Neues Album von Santigold: Wenn der Bass dich heimsucht

Santigold thematisiert in den Songtexten ihres Albums „Spirituals“ US-Geschichte und die Benachteiligung von Müttern in der Gesellschaft.

In einem hellen Dress steht Santi White mit einem Schellenring vor einer Wand

Die Musikerin Santi White Foto: Frank Ockenfels

Die verwischte Langzeitbelichtung eines Gesichts, verzerrt wie eine Gruselmaske vor einem dunklen Hintergrund, ist auf dem Cover zu sehen. Der Auftaktsong des neuen Albums der US-Musikerin Santigold heißt auch noch „My Horror“. Der Ton scheint gesetzt.

Doch mit düsteren Gruselsounds hat Santigolds neues Album „Spirituals“ nichts gemein. Im Opener singt die 42-jährige Santi White zwar von ihren eigenen Dämonen, die sie nicht aus dem Bett kommen lassen, tut dies aber auf eine so leichtfüßig vor sich hinhopsende Gitarrenmelodie, dass man sich zweimal überlegt, was ihr Horror denn eigentlich bedeuten soll.

Trotz aller Leichtigkeit und Süße, die in ihrer hellen Stimme mitschwingen, baut Santigold Spannung auf, wenn sie die letzte Silbe des Wortes „Horror“ hochzieht und ihre Stimme überschlagen lässt. Die Musik erinnert dabei entfernt an „Disparate Youth“, den größten Hit von Santigold aus dem Jahr 2012, mit dem sie den meisten im Ohr geblieben sein dürfte.

„Spirituals“ ist Santigolds viertes Album. Ihrem Debüt (als Santogold) folgten zwei weitere Alben und zuletzt ein Mixtape (2018). Mit ihrem neuen Werk bricht Santigold jetzt auch eine kreative Blockade: „Diese Songs aufzunehmen war eine Rückkehr zu mir selbst, nachdem ich in einer Art Überlebensmodus festgesteckt bin.“

Den Modus, den sie anspricht, hat sie nach der Geburt ihrer Zwillinge eingenommen. Im Lockdown saß sie mit drei Kindern zu Hause fest: „Ich habe von früh bis spät gekocht, geputzt, Wäsche gewaschen und Windeln gewechselt. Ich steckte fest in einem Teil von mir, der zu klein war. Es hat sich angefühlt, als wären die anderen Aspekte meines Selbst immer weiter geschrumpft, verschwunden“, so beschreibt sie die Erfahrungen, die sich mit ihrer Mutterrolle verknüpften.

Stillstand in der Pandemiezeit

Santigold: „Spirituals“ (Little Jerk Records/Cargo)

Stillstand (und Karriereknick), der nun speziell in der Coronapandemie, aber auch allgemein nach Geburten immer noch Mütter wesentlich härter trifft als Väter, macht also auch vor Musikerinnen nicht halt. Die ganz alltäglichen Benachteiligungen, die Santigold während der Coronapandemie erfahren hat, stehen nun im Kontrast zum Glamourösen ihres Sounds.

Überhaupt nimmt Santi White Kontraste in den Fokus. Ob im verwischten Entschwinden ihrer Albumgrafik oder mit ihrer Stimme, die immer wieder hell über den Hooklines thront oder an anderer Stelle gewohnt spröde und rhythmisch auf treibende Beats und Synthies gesetzt ist.

In „Nothing“ hallt eine Dancehall-Bassline durch den Raum, ein Mittel, das gerade äußerst en vogue ist bei großen (elektronischen) Pop-Acts, für die Santigold zu Beginn ihrer Karriere ja tatsächlich Musik komponiert hat. Aber hier klingt dieses Stilmittel nicht aufdringlich, eher geisterhaft, denn dem tiefen Bass werden heimsuchende Vocals an die Seite gestellt.

„Spirituals“ oszilliert zwischen düsteren Echokammern und gleißend-hellen Synthiefahnen, treibenden Beats und leuchtenden Soulfarben. Etwa in der Single „Shake“: Den elektronischen Popsong verwandelt Santigold durch einen kraftvollen Chant in mitreißenden Soul. Im Video tanzt sie im blütenweißen Anzug, perkussioniert dazu mit einem Schellenkranz. Auch in diese zunächst affirmative Szenerie sind Kontraste eingearbeitet: leichte Risse in der Wand, ihre abgenutzten Turnschuhe, beides der Makellosigkeit ihres Anzugs entgegengesetzt, kleine Stolpersteine im Bilderfluss des Clips.

Politische Untertöne

Wirklich durchgerüttelt wird dieses Bild spätestens dann, wenn die Performance der Künstlerin von einem harten Wasserstrahl unterbrochen wird. Die erste Assoziation: Polizeigewalt. Und tatsächlich will Santigold auf den Umstand aufmerksam machen, dass friedlicher politischer Protest von der Exekutive immer wieder gewaltsam zerschlagen wird.

„Spirituals“ hat auch politische Untertöne. Schon sein Titel ist ein Wink an die Musikkultur, die auf den Baumwollfeldern während der Sklaverei in den US-Südstaaten unter Mühsal gelebt wurde: Gesänge, einerseits, um Zwangsarbeit durchzustehen, aber eben auch, um sich durch Spiritualität und Kunst ausdrücken zu können, was den Versklavten ansonsten nicht erlaubt war.

Viele Spirituals wurden später zur Vorlage von Bluessongs, bei denen sich wiederum Rhythm & Blues und Rock ’n’ Roll bedienten. Santi­gold bringt damit zeitgenössische Popkultur zurück zu ihren Wurzeln und zeigt auf, was die transzendentale Kraft von Musik sein kann: Nämlich Freiheit dann zu fühlen, wenn keine besteht.

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