Keine drei Akkorde beherrschend

Gutes Beispiel für die Anti-Haltung des Frühachtziger-Undergrounds: Sprung aus den Wolken Reissue

Von Andreas Hartmann

Immer, wenn es mal wieder um Postpunk in Westberlin geht, um die frühen Achtziger, um Martin Kippenberger, Blixa Bargeld und die Ratten-Jenny, fehlt in diesen Erinnerungen eine Band und eine der schillerndsten Gestalten der damaligen Szene, oder sie tauchen nur als Randnotiz auf: Sprung aus den Wolken, ins Leben gerufen von

Kiddy Citny alias Inri Intrigo.

Der Status der Band ist heute nicht viel höher als der einer Obskurität aus der wildbewegten New-Wave-Ära. Dabei gehörten sie zu den herausragendsten Krachbands dieser Zeit. Sie waren Teil der Bewegung der Genialen Dilletanten rund um die Tödliche Doris und betourten einst die Republik gemeinsam mit den Einstürzenden Neubauten unter dem Motto „Berliner Krankheit“. Und eines ihrer Stücke landete später sogar auf dem Soundtrack zu Wim Wenders’ Film „Der Himmel über Berlin“. Was auch nicht unbedingt bei der Vermehrung des Ruhms dieser Band hilft, ist die arg überschaubare Verfügbarkeit ihrer Tonträger. Viele ihrer Platten erschienen ausschließlich als Kassetten und wurden nur bruchstückhaft auf anderen Medien neu aufgelegt. Vertrieben wurden sie über eigene Labels. Anfangs war das das sagenumwobene Cassetten Combinat, bei dem Citny nur schwer experimentellen New Wave und Industrial herausbrachte, später das Label Faux Pas.

Weil die Band auch sonst nie viel davon hielt, handelsüblichen Musikbusinessstrategien nachzugehen, hatte ihre erste Veröffentlichung keinen Titel, die zweite hieß dann verwirrenderweise „Debü“, die dritte ist eine Split-LP mit der Band Hypnotischer Krach, die eigentlich auch nichts anderes als Kiddy Citny unter anderem Namen waren.

Und 1982 erschien dann erneut eine Platte ohne Namen, die nun endlich vom Hamburger Label Bureau B neu aufgelegt wurde. Der Grundstein für eine verdiente Wiederentdeckung von Sprung aus den Wolken wäre damit gelegt.

Auf dem Reissue fehlen Informationen, wer an der Produktion der Platte neben Citny beteiligt war. Unter anderen sollen hier Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten und Jochen Arbeit, der inzwischen ebenfalls bei den Neubauten gelandet ist, ihre Finger mit im Spiel gehabt haben.

Gleich der Einstieg in die Platte, das Stück „Noch lange nicht“, klingt erstaunlich. Da wären die ganzen Percussion­sounds, Geklöppel auf Schrott und Metallrohren in klassischer Neubauten-Manier. Vor allem spielt sich da aber der Bass in den Vordergrund, umweht von viel Hall und spukigen Echosounds. Die Band versucht sich hier an einer Art postpunkigem Westberlin-Dub und Citny kräht und bellt dazu mit seinem Gesang, der sich anhört wie eine Aneinanderreihung hysterisch gebrüllter Befehle.

Das nächste Stück, „Freue mich auf dich“, wo Citny es ziemlich gut hinbekommt, angesichts des kaputten Lärms, den er hier ausbreitet, seine Freude auf wen auch immer zu verbergen, ist dann eher Industrial in der Tradition von Throbbing Gristle und SPK. Gnadenlos stumpfe Synthiebeats, Störgeräusche und dazu wieder Citny, der so klingt, als würde er gerade sterben, obwohl er andauernd behauptet: „ich freue mich“.

Einen besseren Krachdub aus Deutschland in den frühen Achtzigern, der passenderweise so klingt, als sei er im Inneren einer Mülltone aufgenommen worden, als den auf dieser Platte findet man sonst nirgends. Diese Musik ist sperrig bis zum Anschlag und damit ein herausragendes Beispiel für die Anti-Haltung des Frühachtziger-Undergrounds in Berlin. Für Punk brauchte man wenigstens noch drei Akkorde, Sprung aus den Wolken beherrschten nicht einmal die. Und das ist natürlich anerkennend zu verstehen.

Sprung aus den Wolken – (Bureau B)