Nachlass von David Bowie: Der rote Faden seines Schaffens

Mit „Divine Symmetry“ erscheint ein umfangreiches Boxset aus dem Nachlass David Bowies mit unveröffentlichten Versionen seines Albums „Hunky Dory“.

Portrait von David Bowie aus dem jahr 1971

David Bowie, Aufnahme aus dem Jahr 1971 Foto: Photoshot/imago

Die USA waren auch für David Bowie ein Mythos und zugleich die Triebfeder seines Schaffens. In Augenschein nehmen konnte der britische Popstar das riesige Land erst Anfang des Jahres 1971, um das Album „The Man Who Sold the World“ (1970 in Großbritannien veröffentlicht) auch in Übersee zu promoten.

In New York traf er sogar einige seiner US-Helden persönlich: Den Künstler-Doyen Andy Warhol – dem er einen Song widmete, von dem Warhol allerdings nicht angetan war – und vermeintlich auch Lou Reed. Später sollte sich allerdings herausstellen, dass Bowie Reed mit Doug Yule verwechselt hatte, der bei Velvet Underground einstieg, als Reed rausgeflogen war. Die Verwechslung bemerkte Bowie nur im Nachhinein.

Und wir wissen das jetzt auch, weil eine weitere Veröffentlichung aus dem Nachlass von David Bowie zu begutachten ist. Dessen Ausschlachtung mutet bisweilen inflationär an. Und tatsächlich, das sei vorweg genommen, ist vieles, was es auf dem neuen Boxset „Divine Symmetry“ von David Bowie zu hören gibt, eher etwas für Die-Hard-Fans.

Etliche der 48 Songs in diesen Versionen sollten größtenteils nie offiziell veröffentlicht werden. Sie werden auch die ein oder anderen Fans verstören. Die Klangqualität der Home-Demos und Live-Mitschnitte ist durchaus schwankend.

Erkenntnisgewinn in vier CDs

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Und doch lohnt diese liebevoll gestaltete, vier CDs umfassende Zusammenstellung. Denn, anders als bei manch Veröffentlichung der letzten Jahre, steckt darin viel Mühe und einiger Erkenntnisgewinn. Der Untertitel „An Alternative Journey Through Hunky Dory“ deutet es bereits an: Mit der Songsammlung lässt sich bestens nachvollziehen, welche Entwicklung der damals 24-jährige britische Popstar in dem für ihn so bewegten Jahr 1971 nahm.

Bowie erfand sich mit dem Album „Hunky Dory“ in wenigen Monaten zum ersten Mal neu. Nicht wenigen gilt es darum als sein überhaupt bestes Werk – neben dem Album „Low“ (1977) vielleicht.

Unter anderem feiert Bowie da-rauf recht offenherzig seine Vorbilder, etwa im „Song for Bob Dylan“. Auch Lou Reed bekommt mit „Queen Bitch“ seine Hommage in Songform. Sogar dessen Gesangsstil versuchte Bowie in dem „Looking For A Friend“ zu imitieren, wenn auch eher erfolglos. Der bluesige Song sollte eigentlich auf das nachfolgende Album „The Rise and Fall of Ziggy Stardust“ (1972), wurde aber damals wieder aussortiert.

Zugleich war der Brite 1971 an einem Punkt in seiner Karriere, an dem er es wirklich wissen wollte. Die britische Musikpresse schrieb ihn als Has-Been ab, der zu viel ausprobierte und trotzdem nie den Durchbruch geschafft hat. Sein Album „Space Oddity“ hatte ihm, im Fahrwasser der Mondlandung 1969, zwar einen Hit beschert, aber eben auch das Image eines One-Hit-Wonders.

Bowie kurz bevor er „Ziggy“ wurde

Einige der Liveaufnahmen, die auf der Box zu finden sind, hört man die Mischung aus Nervosität und latenter Verzweiflung an, die Bowie damals umgetrieben haben muss – es war noch ein weiter Weg hin zu dem theatralisch souveränen Entertainer, der er mit „Ziggy Stardust“ 1972 werden sollte. Das Album, das ihm den Durchbruch bescherte, erschien nur ein halbes Jahr nach „Hunky Dory“ – welches übrigens auch erst im Ziggy-Fahrwasser die gebührende Aufmerksamkeit erhielt.

Die Songs der beiden Alben entstanden parallel, doch „Hunky Dory“ ist deutlich eklektizistischer – englische Music Hall-Tradition trifft auf Velvet Underground-Minimalismus, akustische Folk-Ballade („Quicksand“) auf Sinatra-Parodie („Life on Mars“).

David Bowie: „Divine Symmetry – An Alternative Journey Through Hunky Dory“ (Parlophone/Warner)

Zudem fand sich auf dem Album erstmals die ganze Bandbreite der Themen, auf die Bowie trotz seiner quecksilbrigen Kreativität immer wieder zurückkommen sollte, so etwas wie der roten Faden seines Schaffens. Die Auseiandersetzung mit der menschlichen Isolation; eine Faszination für Okkultismus; Angst vor, aber auch zugleich Faszination für das mindbending-Potenzial psychischer Erkrankungen.

Der Einfluss des schizophrenen Halbbruders

Bowies älterer, für seine künstlerische Sozialisation ausgesprochen prägender Halbbruder Terry war damals bereits an Schizophrenie erkrankt. „Rockmusik höre ich grundsätzlich nicht,“ erklärte Bowie dem britischen Musikmagazin Sounds im August 1971 „Ich bin nicht besonders musikalisch, Pop ist einfach nur eine Plattform für meine eigenen abseitigen Gedankengänge.“

Im Song „Bewley Brothers“ (zu finden auf „Hunky Dory“) besingt Bowie seinen Bruder: „Now my Brother lays upon the Rocks/He could be dead/He could be not/ He could be You/He's Chameleon, Comedian, Corinthian and Caricature“. Bedauerlicherweise lässt sich die Entstehungsgeschichte dieses Songs auf „Divine Symmetry“ nicht nachverfolgen, es gibt dazu keine Skizzen.

Drei Versionen zeichnen die Evolution des Songs „Changes“ nach: Bowies zahllose Häutungen wurden in dieser mission statement vorweggenommen. 'Tired Of My Life’ klingt dagegen nach Teenager-Weltschmerz. Auf halber Strecke nimmt der Song eine atmosphärische Wendung, die Bowie ein knappes Jahrzehnt später noch einmal aufgreifen sollte, im new-wavigen „It’s No Game“ (zu finden auf dem Album „Scary Monsters“ 1980). Auch Bowie, das illustriert dieses Boxset, musste manche seiner Ideen lang beackern, bis etwas Rundes daraus wurde.

Divine Symmetry

So lässt „Divine Symmetry“ auf sympathische Weise ein bisschen die Luft aus dem Geniekult, der sich in die letzten Jahren in die Bowiesche Gesichtsschreibung eingeschlichen hatte und ihn zunehmend als unfehlbar inszenierte. Zuletzt etwa in der filmischen Collage „Moonage Daydream“ von Brett Morgan.

Auch wenn das eine durchaus wilde Bilderreise war, wurde aus dem Drehbuch leider so mancher Bruch in Bowies Entwicklung weggeschmirgelt. „Divine Symmetry“ zeigt, dass es selbst für einen David Bowie ein rumpeliger Weg war, der zu werden, als der er in die Geschichte einging.

Herzstück der Box ist ein schön gestaltetes 100-seitiges Buch, mit Fotos, Memorabilia und Hintergrundinformationen zur Entstehung aller Tracks – eine Zeitreise ins Jahr 1971, die sich auch auf dem coffee table des Gelegenheitsfans gut macht. Außerdem enthalten sind ein opulentes 60-seitiges Booklet mit Songtexten und Bowies Produktionsnotizen von damals und einer BluRay mit „Hunky Dory“ in gemasterter Form und alternativen Mixen.

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