Filmreihe „Perspektive Deutsches Kino“: Riecher für Talente

Jenni Zylka übernimmt in diesem Jahr die Leitung für „Perspektive Deutsches Kino“. Zu sehen sind Filme von Menschen, deren Geschichte über die hiesige Landesgrenzen reicht.

Eine sehr junge Frau sitz mit dem Rücken vor einem Spiegel und blickt zweifelnd.

Bayan Leyla in „Elaha“ von Milena Aboyan Foto: Christopher Behrmann / Kinescope

Ob der deutsche Film eine Perspektive hat, darüber wird seit Jahren diskutiert, während die Branche dank vieler Millionen Euro staatlicher Fördergelder munter Filme produziert, die größtenteils ohne Beachtung ins Kino kommen. Um die Präsenz des deutschen Kinos auf der Berlinale zu erhöhen, wurde die Berlinale-Reihe Perspektive Deutsches Kino vor über 20 Jahren gegründet, anfangs geleitet von Alfred Holighaus, anschließend von Linda Söffker.

In diesem Jahr zeichnet zum ersten Mal die auch für die taz schreibende Journalistin, Schriftstellerin und langjährige Berlinale-Mitarbeiterin Jenni Zylka für die Leistungsschau des deutschen Filmnachwuchses verantwortlich, wobei dieser Begriff dehnbar ist: Etliche der Re­gis­seu­r:in­nen sind um die 40 und würden wohl in kaum einer anderen Branche als Nachwuchs durchgehen. Aber die Strukturen des deutschen Films sind zäh, auch deswegen wird gespannt der Auftritt der Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth erwartet, die während der Berlinale einen Vorschlag zur Neustrukturierung der Filmförderung vorlegen will.

Zumindest zahlenmäßig gibt es im deutschen Filmnachwuchs jedenfalls keinen Mangel, die Filmhochschulen sind gut besucht und haben auch bei Stu­den­t:in­nen aus dem Ausland regen Zuspruch, wie die diesjährige Auswahl der Perspektive Deutsches Kino deutlich zeigt.

Schon in den letzten Jahren fanden sich in der Perspektive immer häufiger Filme, die ihre Geschichte in der Ferne erzählten und damit der Entwicklung Rechnung tragen, dass sich Deutschland ganz ohne Frage zu einem Einwanderungsland entwickelt hat. Menschen mit unterschiedlichen Migrationserfahrungen leben inzwischen in Deutschland, die hier oder in den Ländern ihrer Herkunft oder der ihrer Eltern ihre Geschichten erzählen, Geschichten, die am Ende im besten Fall aber doch einen universellen Kern haben.

Erwartungen der Eltern

Vom schwierigen Umgang mit den Erwartungen der Eltern erzählen etwa gleich mehrere Filme. Der deutsch-türkische Regisseur Engin Kundag siedelt sein minimalistisches Drama „Ararat“ an der Grenze der Türkei zu Armenien an, wo die Eltern der jungen Frau Zeynep leben und arbeiten. Die wohnte in Berlin, dort hat sie einen Unfall verursacht, um ihrem Freund zu schaden. Nun ist sie in die Heimat ihrer Eltern geflohen und sieht sich mit archaischen Konventionen konfrontiert.

Klassisches, betont sprödes, langsames Arthouse-Kino ist „Ararat“, ganz im Gegensatz zu „Elaha“, einem der stärksten Filme der diesjährigen Perspektive. Milena Aboyan siedelt ihren Film in der deutsch-kurdischen Gemeinschaft an, wo die 22-jährige Elaha kurz vor der Heirat steht. Die konservativen Eltern ihres zukünftigen Manns bestehen auf dem Nachweis der Jungfräulichkeit, doch Elaha hatte schon Sex und damit nun ein Problem: Das Hymen zu rekonstruieren kostet Geld, Alternativen erscheinen wenig vertrauenswürdig.

Vor allem aber beginnt die junge Frau die Regeln und Traditionen, denen sie sich ausgesetzt sieht, infrage zu stellen. Stilistisch bewegt sich „Elaha“ zwar in konventionellen Bahnen, überzeugt dafür aber mit authentisch wirkenden Figuren, pointierten Dialogen und vor allem einem differenzierten Blick auf seine Thematik.

Wenn man bei den Filmen der Perspektive etwas vermisst, dann ist das stilistischer und erzählerischer Wagemut, ein Ausbrechen aus den Konventionen. Allzu glatt muten viele der Filme an, bewegen sich in den Bahnen ihrer jeweiligen Genres und Sujets, zeigen schon jene Stromlinienförmigkeit, die das deutsche Kino meist hat, in der es aber oft auch feststeckt, ja, es sich allzu gemütlich eingerichtet hat.

Ein Mann in grimmiger Pose hält einen Besen abwehrbereit in den Händen

João Albertini in „Ash Wednesday“ von João Pedro Prado, Bárbara Santos Foto: Kleber Nascimento

Die größte Ausnahme ist der 30 Minuten kurze „Ash Wednes­day“, der im Kurzfilmprogramm „Küsse und Kämpfe“ zu sehen ist. Das aus Brasilien stammende Regieduo Bárbara Santos und João Pedro Prado hat hierfür eine Favela nachgebaut, in der sich in den letzten Tagen des Karnevals von Rio eine Geschichte abspielt, die Formen des strukturellen Rassismus und der Misogynie, Polizeigewalt und Sexismus verhandelt – und zwar als in Reimen gesprochenes, gesungenes und getanztes Kurzmusical.

Selbst wer des Portugiesischen nicht mächtig ist, wird begeistert sein vom Rhythmus der Reime ebenso wie von den Trommeln und Klängen. Ein spektakuläres filmisches Experiment, das auf ganz eigene Weise Inhalt und Stil zu einer Einheit formt.

Ob es dieses Duo in einigen Jahren auch in die größeren Sektionen der Berlinale schafft, ins Panorama oder gar in den Wettbewerb „aufsteigt“? Schlecht stehen die Chancen nicht, denn seit seiner Gründung haben die Lei­te­r:in­nen der Perspektive Deutsches Kino immer wieder einen guten Riecher für Talente bewiesen: In diesem Jahr eröffnet zum Beispiel der neue Film von Perspektive-Alumna Sonja Heiss, „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war?“, die Sektion Generation 14+, während Robert Schwentke mit „Seneca“ im Berlinale Special vertreten ist. Das lässt für den verstärkt internationalen deutschen Filmnachwuchs hoffen.

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