Syrisch-russische Beziehungen: Mehrzweckkrieg im Nahen Osten

Russland führt seit 2015 Krieg gegen Aufständische in Syrien. Die wichtigsten Ziele sind erreicht. Nun kann sich Moskau auf die Ukraine konzentrieren.

Putin und Assad

Der russische und der syrische Präsident besuchen den Luftwaffenstützpunkt Hmeymim in der Provinz Latakia, Syrien, 2017 Foto: Mikhail Klimentyev/Sputnik/Reuters

Fragil, aber weitgehend ruhig: So lässt sich die Lage in Syrien beschreiben, über die vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine weniger Nachrichten zu vernehmen sind als zuvor. Der Grund für die Ruhe: Der russische Präsident Putin, der sein Militär 2015 nach Syrien schickte und es bis heute nicht vollständig abgezogen hat, hat seine wichtigsten Ziele erreicht. Das Assad-Regime hat mit russischer Unterstützung weite Teile des Landes wieder unter seine Kontrolle gebracht. Moskau konnte also den Schwerpunkt seiner militärischen Aktivitäten in die Ukraine verlegen. Die dortige Konfrontation beansprucht aktuell den Löwenanteil der russischen Militärkapazitäten.

Ein Teil des russischen Truppenkontingents und Militärgeräts wurde vergangenes Jahr aus Syrien abgezogen, insbesondere die S-300-Flugabwehrraketensysteme. Diese wurden bereits in der Ukraine für Bodenangriffe eingesetzt. Mehrere Tausend russische Soldaten stabilisieren aber weiterhin die Lage in Syrien. Offizielle Angaben, wie viele Soldaten in Syrien geblieben sind, gibt es nicht. Im Herbst sprach Oleksiy Orestowitsch, Berater des ukrainischen Präsidenten, unter Berufung auf den ukrainischen Geheimdienst von 6.000 bis 11.000 Soldaten. Der russische Militärexperte Kirill Michailow geht von 3.000 bis 4.000 Soldaten aus.

Michailow zufolge spielt das russische Kontingent aktuell keine große Rolle. „Sie patrouillieren in Regimegebieten, aber auch im Nordosten des Landes.“ Dort haben größtenteils kurdische Kräfte die Kontrolle, aber auch Assads Streitkräfte sowie die Türkei oder protürkische Kräfte kontrollieren Teile des Gebiets. Da die Gebiete nur schwer abgrenzbar sind, tauchen die Russen manchmal auch in kurdisch kontrollierten Zonen auf, was der Kurdenführung missfällt, ihr aber lieber ist als türkische Truppen. „Die Einheimischen sind von den russischen Patrouillen nicht begeistert“, sagt Michailow. „Kürzlich ist ein Video aufgetaucht, in dem gepanzerte Fahrzeuge mit einem Z, dem inoffiziellen Symbol der ‚Sonderoperation‘ in der Ukraine, mit Steinen beworfen werden.“

Dutzende russische Kampfflugzeuge sind weiter in Syrien stationiert. Die meiste Zeit patrouillieren sie am syrischen Himmel. Mehrmals im Monat fliegen russische Flugzeuge außerdem Luftangriffe in der nordwestsyrischen Rebellenhochburg Idlib: entweder auf dortige Streitkräfte oder auf zivile Objekte.

Kirill Michailow, Militärexperte

„Die Einheimischen sind von den russischen Patrouillen nicht begeistert“

Darüber hinaus unterhalten die Russen im syrischen Tartus einen Marinestützpunkt, der als Reparaturstelle der Flotte und als Hafen für zivile Schiffe dient. Vor Kurzem lief dort aus der Ukraine gestohlenes Getreide ein. „Russische Marinesoldaten bewachen Stützpunkte in Syrien und sind froh, dass sie nicht in die Ukraine geschickt wurden“, sagt Michailow.

Die sieben Ziele Russlands im Syrien-Krieg

Mit seinem kostspieligen Einsatz in Syrien hat Russland mehrere Ziele verfolgt. In erster Linie wollte der Kreml einen weiteren Regimesturz infolge des Arabischen Frühlings verhindern. Aus Sicht Moskaus hätte ein Sturz des Assad-Regimes eine weitere Farbrevolution dargestellt, die im Falle Syriens auf dem Territorium eines langjährigen Verbündeten ausgebrochen war.

Das zweite Ziel bestand darin, einen Kriegsschauplatz zu schaffen und so die EU und die Nato durch den Zustrom muslimischer Migranten zu schwächen. Russland zerbombte deshalb absichtlich Krankenhäuser, Schulen und Wasserleitungen.

Drittens ist der Syrienkrieg für Russland ein Instrument, um Druck auf Israel auszuüben. Nicht nur offene Unterstützung, sondern bereits Russlands Nachsicht mit Iran und der libanesischen Hisbollah sind ein Albtraum für den jüdischen Staat. Der Druck trägt Früchte: Israel hat seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine bis heute keine Waffen an die Ukraine geliefert.

Das vierte Ziel ist innenpolitisch: Die Gräueltaten der russischen Armee sowie von Angehörigen der Wagner-Organisation in Syrien – einschließlich eines Videos über einen Mord mit Vorschlaghammern sowie einer Zerstückelung und Verbrennung eines Deserteurs – sind für die liberale Minderheit in Russland ein Hinweis, was passieren würde, sollten die Bürger sich gegen Putin erheben.

Das fünfte Ziel ist auf einen anderen, den reaktionären Teil der russischen Bevölkerung gerichtet: Der Syrieneinsatz ist eine Art blutige Show. Je weniger Brot der chauvinistische Teil der russischen Gesellschaft hat, desto mehr füttert Putin ihn mit brutalen „Zirkusspielen“.

Das 6. Ziel bestand darin, Waffen zu testen. Analytikern in der Ukraine war schon seit Beginn der russischen Intervention in Syrien 2015 klar, dass die Waffen später Tod und Verwüstung auch in der Ukraine bringen würden. Ein Beispiel sind die „Kalibr“-Raketen, die oftmals von denselben Schiffen im Kaspischen Meer abgeschossen werden – früher in Richtung Syrien, heute in Richtung Ukraine.

Russlands siebtes Ziel war es, sich militärische Präsenz in Syrien zu sichern. Während des Kriegs erhielten die russischen Luftstreitkräfte von Damaskus die Erlaubnis, die Hmeimim-Basis im Westen Syriens neben dem Mittelmeerhafen von Latakia auf unbestimmte Zeit zu nutzen. Der Militärflugplatz dient heute als wichtiger Transitpunkt für russische Militär­operationen in Afrika. Trotz der riesigen Verluste für Russland in der Ukraine reicht der bewaffnete Arm des Kreml in fast alle Teile der Welt.

Aus dem Russischen Barbara Oertel

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