Neues Album von Britrapperin Little Simz: Ansage und Absage

„No Thank You“ heißt das kämpferische neue Album. Damit zeigt Little Simz, dass sie zu den ganz großen Stimmen im HipHop gehört.

Little Simz kniet auf einem Bett und kuckt aufmüpfig

London is the place for me: Little Simz Foto: Karolina Wielocha

„This is the moment. I got to speak now“, verkündet Little Simz in „Angel“, dem Auftaktsong ihres neuen Albums „No Thank You“. Überraschend hat es die Londoner Rapperin am Montag dieser Woche veröffentlicht. Gerade mal 15 Monate sind vergangen seit seinem Vorgänger, dem Meisterwerk „Some­times I Might Be Introvert“, das ihr vor Kurzem den „Brit Award“ als Newcomerin des Jahres eingebracht hat.

Eine Newcomerin ist Little Simz dabei gewiss nicht. Fünf Alben, einige Mixtapes und EPs sowie ausverkaufte Welttourneen stehen auf dem Konto der 28-Jährigen. Sie sei wie Picasso, nur eben mit einem Schreibstift statt eines Pinsels, behauptete Little Simz mal in einem ihrer Songs. Aufgewachsen ist die Londonerin gleichermaßen mit Shakespeare, britischem Grime und nigerianischem Afrobeat. „Das war bei mir zu Hause immer vorhanden, dem konnte ich gar nicht entkommen“, sagt Simz.

Reime schreibt Simbiatu Ajikawo, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, seit sie neun Jahre alt ist. Damals traf sie in einem Jugendzentrum im Londoner Stadtteil Islington auf den Produzenten Dean Josiah alias Inflo. „Er ist wie ein großer Bruder für mich“, bemerkt sie 2019 in einem Interview. „Selbst wenn wir nicht zusammen Musik machen, ist er immer da und gibt mir Ratschläge. Auch, wenn wir im Studio zusammenarbeiten. Er ist immer noch derselbe Flo, ich bin dieselbe Simz.“

Streicher-Crescendi

Inflo ist aber nicht nur Simbiatu Ajikawos Kindheitsfreund und Mentor, sondern zudem einer der gefragtesten Produzenten des Vereinigten Königreichs. Mit seinem Projekt Sault hat er 2022 sechs (!) Alben veröffentlicht. Obwohl er so gut wie nie öffentlich auftritt, räumte auch er bei den Brit Awards ab, wurde zum Producer of the Year ernannt, der erste Schwarze in dieser Kategorie in der mehr als 40-jährigen Geschichte des Preises.

Little Simz: „No Thank You“ (Forever Living Originals/AWAL)

Schon auf „Sometimes I Might Be Introvert“ kreierte Josiah mit Crescendi aus Streichern und Bläsern ein musikalisches Universum für Little Simz, durch das sie mit introspektiven Beobachtungen und interessant komponierten Zwischenspielen führte wie durch eine epische Erzählung.

Musik als Therapie – dieser Faden zieht sich durch die Diskografie von Little Simz. So hat auch das mit zehn Tracks recht kurze „No Thank You“ mehr gemein mit seinem bombastischen Vorgänger, als man zunächst glauben mag: Der introspektive Blick auf das Selbst und die eigene Psyche steht in diesen knapp 50 Minuten genauso im Mittelpunkt. Mit Zeilen wie „No one ever told you that your mind is not to be played with (…) Why is mental health a taboo in the black community?“ verschränkt sie das Thema der geistigen Gesundheit mit Rassismus, oft auch mit Sexismus.

Ausbeutung in der Musikindustrie

Ausbeutung in der Musikindustrie spielt bei Little Simz ebenfalls immer wieder eine Rolle und wird mit ihrer Erfahrung als Schwarze Britin verwoben: „I refuse to be on a slave ship, give me all my masters and lower your wages.“ Sie fordert also die Masterbänder ihrer Tonaufnahmen zurück und dass die Plattenbosse ihre eigenen Löhne reduzieren.

Little Simz veröffentlicht ihre Musik dabei weitestgehend allein. Das macht sie künstlerisch unabhängig, lässt sie aber zugleich auf allen Kosten sitzen. Ihre ­US-Konzerte musste Little Simz dieses Jahr absagen, weil sie die finanziellen Risiken einer ­Übersee-Tour nicht tragen konnte. „Everybody here getting money off my name / Irony is, I’m the only one not getting paid,“ kommentiert sie auf „No Thank You“.

Auch musikalisch ist dieses neue Album wieder ein geschichtsbewusster Rundumschlag mit Anleihen bei R&B, Soul, HipHop und Klassik. „Gorilla“ ist ein Banger mit Fanfarenschlag und klassischem Boombap-Beat, den Simz mit ihrem unvergleichlichen Flow umspielt. In „Silhouette“ wechseln sich warme Drums mit dramatischen Chören und cineastischen Streichern ab. Auch die Sängerin Cleo Sol, die wie Inflo Teil von Sault ist, begleitet mit ihrem luftigen Gesang wieder die pointierten Zeilen von Little Simz.

„Who Even Cares“ ist elektronischer Bedroomsoul mit einem wabernden Instrumental, eine zurückhaltende Kick­drum führt durch den Song. Cleo Sol dominiert fast den ganzen Song – sobald Little Simz dann einsetzt, klingt sie, als würde sie von einem anderen Stern zu uns herüberrufen, eher singend als rappend, ihre Stimme leicht verfremdet.

Wenn die letzten Klavierklänge nach knapp 50 Minuten verhallen, spürt man, Simbiatu Ajikawos fünftes Album ist eine Ansage: Little Simz beweist sich mal wieder als eine der wichtigsten Stimmen in ihrem Genre, mit Instrumentals, die Anknüpfungspunkte weit darüber hinaus bieten. „No Thank You“ ist aber auch eine Absage: an die Mechanismen der Musikindustrie, an Ausbeutung und die Erwartungen der Gesellschaft an Schwarze Frauen. Little Simz kümmert sich um sich selbst. Dass sie uns daran teilhaben lässt, ist ein wahrer Glücksfall.

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