Internationale Handelspolitik: Der Schrecken des Taiwanszenarios

Die Abhängigkeit von China steht in keinem Verhältnis zu der von Russland. Ohne die Großmacht müsste Deutschland Abschied von der Energiewende nehmen.

Illustration: Katja Gendikova

Der Einstieg der Reederei Cosco bei einem Terminal im Hamburger Hafen, die geplante Übernahme des Dortmunder Chip-Herstellers Elmos, die Beteiligung Huaweis im deutschen 5G-Mobilfunknetz – immer mehr chinesische Investitionen geraten derzeit zum öffentlichen Zankapfel. Die Befürchtung ist klar: Nach dem Desaster mit Russland wollen wir uns nicht gegenüber der nächsten Autokratie in immer stärkere ökonomische Abhängigkeit begeben, zumal von einer, die zu Hause die Menschenrechte mit Füßen tritt und möglicherweise eigene Kriegsabsichten in Taiwan hegt.

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Doch eine kohärente Strategie der Bundesregierung im Umgang mit China ist bislang nicht erkennbar. Sie hangelt sich von Einzelfall zu Einzelfall und setzt zu sehr auf defensive Abwehrmaßnahmen. Dabei wäre jetzt die Stunde für eine offensive Investitionsagenda, um den Industriestandort Europa attraktiver, souveräner und krisenfester zu machen.

In den Konzernzentralen und Ministerien wird derzeit ein heftiges Krisenszenario durchgespielt. Sollte China tatsächlich bald in Taiwan einmarschieren, würde der Westen umfassende Wirtschaftssanktionen verhängen. Den Takt würden die USA angeben. Sie könnten dabei im Extremfall wie beim Iran vorgehen und Sekundärsanktionen gegen alle verhängen, die nicht mitziehen wollen.

Für deutsche Unternehmen könnte dies auf eine fatale Entscheidung hinauslaufen: Geschäfte entweder mit den USA oder mit China – beides ginge nicht mehr. Dabei war der äquidistante Drahtseilakt mit guten Beziehungen zu allen Seiten doch über lange Jahre das politisch zweifelhafte, aber ökonomisch höchst effektive Erfolgsrezept der deutschen Exportindustrie.

Handelsvolumen von 250 Milliarden Euro

Ein solches Taiwanszenario mag unwahrscheinlich sein – so betonen es interessierte Kreise jedenfalls immer wieder. Doch wenn es eintritt, wäre es für die Weltwirtschaft und insbesondere für Deutschland ein ökonomischer Schock, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. Das deutsche Handelsvolumen mit China beträgt rund 250 Milliarden Euro pro Jahr, mehr als viermal so viel wie mit Russland. Und die Abhängigkeiten sind weitaus vielfältiger.

Bei Russland ging es „nur“ um Energieimporte, die ersetzt werden mussten. Als Absatzmarkt ist Russland hingegen praktisch irrelevant. Ganz anders China. Namhafte deutsche DAX-Unternehmen, allen voran die Autobauer, erwirtschaften dort mehr als ein Drittel ihres gesamten Konzernumsatzes. Fiele das plötzlich weg, müssten sie ums Überleben kämpfen, denn kein anderer Markt könnte solche Volumina auf die Schnelle absorbieren.

Zugleich sind wir abhängig von allerlei Importen. Bei einem plötzlichen Ausfall der chinesischen Zulieferer stünden im fernen Europa alle Räder still, denn oftmals ist kurzfristig gar keine Alternative verfügbar. Der Sachverständigenrat attestierte Deutschland jüngst eine kritische Importabhängigkeit in 248 Fällen. Darunter fallen Rohstoffe und Vorprodukte, die in der Wertschöpfung unverzichtbar sind und für die es zugleich nur sehr wenige Bezugsquellen weltweit gibt.

Rotorblätter und Solarpanels

Betrachtet man das gesamte Handelsvolumen dieser Güter, kommt rund die Hälfte aus China. Konkret geht es etwa um verschiedene EDV-Geräte, um Antibiotika, um Rotorblätter für Windräder oder um Solarpanels. Es ist bitter, aber ohne China ist die deutsche Energiewende gestorben – eine Spätfolge des industriepolitischen Desasters von 2013, wo man die Solarbranche und mehr als hunderttausend Arbeitsplätze einfach zu den üppigen Subventionen nach Peking ziehen ließ.

Kurzum: ein abruptes Ende der Handelsbeziehungen mit China wäre ein ökonomisches Desaster. Forcieren will es darum niemand. Trotzdem könnte es Umstände geben, wo es dennoch eintritt, wie etwa im Taiwanszenario. Um sich irgendwie auf diesen Fall der Fälle vorzubereiten, werden gerade allerlei politische Initiativen entfaltet, darunter die nationale Sicherheitsstrategie der Bundesregierung, die im kommenden Jahr vorgestellt werden soll.

In vielen Unternehmen passiert dasselbe. Hier lautet das Schlagwort „Diversifikation“. Nolens volens bauen viele ihre Lieferketten in Richtung „China plus 1“ um. Fortan soll es auf allen Stufen mindestens eine Alternative in einem anderen Land geben. Deshalb reisen gerade so viele Wirtschaftsdelegationen nach Vietnam, Indien oder Singapur. Auch chinesische Firmenbosse reisen dorthin und bauen gezielt Produktionsstätten auf. So könnte nämlich im Ernstfall das Geschäft mit den westlichen Partnern möglicherweise weiterlaufen.

Eine andere Strategie zur Rettung des Chinageschäfts besteht in der Lokalisierung. Die Bundesbank verzeichnete jüngst einen deutlichen Anstieg der deutschen Direktinvestitionen in China. Dahinter stecken oft DAX-Unternehmen und große Mittelständler, die vor Ort eine geschlossene Fertigungslinie aufbauen wollen, bisweilen in der Hoffnung, dass diese auch im Konfliktfall Bestand haben dürfte, weil sie ohne Güterströme mit dem Westen auskommt.

Im Zweifel hilft der Staat

Produziert in China und für China – bloß unter dem Dach einer deutschen Holding. Ob diese Rechnung wirklich aufgeht, bleibt abzuwarten. Die Politik kann diesem Treiben oft nur zuschauen, denn Investitionsentscheidungen werden von den Unternehmen getroffen. Einige mögen gar darauf spekulieren, dass sich ein weiterer Ausbau des Chinageschäfts für sie allein deshalb lohnt, weil der Staat ihnen bei einem möglichen Untergang schon irgendwie beispringen wird.

Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren – nicht erst seit der Finanzkrise ist das ein beliebtes Motiv der Unternehmenslenkung. Zwar könnte die Politik versuchen, diese Vollkaskomentalität im Keim zu ersticken und stärker lenkend einzugreifen. Doch wie glaubwürdig ist das im Ernstfall? Zudem bräuchte die Bundesregierung dann ein strategisches Ziel, was sie mit ihrer Politik konkret erreichen will. Aber daran mangelt es.

Stattdessen werden recht willkürlich einzelne chinesische Investitionen zum Gegenstand einer öffentlichen Debatte gemacht. Nach welchen Kriterien das geschieht, bleibt dabei unklar. Wo vitale Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik betroffen sind, ist eine intensive Überprüfung selbstverständlich. Wenn auch nur das kleinste Risiko besteht, dass ein chinesischer Staatskonzern ein deutsches Datennetz kontrollieren und auf Geheiß der Staatsführung in den Blackout schicken könnte, müssen sofort alle Ampeln auf Rot springen.

Bei dem Verlust kritischen geistigen Eigentums verhält es sich ähnlich. Doch das eher allgemeine Argument, eine Investition wie die von Cosco dürfe nicht zugelassen werden, weil China dadurch möglicherweise seine globale Marktposition ausbauen könnte, reicht für ein Verbot eigentlich nicht aus. Denn ein solches Streben nach einer starken Marktposition wohnt vielen Investitionen inne, ganz gleich welchen Ursprungs. Überhaupt ist der Kontrollansatz gefährlich.

Recht schnell kommt als Kernbotschaft rüber, dass chinesische Investitionen generell nicht mehr willkommen sind. Wer das meint, sollte sich indes der Konsequenzen bewusst sein. Denn über kurz oder lang würde Peking natürlich eine Antwort finden und seinerseits deutsche Investitionen beschränken. Das Problem einer solchen Interventionsspirale ist, dass für uns weitaus mehr Geld und Arbeitsplätze im Feuer stehen. Denn weiterhin investiert Deutschland viel mehr in China als andersherum.

In die heimische Produktion investieren

Statt rein defensiv, sollten Deutschland und Europa besser offensiv agieren. Wenn wir von China und anderen Autokratien loskommen wollen, sind mehr heimische Investitionen in strategisch wichtigen Bereichen notwendig, wo bislang noch kritische Importabhängigkeiten bestehen. Zuallererst bei den erneuerbaren Energien und bei Wasserstoff, aber auch bei wichtigen Komponenten wie Halbleitern oder Batterien. Solche Industriepolitik ist nicht per se protektionistisch oder gegen China gewandt.

Sie schmeißt nicht anderen Knüppel zwischen die Beine, sondern baut konstruktiv heimische Produktionskapazitäten auf. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Hierfür wird auch Staatsgeld fließen müssen. Doch machen wir uns nichts vor: Daran führt in unserem Zeitalter der geoökonomischen Blockbildung sowieso kein Weg mehr vorbei. Das staatskapitalistische China hat seine Unternehmen von je her heftigst gepäppelt und subventioniert.

Und mit Joe Bidens Inflation Reduction Act (IRA) sind die Vereinigten Staaten dabei, zum zweiten großen Spieler auf diesem Feld zu werden. So legt er, etwa für die Förderung von Elektromobilität, hohe Milliardensummen auf den Tisch. Für uns ist das Fluch und Segen zugleich. Einerseits gibt es aus globaler Perspektive wahrlich Schlimmeres als eine Förderung klimafreundlicher Technologien in den USA. Andererseits drohen empfindliche Marktanteilsverluste in Zukunftsbranchen, wo wir uns eigentlich noch ganz vorne wähnten.

Deshalb muss Europa handeln, um ein Gleichgewicht mit den Subventionen der anderen zu wahren. Auf dem Gipfeltreffen der EU, das dieser Tage in Brüssel stattfindet, versuchen sich die Staats- und Regierungschefs daran, eine kraftvolle Antwort zu finden. Doch ob das gelingt, oder ob das Thema im Streit und in der Fülle der anderen Krisen – vom Ukrainekrieg bis Viktor Orbán – unterzugehen droht, ist derzeit noch nicht absehbar.

Das Gute ist, dass die richtige Antwort gleich mehrere offene Fragen beantworten könnte. Denn eine europäische Investitionsagenda mit entsprechenden Reformen des EU-Beihilferechts und der Fiskalregeln wäre nicht nur die richtige Reaktion auf die neue amerikanische Industriepolitik. Auch die Abhängigkeiten von China lassen sich letztlich nur durch eine offensive Strategie abbauen.

Der Fokus sollte auf dem Ausbau der eigenen Stärken liegen, nicht auf der medialen Skandalisierung, wenn chinesische Investoren versuchen, in Europa aktiv zu werden.

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