von zerbrochenen Bilderrahmen und zusammengefalteten Leinwänden

Blick in die Ausstellung auf eine Arbeit von Philipp Donald Göbel im Treppenhaus des Schlosses Foto: Katrin Bettina Müller

BERLIN taz |Der Wert der Kunst? Er ist eine wacklige Angelegenheit, das weiß niemand besser als die Künstler:innen. Gemälde, für die es zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Markt gab, gelten eine Epoche später oft nicht mehr viel. Andere Künstler:innen, die zu Lebzeiten kaum erfolgreich verkaufen konnten, sind nach ihrem Tod plötzlich berühmt geworden und wurden heiß gehandelt.

Viele Ma­le­r:in­nen haben volle Lager und irgendwann stellt sich die nicht kleine Frage, in welchem Verhältnis der Preis für den Lagerraum zu den künstlerischen Einnahmen steht. Experimentieren, den Weg in der Kunst suchen, probieren und ändern, setzt den Einsatz von Material voraus – muss das immer neu und unberührt sein, oder ist auch das Recyceln älterer Arbeiten eine Möglichkeit?

Das alles klingt nach konkreten Erfahrungen im Leben von Künst­le­r:in­nen und nach sehr praktischen Fragen. Dass aus ihrer Bearbeitung aber auch ein ästhetisches Programm entstehen kann, zeigt eine Ausstellung in Schloss Sacrow. „Grenzüberschreitungen“ ist der Titel und ihr Konzept entwickelt und die neun Teil­neh­menden zusammengebracht hat die Malerin Daniela Meyer. Teils fragte sie befreundete Maler:innen, teils entdeckte sie auf Instagram interessante Positionen.

Stillgestellte Zeit

Nicht zuletzt spielte für die Zusammensetzung eine Rolle, dass die Eingeladenen bereit waren, auf das Stillstehen der Zeit in den Räumen des meist leerstehenden Schloss Sacrow einzugehen. Mit alten Tapeten, bröselnder Wandfarbe, Rissen im Putz und fleckigen Decken ist es ein von der Geschichte mitgenommenes kleines Schloss. Das aber durch die Raumschnitte, die Fenster in den Park, Spiegel an den Wänden und einem Kamin durchaus noch vom repräsentativen Willen der Feudalzeit zeugt.

Die holländische Künstlerin Marjolein Knottenbelt sieht Kunstwerke als Teil eines angeheizten Kreislaufs von der Herstellung, des Konsums und der Zerstörung von Waren, der sich immer mehr beschleunigt. Das ist eine traurige Geschichte, die bewusst zu machen und zu verzögern ihre Arbeiten beitragen. Sie sammelt alte Bilder, die keiner mehr haben will; so ist ein Seestück und ein Porträt in Sacrow zu sehen, deren Oberfläche sie bearbeitet hat, Teile der Malschicht weggenommen. Was bleibt, ist ein leidvoller Rest, eine unter die Räder gekommene Kunst, ein Erinnern an das Schwanken ästhetischer Maßstäbe.

In dem zweiteiligen Bild sieht man links das Porträt einer Frau, teils fehlen Stücke im Gesicht, die rechts auf weißen Grund montiert sinditen

Majorlein Knottenbelt sammelt aussortierte Bilder und bearbeitet sie: „Broken face“ Foto: Majorlein Knottenbelt

In einem Glas unter einem Seestück, auf dem nur noch das bewegte Meer und die Spitze eines Mastes zu erkennen sind, steht ein Glas mit den abgekratzten Pigmenten. Beides hat Platz gefunden in einem kleinen Raum, dessen geblümte Tapete vielleicht noch aus der Zeit stammt, als in den Nachrkriegsjahren das Schloss Sacrow als Erholungsheim für Verfolgte des Naziregimes diente.

Momente des Übergangs

Zu den repräsentativen Räumen gehört das Kaminzimmer, in das Lawrence Grawe, eine Künstlerin aus Frankreich, die in Berlin lebt, drei große Leinwände an die Wände gelehnt hat. Sie markieren den Moment eines Übergangs, eines Auszugs oder Einzugs, denn wir schauen auf die Rückseiten, die Konstruktion der Keilrahmen. Von hinten sind die Leinwände mit Streifen zart bemalt, das wirkt offen und unfertig, nichts wird hier mit Sicherheit behauptet. Und doch passt gerade dieses Flüchtige gut in den Raum, die Latten der Keilrahmen korrespondieren mit den Fensterkreuzen und die asketische Geste mit der Leere des Raums.

„Grenzüberschreitungen“, Schloss Sacrow, Krampnitzer Straße 33, 14469 Potsdam. Sa. + So. 11–18 Uhr. Bis 9. Oktober

Im Erdgeschoss bespielt auch Daniela Meyer selbst einen Raum. Sie arbeitet mit Fundstücken wie alten Tüten, Tischdecken, Planen, Leinwänden; Gegenständen aus der Kunst und aus dem Alltag, die zu Streifen zerschnitten und neu zusammengesetzt werden. Das handwerkliche Malern und die künstlerische Malerei nähern sich in ihren Arbeiten an, die Kunst will sich eben nicht vom Alltag abgrenzen.

Daniela Meyer ist erst vor wenigen Jahren von Bielefeld nach Sacrow gezogen, hat die wechselvolle Geschichte des Ortes, der unter der Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland litt, – der Park diente zeitweise der Ausbildung einer Hundestaffel an der Grenze –, als Neu-Pots­damerin erst kennengelernt. Sie wollte aber nicht, wie vorherige Ausstellungen an diesem Ort, wieder auf dessen Geschichte Bezug nehmen, sondern jene Grenzen thematisieren, die Künst­le­r:in­nen in ihrer Arbeit überschreiten.

Für Philipp Donald Göbel war das der Entschluss, frühere Werke zu zerstören und aus den Trümmern, zerbrochenen Rahmen, angekohlten und zusammengefalteten Leinwänden, neue Assemblagen zu schaffen. Sie erzählen von der vielen Zeit, die in die Kunst investiert wurde, von den Selbstzweifeln, die den Künstler plagen, von der Einsamkeit, wenn sich kein Dialog mit Betrachtern einstellt, und vom Mut des Neuanfangs.

Zugleich ist diese zusammengefaltete und komprimierte Kunst, wie sie im Treppenhaus des Schlosses hängt, aber auch eine Bekundung des malerischen Potenzials und der Prozesshaftigkeit der Kunst, in der Lernen und Werden mehr bedeutet, als eine endgültige Form zu finden.

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