Umstrittene Kunst-Gastprofs in Hamburg: Dialog und Verbrechen

Ein Jahr lang lehren zwei Mitglieder des umstrittenen Kollektivs Ruangrupa an der Hamburger Kunsthochschule. Dagegen kam es nun zu (etwas) Protest.

Protestierende halten in der Aula der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) Tranparente mit der Aufschrift "Ruangrupa Ca$h From Antisemitism" und "Fight BDS" hoch

Protest mit Dollarzeichen: Studierende halten Schilder hoch Foto: Georg Wendt/dpa

HAMBURG taz | Dass die Eröffnung des akademischen Jahres an der Hamburger Hochschule für bildende Künste (HFBK) nicht ganz wie geplant ablaufen würde, wussten wohl alle Beteiligten. Zwei Semester lang werden zwei Mitglieder des indonesischen Kunstkollektivs Ruangrupa an der Hochschule lehren. Die Gruppe war maßgeblich verantwortlich für die Ende September in Kassel zu Ende gegangene Weltkunstschau Documenta – und deren diverse Antisemitismusskandale.

„An der HFBK“, versicherte deren Präsident Martin Köttering am späten Mittwochnachmittag, „gibt es keinen Platz für Antisemitismus.“ Das sei eine Selbstverständlichkeit, die auszusprechen er bisher für unnötig gehalten habe. Gerichtet war das gerade auch an die diesmal vermehrt anwesenden nicht Hochschulangehörigen.

Formal als Gastprofessoren an die Hochschule aufgenommen wurden bei der Veranstaltung die Ruangrupa-Künstler Reza Afisina und Iswanto Hartono – neben ihnen noch Gilly Karjevsky und Tom Holert, ferner die beiden regulären Pro­fes­so­r*in­nen Adina Pintilie und Tobias Zielony.

Die Ruangrupa-Connection machte daraus einen mehr als sonst beachteten Termin. Im Gespräch mit der taz berichtete Köttering am Donnerstag etwa von einem merklichen Anschwellen der Medienanfragen. Aber natürlich war nach der teils heftig umstrittenen Documenta auch mit Protest zu rechnen gegen die temporäre Berufung der zwei Kuratoren.

Vorwurf: BDS-Nähe

Und ja, es wurde protestiert gegen die Personalie, es wurde Widerspruch laut in der mit rund 300 Menschen mehr als gut gefüllten Aula des 1920er-Jahre-Baus. Noch während Kötterings einführenden Worten wurden erste Zwischenrufe laut, auch Schilder waren im Publikum zu sehen: „Fight BDS“ und „Ruangrupa Ca$h from Anti-Semitism“. Eine Aktivistin verteilte Flugblätter, überschrieben mit: „Antisemitism is not art“.

Dem da verbreiteten Text zufolge handelt es sich bei Afisinas und Hartonos Gastprofessuren um eine „Belohnung“ für die antisemitische Documenta; was allerdings schon vom zeitlichen Ablauf her keinen Sinn ergibt. Gleichwohl wurde nun die Forderung erhoben, das lange vor der Kasseler Ausstellung eingegangene Arrangement aufzukündigen – oder, wie es ein Protestierender, mutmaßlich biodeutscher Täternachfahre, irgendwann rief: „Schmeißt die Nazis raus!“

An Köttering richteten einzelne Ak­ti­vis­t*in­nen den Vorwurf, auch er unterstütze die israelfeindliche Boykottbewegung BDS, ebenso sei der Gastprofessor Holert deren Sympathisant. Der Kulturwissenschaftler aus Berlin hätte eigentlich den Festvortrag sollen über das Thema „Kunst und Governance“.

Schon vor der Eröffnung Mitte Juni gab es Bedenken, ob die Einladung von mehr als 50 Künst­le­r*in­nen­kol­lek­ti­ven – etlichen davon aus dem globalen Süden – nicht zu antisemitischen Äußerungen bei der Documenta führen werde.

Was sich konkretisierte anhand von „People’s Justice“ vom indonesischen Kollektiv Taring Padi: Das „mit antisemitischen Figuren gespickte“ Riesen-Bild, so die taz, wurde nach Protesten wieder abgebaut.

Hochproblematisch war auch die Reihe „Tok­yo Reels“ des Kollektivs „Subversive Film“: Dabei handelte es sich um Archivfilme des bewaffneten palästinensischen Widerstands aus den 1960er- bis 1980er-Jahren. Im eigens hinzugefügten Kommentar der Küns­tle­r*in­nen war dann u.a. von einer „zionistischen Verschwörung“ die Rede.

Über konkrete Arbeiten hinaus kritisierte ein eigens berufenes Ex­per­t*in­nen­gre­mi­um im September noch eine „einem kuratorisches und organisations­strukturelles Umfeld, das eine antizionistische, antisemitische und israelfeindliche Stimmung zugelassen hat“.

Die Ku­ra­to­r*in­nen von Ruangrupa haben das wiederholt von sich gewiesen. Auch andere Ver­tre­te­r*in­nen der Ausstellung bezeichneten Kritik teils als „rassistisch“ motiviert.

Als sich aber der etwas andere Charakter der Veranstaltung abgezeichnet habe, sagte Köttering, habe man sich darauf geeinigt, den Vortrag zu kürzen. Am Ende hielt Holert ihn dann gar nicht mehr, Köttering überließ Pult und Mikrofon den Aktivist*innen.

War das der ganz große Eklat, die Protestaktion also ein Erfolg? Ansichtssache. Die beiden umstrittenen Gastprofessoren bleiben ja; aus Sicht der Protestierenden bietet die Hochschule also ein Jahr lang zwei An­ti­se­mi­t*in­nen die sprichwörtliche Bühne. Bemerkenswert war in dem Zusammenhang der kurze Auftritt Gilly Karjevskys: Die temporäre Professorin für soziales Design ist selbst Israelin.

Ganz wider ihre Natur, so erklärte sie, wolle sie sich nun doch positionieren zu dem Ganzen – und tat das in sehr viel entschiedeneren Worten als etwa Köttering. Statt etwa vom „Nahost-Konflikt“ sprach sie wiederholt von der „Besetzung Palästinas“. Das Thema werde im globalen Nordwesten sehr uninformiert und voreingenommen diskutiert. Auch die beiden Ruangrupa-Mitglieder würden „verfolgt“, so Karjevsky, als „angebliche Antisemiten“.

Die Geg­ne­r*in­nen focht das nicht an – ebenso wenig wie Kötterings Hinweis auf den späten November: Dann will die HFBK auf Initiative des Hamburger Instituts für Sozialforschung und in Zusammenarbeit mit der Universität der Bundeswehr einen Workshop sowie eine Podiumsdiskussion zur jüngsten Documenta „als politisches und kulturelles Ereignis“ ausrichten.

Reza Afisina (l) und Iswanto Hartono stehen vor dem Hauptgebäude der Hamburger Hochschule für bildende Künste

Umstrittene Gastlehrer: Reza Afisina (l.) und Iswanto Hartono am Mittwoch vor der Hochschule Foto: Georg Wendt/dpa

Überhaupt sei das ja die Chance der Gastprofessuren, sagt Köttering: Wo sollte sich aufarbeiten lassen, was da in Kassel schief gegangen sei, wenn nicht im geschützten Raum einer Hochschule? Aus Sicht der Protestierenden freilich ist schon die Diskussion über Antisemitismus Teil des Problems – weil sie zum vertretbaren Teil des Meinungsspektrums mache, was einfach bloß Verbrechen sei.

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