Generalstreik in Israel: Protestbewegung legt Jerusalem lahm

Zehntausende Israelis demonstrieren gegen die geplante Justizreform. Auch Präsident Herzog zeigt sich besorgt und warnt vor einem Zusammenbruch.

Mehrere Frauen mit weißen Hauben und roten Umhang

Protest einer Frauenorganisation am Montag: Die Roben erinnern an die US-Serie „The Handmaid's Tale“ Foto: Ilia Yefimovich/dpa

JERUSALEM taz | Das blau-weiße Flaggenmeer in Jerusalem erstreckt sich, so weit das Auge reicht. „Demokratie“ schallt es aus den Megafonen, Hunderte wiederholen das Wort im Chor. Kein Durchkommen zur Knesset, dem israelischen Parlament.

Am Montag befand sich Israel im Generalstreik. Zeitgleich reisten Zehntausende in die Hauptstadt. Aufgerufen zu dem Protest hatten die Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen der Samstagsproteste, die seit Anfang Januar jeden Samstag in Tel Aviv und anderen Städten stattfinden. Schätzungen zufolge waren am Montag 120.000 Israelis auf der Straße, zahlreiche hingen in Staus auf dem Weg fest.

Der Protest richtet sich vor allem gegen die geplante Justizreform und den befürchteten Abbau der Demokratie in Israel. „Meine Großeltern sind nicht für einen weiteren König aus Marokko nach Israel eingewandert“ steht auf ihren Schildern, oder „Die ganze Welt sieht zu“.

Auch Shmuel Herr ist gekommen, einer der wenigen Menschen mit Kippa im Demonstrationszug. Ihm ist wichtig, seine religiöse Stimme gegen die Pläne der extrem rechten, ultraorthodoxen Regierung zu erheben. In seinen Augen ist die Demokratie in Israel wegen der Besatzung des Westjordanlands ohnehin nur eine Teildemokratie. „Doch auch diese Teildemokratie ist jetzt in Gefahr“, sagt er.

Biden drängt auf breiten Konsens

Am Wochenende hatten sich auch US-Präsident Joe Biden sowie Israels Staatspräsident Jitzchak Herzog erstmals eindeutig zur Justizreform geäußert. Es dürfte das erste Mal gewesen sein, dass sich ein US-Präsident in die interne israelische Debatte um den Charakter der Demokratie in Israel einmischt.

Biden drängte darauf, einen breiten Konsens für eine Justizreform herzustellen und verglich die amerikanische mit der israelischen Demokratie. Beide seien „auf starken Institutionen, auf Kontrolle und Ausgewogenheit und auf einer unabhängigen Justiz aufgebaut“.

Herzog rief mit zitternden Händen am Sonntag in einer TV-Ansprache die Regierung auf, die Reform nicht in geplanter Form zur Abstimmung zu bringen. Die Pläne beunruhigten ihn zutiefst, da sie das Potential hätten, die demokratischen Institutionen zu untergraben. Stattdessen drängte Herzog auf Dialog zwischen den Lagern. „Ich fühle, wir alle fühlen, dass wir nur wenige Momente von einem Zusammenbruch entfernt sind, vielleicht gar einem gewaltsamen.“ Herzog präsentierte einen Kompromissvorschlag, mit dem er der Regierung ein Stück entgegenkam.

Weniger Macht für das Oberste Gericht

Herzogs Bitte um Aufschub der Justizreform kam die Regierung aber nicht nach: Unbeeindruckt von aller Kritik bereitete der Rechtsausschuss der Knesset zwei der umstrittenen Gesetze für die Abstimmung im Plenum vor. Laut Medienberichten sollte ursprünglich schon im Verlauf des Montags in erster Lesung abgestimmt werden. Justizminister Jariv Levin kündigte dann jedoch an, dass erst am Mittwoch oder kommenden Montag abgestimmt werde. Dies sei jedoch nicht als Aufschub zu verstehen.

Das eine der beiden Gesetze würde Israels oberstem Gericht fast vollständig die Möglichkeit nehmen, von der Knesset erlassene Gesetze zu überprüfen – für Kri­ti­ke­r*in­nen der direkte Weg in ein illiberales politisches System.

Mit dem zweiten, dem sogenannten Deri-Gesetz, soll das oberste Gericht die Ernennung von Mi­nis­te­r*in­nen nicht mehr blockieren können. Es ist für Kri­ti­ke­r*in­nen der offensichtliche Versuch, Arje Deri, den Verbündeten von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Vorsitzenden der ultraorthodoxen Schas-Partei, wieder zum Minister machen zu können. Deri war im Januar aufgrund mehrfacher Verurteilung wegen Korruption vom obersten Gericht für untauglich erklärt worden, einen Ministerposten zu bekleiden, und schließlich von Netanjahu entlassen worden.

An der öffentlichen Wahrnehmung vorbei hat derweil der Sicherheitsausschuss der Knesset neun sogenannte Außenposten im Westjordanland legalisiert. Außenposten sind kleine, selbst nach israelischem Recht illegale Siedlungen in den besetzten Gebieten. Weitere sollen nach Medienberichten bald folgen. Die Legalisierung gilt als Antwort auf einen Anschlag eines Palästinensers am vergangenen Freitag in Ostjerusalem, bei dem drei Israelis getötet wurden.

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