Cate Blanchett als Dirigentin in Venedig: Zwei gequälte Seelen

Lidokino 3: In Todd Fields Film „Tar“ ist Cate Blanchett eine erfolgreiche Dirigentin. Alejandro González Iñárritu rechnet mit Mexiko und den USA ab.

Cate Blanchett dirigiert

Cate Blanchett in „Tar“ als Chefdirigentin Lydia Tar Foto: Hoffmeister/Universal

Unter den großen Dirigentennamen gibt es eine bisher noch recht übersichtliche Zahl an Frauen. Was viel über den Musikbetrieb sagt. Zwar machte sich die französische Komponistin Nadia Boulanger sowohl als Pädagogin – viele berühmte Komponisten lernten bei ihr – als auch als Dirigentin einen Namen, kam über den Status einer Gastdirigentin aber nicht hinaus. Dauerhaft wollte man einer Frau ein Orchester wohl damals nicht anvertrauen.

Heute gibt es mit Marin Aslop, Susanna Mälkki oder Antonia Brico einige Frauen, die feste Verträge mit Orchestern haben. Doch bis man einen Frauennamen in einer Reihe mit Leonard Bernstein, Claudio Abbado oder Herbert von Karajan hören wird, dürfte noch einige Zeit vergehen.

In Todd Fields in Venedig im Wettbewerb gezeigtem Spielfilm „Tár“ ist die Hauptfigur eine Frau, die es im männlich dominierten Taktstockschwingergewerbe geschafft hat. Lydia Tár ist ein Star, die erste Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker. Und sie sieht sich als „Dirigent“, weil die gegenderte Version ihrer Berufsbezeichnung in ihren Augen die Gleichrangigkeit mit den männlichen Kollegen eher erschwert als erleichtert.

Ausbeutung von Untergebenen

Cate Blanchett verkörpert diese selbstbewusste, nicht in jeder Hinsicht sympathische Ausnahmeerscheinung. Zu Beginn des Films bekommt das Publikum sie bei einem Publikumsgespräch für das Magazin The New Yorker vorgestellt, man erfährt, dass sie bei Leonard Bernstein ausgebildet wurde, lernt sie als reflektierte Künstlerin kennen. Der Diskurs über Musik ist eine der Säulen des Films, der an einigen Stellen didaktisch erscheinen mag, an anderer Stelle zugleich nicht vor heiklen Fragen zurückschreckt: Ist Bach für einen BIPoC-Musiker prinzipiell niemand, der mit seiner Musik zu dieser Person sprechen könnte, wenn diese ihn als sexistisch wahrnimmt?

Todd Field erzählt obendrein eine weibliche #MeToo-Geschichte, deutet sexuelle Ausbeutung von Untergebenen an, ohne die relevanten Ereignisse als solche zu schildern. Er beschränkt sich auf die Folgen dieses Missbrauchs für Tár, ihre Partnerin Sharon (Nina Hoss), die Konzertmeisterin der Berliner Philharmoniker, und ihre Tochter. Vor allem zeigt er Lydia Tár als eine von ihren Gespenstern verfolgte Seele, von Blanchett mit einer Härte gespielt, unter der die Verstörung regelmäßig hervorbricht. Man fühlt sich wie in einem Kunst-Thriller, so ruhig wie irritierend inszeniert.

Irritierend ist auch Alejandro González Iñárritus „Bardo, die erfundene Chronik einer Handvoll Wahrheiten“, seinem ersten neuen Spielfilm seit seinem Erfolg „The Revenant“ (2015). Der Protagonist von „Bardo“, Silverio Gama, gespielt von Daniel Giménez Cacho, ist Journalist und Dokumentarfilmer, ein wenig scheint allerdings Iñárritu selbst die Vorlage gewesen zu sein.

Gama ist, wie Lydia Tár bei Field, eine gequälte Seele, man folgt ihm drei Stunden durch surreale Tag- und Alpträume zwischen Mexiko und den USA. Kritik an beiden Ländern wird dabei laut, zum Teil in grotesken Bildern, die eigene Arbeit selbstironisch kommentiert. Ein wenig erinnern die langen Einstellungen an seinen Hit „Birdman“, diesmal ist jedoch der Film für sich genommen so bemüht und oft schlicht selbstverliebt, dass er einem einiges an Geduld abverlangt.

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