Konzert der türkischen Band Lalalar: Die Suche nach neuen Verbindungen

Die Band Lalalar setzt in ihrer extrem tanzbaren Musik Samples aus der türkischen Volksmusik ein. Das Istanbuler Trio kommt nach Deutschland.

Drei Menschen mit verformten Gesichtern und bunten Klamotten schauen in die Kamera

Augenzwinkernde politische Statements und düstere Gegenwartsanalyse: Lalalar Foto: Les Disques Bongo Joe & Dunganga Records

Es sind Sätze, die nachklingen, und das liegt nicht nur an der mächtigen Hallfahne auf der Stimme des Sängers: „Erst fängt man an, sich selbst zu belügen / Später dann, niemandem mehr zu vertrauen.“ Eine tiefe und volle Stimme trägt die türkischen Verse vor, angetrieben von einer E-Gitarre, die eine Tonleiter von oben herab spielt. Viel mehr braucht die Band Lalalar nicht, um die Wucht ihres Werks zu entfalten.

Die drei Musiker aus Istanbul sind auf Europatour, kommende Woche präsentieren sie in Deutschland ihr aktuelles Album „Bi Cinnete Bakar“ (etwa: Im Angesicht des Wahnsinns).

Ihre düstere Musik zeichnet sich durch treibende Bassläufe, eingängige Rhythmen, psychedelische Gitarrenpatterns und getragenen Gesang einer markigen Männerstimme aus. Oder, um es mit Punkikone Iggy Pop zu sagen, der die Gruppe zuletzt in seiner BBC-Radiosendung vorstellte: „Wow, straight out Turkey. That was Lalalar. Ali Güçlü Şimşek, Barlas Tan Özemek and Kaan Düzarat, three of Turkey’s most innovative alternative artists.“

Şimşek spielt Bass und singt, in dem Stück „Kilavuz Karga“ (Führer Rabe) ist sein Part rhythmisch gesprochen. Der Titel ist angelehnt an ein türkisches Sprichwort: Wer einen Raben als Vorbild hat, wird die Scheiße an der Nase nicht los. Die passendere Übersetzung: Wenn ein Blinder den anderen leitet, so fallen sie beide in die Grube.

Lalalar: „Bi Cinnete Bakar“ (Bongo Joe); live 30. Januar, Bahnhof Ehrenfeld, Köln, weitere Konzerte im Mai

Extrem tanzbar

Trotz des an manchen Stellen fast sakral klingenden Gesangs ist die Musik von Lalalar für die Nacht gemacht und extrem tanzbar. Einige Stücke klingen so, als dürfte man sie ohne Nebelmaschine und Stroboskoplicht nicht abspielen, allen voran „Kötüye Bişey Olmaz“ (Dem Schlechten stößt nichts zu).

Was Arrangement und Energie angeht, ist der Song der sechsminütige Höhepunkt des Albums. Die Bassläufe klingen zwar auch schon in den ersten Titeln bedrohlich, dort sind aber auch immer wieder Abwandlungen in den Funk zu hören. „Kötüye Bişey Olmaz“ ist dagegen schön komponierte Electronic Body Music (EBM): stampfende Beats, verzerrte und sich überlagernde Instrumentals. Der Songtitel wird wie ein Slogan wiederholt und am Ende mit extra viel Verzerrung in den nächsten Track getragen.

Die sloganhaft daherkommenden Songtexte zeichnen die Musik von Lalalar aus. Kritik an der türkischen Regierung hört man da genauso deutlich wie absurde Phrasen: „Wenn Scheiße Geld wäre, würden arme Menschen ohne Arsch geboren.“ Die Polemik wirkt zwar teilweise etwas verkopft, und an manchen Stellen ist Rätselraten angesagt, wenn man den zahlreichen Metaphern nachgehen will. Dennoch: Die Musik funktioniert auch ohne Verständnis der Texte.

Viele Bands reiten auf der Welle des türkischen Psychedelic Rock. Lalalar klingen aber nicht nostalgisch

Psychedelischer Folkrock auf türkisch

Lalalar haben im vergangenen Jahr bei einigen großen Festivals gespielt, etwa in Frankreich, Belgien und der Schweiz. In Besprechungen wurde die Band einem Hype zugeordnet, den es auch in Deutschland seit einiger Zeit gibt. Bands wie die niederländisch-türkische Gruppe Altin Gün füllen mit psychedelischen Folkrock auf Türkisch, inklusive zugehöriger anatolischer Harmonien und Rhythmen, Konzertsäle von Konstanz bis Kiel.

Auch wenn es Ähnlichkeiten in der Tonalität und Ästhetik gibt: Während Altin Gün meist traditionelle türkische Folklieder interpretieren und diese mit einem guten Gespür für Ohrwürmer einem internationalen Publikum zugänglich machen, wirkt die Musik von Lalalar experimentierfreudiger und wilder.

Das Album „Bi Cinnete Bakar“ erzeugt düstere Stimmung, was neben den Bassläufen auch am Drumcomputer liegt, mit dem Kaan Düzarat die sphärischen Gitarrenklänge Barlas Tan Özemeks zerhackt.

Der nicht nur auf Deutsch lustig klingende Bandname Lalalar ist ein Wortspiel. Im Osmanischen Reich wurden die für die Erziehung der Prinzen zuständigen Beamten Lālā genannt, und „-lar“ markiert auf Türkisch den Plural. Die Lalas! Diese Lehrer galten in der Gesellschaft als hoch angesehen und hatten den Respekt des verwöhnten Osmanenherrscher-Sprosses sicher. Ob der Band zuzutrauen ist, sich im überdimensionierten Präsidentenpalast der türkischen Republik Respekt zu verschaffen und im politischen Ankara Leute zu erziehen? Zu wünschen wäre es.

Schon lange im Musikgeschäft

Die drei Musiker sind schon länger im Geschäft. Im Gespräch mit der linken türkischen Zeitung Bir Gün gaben sie an, dass Ali Güçlü Şimşek nach 20 Jahren „Kampf“ im Musikgeschäft auf der Suche nach etwas Neuem gewesen sei. 2018 habe er sich häufiger mit Barlas Tan Özemek unterhalten, beide seien schon lange befreundet gewesen. Zuerst hätten sie eine trommellose Kombo im Sinn gehabt, doch für ihre Sounds habe ihnen das verbindende Element gefehlt.

Gegenüber Bir Gün beschreiben sie einen Gründungsmythos im wahrsten Sinne des Wortes: In der Ägäis, bei einem gemeinsamen Treffen auf der Insel Bozcaada, hätten sie den Synthesizermeister Kaan Düz­arat gefunden. So sei man fortan als Trio unterwegs gewesen.

Ali Güçlü Şimşek arbeitet regelmäßig mit der preisgekrönten türkischen Indie-Künstlerin, Musikerin und Punkikone Gaye Su Akyol zusammen – diese steuerte wiederum die Coverkunst für Lalalars aktuelles Album bei.

Trotz eines Plattenvertrags beim Genfer Label Bongo Joe wurden Lalalar in der progressiven Musikszene der Türkei dafür gelobt, nicht für das Ausland zu komponieren, sondern den Kontakt zur alternativen Bewegung des Landes zu halten. Die Art, wie sie Samples aus der türkischen Volksmusik, etwa Kemen­çe und Bağlama, einsetzen, klingt weniger nostalgisch motiviert als bei anderen Gruppen, die auf der Welle des türkischen Psychedelic Rock reiten.

Bandiera rossa

Dur-Harmonien hört man auf „Bi Cinnete Bakar“ nur im letzten Song, der gleichzeitig auch Titel des Albums ist. Seine Melodie variiert das auch in der Türkei bekannte italienische Arbeiterlied „Bandiera rossa“, lässt es gemächlicher und zugleich weniger pathetisch klingen. Nach einem düsteren Ritt durch eine bittere Gegenwartsanalyse stimmt der Song vorsichtig hoffnungsvoll: „Was passiert, wird geschehen / Alles kann sich ändern.“ Und: „Dein Weg ist frei, du musst nur losgehen.“

Ein subtiles Statement, das in einer Türkei kurz vor den Wahlen durchaus politisch zu verstehen ist. Schön, dass an dieses Augenzwinkern auch in Deutschland musikalisch anknüpfbar ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.