Berlinale-Film „Atomnomaden“: Menschen im Atomkraftwerk

Neoliberale Kostenminimierung: Der Dokumentarfilm „Atomnomaden“ zeigt in grau-beklemmenden Bildern die Leute, die französische AKWs warten.

Ein Mann mit Kind auf den Schultern, ein Junge und eine Frau. Hinter ihnen ein Atomkraftwerk im Abendlicht.

Sie leben in Wohnmobilen in direkter Nähe von AKWs: Die „Atomnomaden“, die Kraftwerke warten Foto: Jacob Kohl

Vor einem französischen Atomkraftwerk an der Grenze zu Deutschland stehen Wohnmobile. Im Hintergrund dampfen die grauen Kühltürme. Als der junge Filmemacher Kilian Armando Friedrich bei einer Fahrradtour irritiert von dem Kontrast zwischen Industriekomplexen und Freiheitssymbol fast beiläufig an der Tür eines dieser Wohnmobile anklopfte, wollte er erst einmal nur verstehen. Es stellte sich heraus: In ihnen wohnen keine Touristen. Daraufhin entstand zusammen mit dem deutsch-französischen Regisseur ­Tizian Stromp Zargari, der selbst lange in Frankreich gelebt hat und sich seither mit den dortigen Arbeitsbedingungen in strukturschwachen Regionen beschäftigt, ein Film: „Nomades du nucléaire – Atomnomaden“.

Es ist ein Dokumentarfilm mit starken, grau-nebligen Bildern über Arbeiter:innen, die sich im 21. Jahrhundert um die Wartung und Reparatur vermeintlich anachronistischer Kraftwerke kümmern. Ganz nah wird die Kamera an sie heran gehalten. Und doch stehen die Protagonisten mit ihren individuellen Träumen, Beweggründen und ihrer Arbeit, die das komplette Leben bestimmt, exemplarisch für das, was der freie Markt, neoliberale Kostenminimierung und Auslagerung von Arbeiten an Subunternehmen mit und aus Menschen machen.

Die zwei Regisseure, die an der Filmhochschule München studieren, fanden bald heraus, dass diese Menschen nicht zum Spaß kampierten. Sie sind – wie der Titel des Films sagt – Atomnomaden. Ihre Arbeit besteht darin, alte Reaktoren zu renovieren. Dafür reisen sie Tausende Kilometer durch Frankreich, je nachdem, wohin sie gerufen werden. Je mehr Aufträge, desto lukrativer der Job. Bis zu 6.000 Euro netto kann man als ein solcher Nomade verdienen.

Die Intimität wirkt beklemmend

Die Bilder sind so authentisch wie sie wirken: Da gibt es ein junges Paar, das „nur“ ein paar Jahre lang lieber im AKW schuftet, als sich in der Fabrik zu verdingen. Es gibt einen Familienvater, der seine Kinder und Frau meistens nur abends auf dem Handybildschirm zu sehen bekommt. Und einen jungen bärtigen Mann, der schon Mitte des Monats die Strahlungsmenge für die nächsten zwei Monate abbekommen hat, aber trotzdem weiterarbeitet, um irgendwann autark auf seinem eigenen Grundstück leben zu können.

In „Atomnomaden“ werden die Protagonisten nicht interviewt oder Ex­per­t:in­nen zum Thema hinzugezogen. Die Zu­schaue­r:in­nen dürfen einfach beobachten. Bis in das Bett im engen Wohnmobil begleitet die Kamera die Atom-Arbeiter:innen. Schaut über ihre Schulter und vom Beifahrersitz aus auf die müden Gesichter der Protagonisten. Man fragt sich fast, wie die Kamera in der Enge des Wohnmobils überhaupt Platz gefunden hat. Die so entstehende Intimität wirkt beklemmend.

Die unsichtbare, ungesunde Strahlung

Es ist meistens dunkel, grau, nasskalt. Die Zukunft ungewiss. Denn die Ar­beit­ge­be­r:in­nen der Nomaden stehen untereinander in Konkurrenz, um dem staatlichen Energie­konzern die niedrigsten Kosten für anstehende Sanierungen zu bieten. „Schnell und günstig“, lautet die Devise.

25. 2., 10 Uhr, Cubix 6

25. 2., 16.30 Uhr, Zoo Palast 3/4/5

Die Protagonisten rauchen dabei fast so viel wie das AKW, das sie warten. Und immer wieder steht dieses Atomkraftwerk bedrohlich hinter ihnen. Untermalt werden die Bilder durch einen elektronischen Sound, der minimalistisch an die unsichtbare, ungesunde Strahlung erinnert, die dieses konstant absondert.

Bedrückt von deren Situation lassen ei­ne:n die Geschichten der Atomnomaden zurück. Und von ihrer Bereitschaft, dieser Arbeit nachzugehen, für eine ungewisse, vermeintlich verheißungsvolle Zukunft.

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