Ausstellung über das Wünschen: Endorphine in Bewegung

Im Märchen sind Wünsche mächtig und gefährlich. Was das Wünschen heute mit sozialen Medien zu tun hat, zeigt eine Ausstellung in Kassel.

Eine Frau mit Virtuell Reality Brille sitzt auf einer Schaukel

In der Grimmwelt kann man sich auf der Schaukel fast den Wunsch des Fliegens erfüllen Foto: Sascha Mannel

In der Welt scheint es ein stetiges Hintergrundsurren zu geben. Das sind die Krisen, die wie Entzündungsherde auf der Welt verteilt sind. Krisen lassen den Menschen hoffen, beten­ und wünschen. Auf Veränderung, die ein gutes Ende mit sich bringt. Das gute Ende, so sagen manche, gibt es nur im Märchen. Das Wünschen hingegen ist allgegenwärtig und birgt das Potenzial, eine Vision in Realität zu verwandeln.

In der aktuellen Sonderausstellung „unmöglich? Die Magie der Wünsche“ in der Grimmwelt in Kassel geht es ums Wünschen und um Märchen. Die Designerin Hanna Krüger und der Designer Jakob Gebert aus Kassel haben das abwechslungsreiche Ausstellungskonzept entwickelt und kuratiert. Dieses ist in drei Bereiche unterteilt: Es beginnt mit dem Kapitel des Wünschens, gefolgt von den Möglichkeiten der Wunscherfüllung, den Abschluss bilden wiederum die unerreichbaren Wünsche, die Utopien.

Am Eingang bekommen Besucherinnen und Besucher einen Plastikball, der in seiner Haptik und Größe auch aus einem Bällebad stammen könnte. Auf simple Weise schafft er es, neugierig zu machen. Gleich zu Beginn des Ausstellungsraums ist da ein knapp zwei Meter hoher Glasbehälter, der in seiner Kastenform zwar nicht an einen Brunnen aus einem Märchen erinnert; aber durch den Akt, die Bälle hineinzuwerfen, entsteht die Assoziation eines modernen „Wunschbrunnens“, wie im Titel der Installation.

Er wird beschrieben als ein Ort der Transformation. Denn jeder der Plastikbälle wird mit einem eigenen Wunsch, leise oder laut ausgesprochen, in den großen Behälter verabschiedet. Ohne die einzelnen Wünsche zu kennen, wohnen den Bällen plötzlich Geschichten und eine Sehnsucht inne. Könnte man den einzelnen Bällen ihre Sehnsüchte ablesen, wären sicherlich schnell Gegensätzlichkeiten und Überschneidungen zu erkennen.

Ein Delfin in der Kaffeetasse

Wünschen und Träumen liegen nah beieinander. In dem 18 Sekunden lange Video „Kaffee“ von Rafael Sommerhalder ist eine kleine Illusion, ein simpler Tagtraum zu sehen: Aus einer Kaffeetasse springt hin und wieder ein Delfin heraus, um gleich wieder in der dunklen Brühe zu verschwinden. Entstanden ist die Idee, als sich in der Tasse des Künstlers vor ein paar Jahren ein Flugzeug spiegelte.

Die Mittel der digitalen Bearbeitung tauchen in der Ausstellung nicht ohne Grund auf. In Märchen herrscht eine eigene Kausalität, die von Zauberkräften beeinflusst wird. Die digitale Welt mit Bearbeitungsprogrammen wie Photoshop erinnert in ihren Möglichkeiten oft an Zauberei. Programme können Illusionen entstehen lassen und visuelle Wünsche erfüllen.

Dafür gibt es Tools, die sich „Zauberstab“ nennen und in der Lage sind, wie von Zauberhand Bildinhalte zu verändern und zu beeinflussen. In sozialen Medien kursieren diverse Filter, für alle frei zugänglich, die Menschen ihre Gesichter glätten lassen, Augenfarben verändern und ganze Gesichtszüge beeinflussen können. Da braucht es keine drei Haselnüsse. Körper und Gesichter werden in der digitalen Welt dann so verändert, dass nicht mehr differenziert werden kann, was echt und was verändert ist. Dies kann zu gefährlichen Verzerrungen der Realität führen.

Der Verschmelzung des Analogen und des Digitalen begegnet man oft in der Ausstellung. So ist während des Rundgangs konstant ein leises Geräusch zu hören: nicht als „Hintergrundsurren“ der Krisen, sondern als kleine, harmlose Melodie, die von einer VR-Brille kommt. Wer diese Erfahrung machen möchte, bekommt die VR-Brille aufgesetzt, wenn er oder sie auf einer Schaukel mitten im Ausstellungsraum Platz nimmt.

Die Brille ermöglicht eine dreidimensionale Rundumsicht animierter Bilder. In dem Fall ist es eine Welt, die wie aus einem Animationsfilm wirkt, von oben zu sehen. Die Bewegung des realen Schaukelns wird integriert in die virtuelle Welt. Der Flug, der sich ziemlich echt anfühlt, beginnt nah über der Erde und endet nach ein paar Minuten Endorphinausschüttung im Weltall.

Durch sein Volumen und seine Größe zieht ein großer von der Decke schwebender Baum den Blick an. Eine Menge roter Ballons bildet die Baumkrone. Der Baum ist ein wiederkehrendes Symbol in Märchen. „Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich, wirf Gold und Silber über mich“, sagt Aschenputtel im Märchen. Der Baum mit den Ballons stammt vom Künstler MyeongBeom Kim und erinnert an den Animationsfilm „Oben“ von 2009, in dem etliche Ballons ein Haus fliegen lassen und forttragen.

Animationsfilme knüpfen immer wieder an Märchen an und sind oft die moderne Version alter Geschichten. Was sie verbindet, sind moralische Fragen und hin und wieder das Gute, das am Ende siegt. Doch die ausgestellten Illustrationen zu den Märchen der Brüder Grimm lassen auch über einen Unterschied nachdenken. Denn sie zeigen überwiegend die gleichen Archetypen. Aktuelle Animationsfilme und Kinderbücher suchen dagegen oft nach neuen Repräsentanten der Märchenfiguren, differenziert in den Erscheinungsformen von Körpern und Hautfarben – und auch sie erfüllen damit einen gesellschaftlichen Wunsch.

Böses Wünschen

Das Gegenstück des Wünschens ist das Verwünschen. In Märchen ist es konkret, im realen Leben subtil. Während bei Dornröschen durch die Verwünschung einer gekränkten Fee ein ganzes Land über Jahre in tiefen Schlaf fällt, ist es die Eifersucht, die die bildende Künstlerin Jenny Rova in einer Arbeit thematisiert.

In einem Heft mit dem Titel „I would also like to be – A work on jealousy“ versammelt sie Fotos vom Facebook-Profil ihres Ex-Freundes. Es sind Fotos von ihm und seiner neuen Freundin. In ihren Fotocollagen hat sie sich selbst an die Stelle der Partnerin geklebt. Die Arbeit wird als Verarbeitung der eigenen Gefühle beschrieben. Zu sehen ist sie mit ihrem Kopf ruhend auf der Schulter des Ex-Partners, nah beieinander stehend in der Natur und in Einzelaufnahmen fotografiert aus seiner Perspektive.

Sie selbst leitet das Heft mit den Worten „Ich spioniere meinen Ex-Partner und seine neue Freundin aus“ ein. Soziale Medien sind oft subtil übergriffig und bekannt dafür, das Potenzial zu besitzen, Wünsche und Sehnsüchte in Menschen zu erwecken, die abseits der Realität liegen. Der Akt des Downloadens aller Facebook-Fotos ist unangenehm vereinnahmend, macht deutlich, wie leicht es ist, sich unbemerkten Zugriff über andere Profile zu verschaffen.

In Märchen spielt neben dem Wünschen das Ende eine zentrale Rolle. Hier entscheidet sich, wer siegt, stirbt oder glücklich wird. Die Ausstellung schließt mit der Frage „Happy End?“ ab. Mit der Freude, mit der man die Ausstellung verlässt, ist es für den Moment allemal ein gutes Ende.

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