Komponistin Ethel Smyth: Tosende Wellen vor Englands Küste

Sie verband romantische Musik mit einem kämpferischer Geist: Die Komponistin Ethel Smyth. Auf einem Symposium in Berlin war mehr über sie zu erfahren.

Ausschnitt aus einem Porträt von Ethel Smyth

Sie trotzte den Gatekeepern des patriarchalen Musikbetriebes: Ethel Smyth Foto: George Grantham Bain Collection restored by Adam Cuerden (Ausschnitt)

Gewaltige Orchesterklänge schlagen wie turmhohe Wellen übereinander, scharfe Rhythmen beben durch den Saal, schönheitstrunkene Gesangsstimmen erzählen in großen Melodiebögen die Geschichte einer jungen Frau, die unter Einsatz ihres Lebens in die Irre geratene Seefahrer vor dem Tod rettet. Zwei Stunden lang dröhnt und braust es. Dann verlässt das Publikum erschlagen und erlöst zugleich die Berliner Philharmonie.

Urheberin dieses Spektakels, das am 25. September in der Philharmonie lief, ist die Komponistin Ethel Smyth (1858–1944), deren Persönlichkeit mindestens so brachial und kompromisslos war wie ihre Musik. Das war auch der Tenor eines Symposiums vor der konzertanten Aufführung des Musikdramas „The Wreckers“ durch das Deutsche Symphonie-Orchester unter Robin Ticciati.

Gemeinsam mit dem Staatlichen Institut für Musikforschung informierten Vertreterinnen aus der Musik- und Genderforschung über Leben und Werk der erst kürzlich wiederentdeckten Komponistin.

Dame Ethel Smyth hatte sich gegen Ende des frauenfeindlichen 19. Jahrhunderts als Opernkomponistin einen Namen gemacht. Schon als junges Mädchen hatte sie ihren gut betuchten Eltern durch einen radikalen Hungerstreik ein Kompositionsstudium in der Musikstadt Leipzig abgetrotzt. Mit Herrenkrawatte und grünem Jägerhut tauchte sie dort auf den Abendgesellschaften der bürgerlichen Elite auf und suchte Anschluss an die kulturellen Größen ihrer Zeit.

Ehrgeiziges Ziel: Nationalkomponistin

Unter ihnen befand sich auch Johannes Brahms, damals der unangefochtene Superstar der deutschen Musikwelt. Ihre Bemühungen, den Altmeister für ihre Erstlingswerke zu begeistern, blieben erfolglos.

Ihr musikalischer Stil bedient sich großzügig aus dem Werkzeugkasten der Spätromantik

Trotz dieser frühen Entmutigung blieb ihr Ehrgeiz ungebrochen, wie die Wiener Musikwissenschaftlerin Angelika Silberbauer in ihrem Vortrag deutlich machte: Smyth wollte als englische Nationalkomponistin in die Geschichte eingehen und wählte deshalb die Küste Cornwalls als Schauplatz für „The Wreckers“. Nebenbei streute sie ein paar Melodien bekannter altenglischer Volkslieder ein.

So wollte sie sich in die Herzen der Menschen und vor allem auf die ganz großen Bühnen des Königreichs komponieren. Ihr musikalischer Stil bedient sich großzügig aus dem Werkzeugkasten der Spätromantik und schafft mit Wagner’schen Leitmotiven, farbenreicher Orchestrierung und experimentellen Harmonien kühne Klänge von wilder Schönheit.

Dieser entfesselten Dramatik mischte sie stets eine Portion Humor bei: In der komischen Oper „The Boatswain’s Mate“ schlägt eine heiratsmüde Witwe einen geldgierigen Verehrer mit dem Revolver in die Flucht. In der Partitur dazu entdeckte die Musikwissenschaftlerin Cornelia Bartsch ein Motiv aus Beethovens berühmter Schicksalssinfonie. Durch diese Parodie, so Bartsch, reihte sich Smyth selbstbewusst neben die Titanen der Musikgeschichte ein und übte gleichzeitig Kritik an der hegemonialen Geschlechterordnung, die Frauen aus dem Tempel der Kunst auszuschließen versuchte.

Hymne für die Sufragetten

Aus Protest gegen dieses patriarchale Gatekeeping schloss sich Smyth der Suffragettenbewegung an, die sich in England für das Frauenwahlrecht stark machte. Für die Genossinnen der Women’s Social and Political Union schrieb sie die Hymne „March of the Women“, zog mit ihnen laut singend und Steine werfend durch die Straßen des Londoner Westend und landete dafür prompt zwei Monate im Gefängnis.

Mit Ende des Ersten Weltkriegs wurde es für Ethel Smyth immer schwieriger, ihre Werke aufzuführen. Als Ursache haben die Smyth-Forscherinnen die veränderte politische Wetterlage im Verdacht: In ihrer künstlerischen Heimat Deutschland machten Smyth antienglische Ressentiments das Leben schwer und in England hatte man längst den Komponisten Edward Elgar zum nationalen Aushängeschild gemacht. Neben ihm gab es keinen Platz für jemanden, der politisch kontrovers und eben eine Frau war.

Glücklicherweise erlebt Ethel Smyths Werk seit einigen Jahren eine Renaissance. 2020 produzierte das New Yorker Experiential Orchestra eine Aufnahme ihrer sinfonischen Kantate „The Prison“ und gewann dafür 2021 einen Grammy. 2022 brachte das Opern-Festival Glyndebourne Smyths „The Wreckers“ erstmals wieder zur Aufführung. Als Queen Elizabeth in Windsor Castle zur letzten Ruhe gebettet wurde, erklang dazu unter anderem eines von Ethel Smyths Orgelwerken, „O Traurigkeit, O Herzeleid“.

Die konzertante Aufführung von „The Wreckers“ wird am 9. 10. um 21.05 Uhr im Deutschlandfunk übertragen

Die gelungene konzertante Aufführung in Berlin macht Lust, mehr von Smyth’ radikalen und modernen Klangwelten zu hören. Die Teilnehmer der abschließenden Podiumsdiskussion des Symposiums gaben jedoch die in Sachen Komponistinnen desaströse Quellenlage zu bedenken. Notenmaterial ist schwer zu kriegen, für sorgfältig aufbereitete Gesamtausgaben fehlen oft die Fördermittel.

Für einen Lichtblick immerhin sorgte der Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters, Robin Ticciati: Zukünftig werde sein Orchester in jedem Programm mindestens ein Werk einer Frau spielen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.