„Weiße Folter“ in iranischem Gefängnis: Einsamkeit, Verhöre und Qualen

In iranischen Evin-Gefängnis soll Isolationshaft die Häftlinge brechen. Die Deutsche Nahid Taghavi hat die „weiße Folter“ erlebt.

Verschleierte Frauen in einer Gefängniszelle

Frauen im Evin-Gefängnis in Teheran 2006 Foto: Mohammad Kheirkhah/UPI/imago

Fast sieben Monate lang verbrachte die Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi in Isolationshaft im berüchtigten Evin-Gefängnis, der wohl bekanntesten Haftanstalt Irans. Schließlich wurde sie zu zehn Jahren und acht Monaten Haft verurteilt und in den allgemeinen Frauentrakt des Gefängnisses verlegt. Die Justiz der Islamischen Republik wirft ihr Beteiligung an einer „illegalen Gruppe“ sowie „Propaganda gegen den Staat“ vor. In dem Frauentrakt ist die 68-Jährige bis heute inhaftiert.

Die 194 Tage in Isolationshaft bedeuteten monatelange Einsamkeit, Verhöre und psychische Qual – „weiße Folter“, wie man in Iran auch sagt, eine Methode, um die Psyche der Gefangenen zu brechen.

Jahrelang hatte sich die Architektin, die neben der iranischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, für Menschenrechte, vor allem Frauenrechte und Meinungsfreiheit in Iran eingesetzt. 2020 wurde sie während eines Aufenthalts in Teheran festgenommen. In den ersten zwei Monaten ihrer Haft verlor Taghavi 14 Kilo. Neben Vitaminmangel, Schlafstörungen und Angstzuständen erkrankte sie an Diabetes, bekam Bluthochdruck und erlitt mehrere Bandscheibenvorfälle.

Nahid Taghavi ist kein Einzelfall. Neben der Deutsch-Iranerin waren im Januar weitere 57 politische Gefangene im Frauentrakt des Evin-Gefängnisses inhaftiert. Auch sie waren zuvor in Isolationshaft gehalten worden – zusammengerechnet 8.350 Tage lang, wie aus einem kürzlich veröffentlichten Bericht der bekannten iranischen Frauen- und Menschenrechtsverteidigerin Narges Mohammadi hervorgeht.

Kampf aus dem Gefängnis heraus

Auch Mohammadi ist in Evin eingesperrt; ihre Informationen gelangten über ihr nahestehende Personen an die Außenwelt. Anfang Februar wurde sie für ihren Einsatz für Frauenrechte mit dem schwedischen Olof-Palme-Preis ausgezeichnet.

Mohammadis Einsatz für Menschenrechte und gegen die Todesstrafe quittierte Irans Regime immer wieder mit Haftstrafen. Im Mai 2015 wurde sie festgenommen und zu 16 Jahren Haft verurteilt. Im Oktober 2020 wurde sie wegen Haftunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig freigelassen, doch ein gutes Jahr später erneut festgenommen. Es folgte wieder eine Verurteilung, diesmal zu mehr als acht Jahren Haft.

Eine Frau vor einem See

Sitzt noch immer in iranischer Haft: Nahid Taghavi Foto: amnesty international

Aus dem Gefängnis heraus kämpft Mohammadi nun weiter für Menschenrechte. Im Dezember veröffentlichte sie einen Bericht über den massiven Einsatz von sexualisierter Gewalt. Ihre Berichte beleuchten die Verbrechen des iranischen Regimes und beschreiben die Auswirkungen von Isolationshaft und Folter. „Unter den 58 inhaftierten Frauen leiden einige an schweren und gefährlichen Erkrankungen, die es ihnen noch schwerer machen, die Haft zu ertragen“, schildert Mohammadi die Lage.

„Durch die Dauer der Haft verschlechtert sich ihr Zustand von Tag zu Tag.“ Acht der Frauen hätten Herzerkrankungen, vier schweres Asthma und eine von ihnen eine Lungenerkrankung. Sieben müssten dringend operiert werden. Doch in den Hafturlaub werden nur die wenigsten geschickt, berichtet Mohammadi, „denn die Unterbringung von Gefangenen in Krankenhäusern erfolgt unter strengen Sicherheitsauflagen“.

Auch Nahid Taghavi durfte sich trotz zahlreicher Bandscheibenvorfälle und mindestens einer Covid-Infektion lange nicht behandeln lassen. Eine Genehmigung für einen medizinischen Hafturlaub erhielt die Deutsch-Iranerin erst im Sommer 2022. Doch im November, unmittelbar nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Videobotschaft die Islamische Republik wegen der Gewalt gegen die zuvor aufgeflammte Aufstandsbewegung im Land verurteilt hatte, wurde der Hafturlaub abgebrochen – trotz mehrerer Atteste von Ärzten, die Taghavi Haftunfähigkeit bescheinigten. Die Architektin und Frauenrechtlerin musste zurück ins Gefängnis.

Evin-Universität wird das Gefängnis oft sarkastisch genannt, wegen der großen Anzahl an Intellektuellen, Au­to­r*in­nen und Journalist*innen, die dort inhaftiert sind. Schon 1971 unter dem damaligen Schah Mohammad Reza Pahlavi gebaut, war es in den 1970er Jahren das Zentralgefängnis seines Geheimdienstes Savak, in dem politische Gefangene eingesperrt wurden. Nach der Revolution von 1979 und dem Sturz des Schahs nutzte es die Islamische Republik weiter für die Inhaftierung politisch Gefangener.

Im Jahr 2018 sollen dort mehr als 15.000 Menschen inhaftiert gewesen sein. Angesichts der Massenverhaftungen im Zuge der aktuellen revolutionären Bewegung dürfte diese Zahl noch gestiegen sein. Es gibt Berichte über eine völlige Überbelegung; genaue Zahlen fehlen aber.

Im vergangenen Oktober kam es im Evin-Gefängnis zu einem Brand, bei dem laut staatlichen Medien 8 Gefangene starben und 61 verletzt wurden. Bis heute konnte nicht geklärt werden, was in jener Nacht tatsächlich passierte. Auf Videoaufnahmen sind Schüsse sowie Parolen gegen das Regime zu hören.

In dem Gefängnis mit seinen zwei grauen Gebäudekomplexen gibt es getrennte Trakte für politische Gefangene und Kriminelle, nach Geschlecht getrennt, einen separaten Trakt für trans Personen, einen eigenen Gerichtssaal – und einen Hof für Hinrichtungen. Oft wird Evin als Wartezimmer des Todes bezeichnet.

Das Gefängnis verfügt über zwei Hochsicherheitstrakte, sogenannte Isolationstrakte, die den Geheimdiensten des Regimes unterstellt sind. Die iranischen Revolutionsgarden, die mindestens genauso mächtig sind wie die offizielle Armee, haben auch einen eigenen Geheimdienst, der unabhängig vom iranischen Geheimdienst agiert. Der Isolationstrakt 209 liegt in den Händen des iranischen Geheimdienstes, in Trakt 2A haben die Revolutionsgarden das Sagen.

In den Hochsicherheitstrakten beider Geheimdienste finden Verhöre statt, dort entstehen erzwungene Geständnisse, die im Staatsfernsehen ausgestrahlt werden, dort findet Folter statt. Als „Askaban“ bezeichnet Nahid Taghavi den Isolationstrakt 2A in Anspielung auf das berüchtigte Gefängnis in der Zauberwelt von Harry Potter.

Die Isolationshaft im Evin-Gefängnis ist „konzipiert, um den Gefangenen zu brechen“, berichtet Taghavis Tochter Mariam Claren. Sie lebt in Deutschland und darf mittlerweile regelmäßig mit ihrer Mutter telefonieren. Im Isolationstrakt würden die Gefangenen mit maximal zwei bis drei weiteren Gefangenen in einer Zelle von drei mal zwei Metern gehalten, berichtet Clasen – eine Größe, die gerade noch reicht, um sich hinlegen zu können.

Viele Gefangene sind jedoch in vollständiger Einzelhaft. Möbel gibt es in diesen Zellen, die stets mit einer Metalltür verschlossen sind, nicht. Ein kahler Boden, kahle Wände. „Man kriegt drei Militärdecken, die dreckig sind, voller Haare und Parasiten und sie kratzen“, gibt Claren die Schilderungen ihrer Mutter wieder. Die Zellen seien fensterlos, die ganze Zeit über brenne Neonlicht, sodass die Gefangenen jegliches Gefühl für die Tageszeit verlieren. In einigen Zellen gibt es eine Toilette. Ist keine vorhanden, werden den Gefangenen für den Weg zu einer Toilette Augenbinden angelegt. Augenbinden müssen außerhalb der Zelle immer getragen werden.

Solche Schilderungen bestätigt auch Kylie Moore-Gilbert. Die britisch-australische Politikwissenschaftlerin wurde 2018 nach ihrer Teilnahme an einer wissenschaftlichen Konferenz in der iranischen Stadt Ghom festgenommen. Dop­pel­staat­le­r*in­nen und ausländische Staats­bür­ge­r*in­nen werden vom Regime oft als Faustpfand, als Geisel genutzt, müssen sich unrechtmäßigen Gerichtsverfahren stellen und werden zu langen Haftstrafen verurteilt. In einem nicht öffentlichen Prozess wurde Moore-Gilbert ohne Beweise wegen angeblicher Spionage zu zehn Jahren Haft verurteilt, 2020 aber im Zuge eines Gefangenenaustausches wieder freigelassen. Insgesamt zwölf Monate verbrachte sie in Isolationszellen, davon acht Monate am Stück. „Man wird etwas verrückt“, sagt sie.

Psychische Folter wird auch in den Verhören praktiziert, die teils stundenlang andauern. Die Gefangenen müssen dabei Augenbinden tragen, die Hände sind gefesselt. Moore-Gilbert berichtet auch von ihrer Angst, vergewaltigt zu werden. Von Stimmen, die aggressiv und feindselig klangen, von Verhören mit ständigen Drohungen gegen sie selbst und Familienangehörige und von Behauptungen, man habe Beweise gegen sie. Oft hörte sie Schreie aus anderen Räumen, „das macht einem dann noch mehr Angst“.

Von psychischer Folter berichtet auch Claren. Einmal habe sich ihre Mutter gewünscht, lieber mit Kabelbindern ausgepeitscht zu werden, statt dem mentalen Druck ausgesetzt zu sein. Körperlich gefoltert wurde ihre Mutter aber nicht, betont Claren.

Bei der „weißen Folter“, die sowohl Moore-Gilbert als auch Claren beschreiben, sind die Folgen oft zunächst nicht sichtbar. Doch die Einzelhaft verursacht Krankheiten, psychische wie körperliche. „Alle gesundheitlichen Probleme, die sie jetzt hat, sind zurückzuführen auf die Isolationshaft“, sagt Claren über ihre Mutter.

Viele der politischen Gefangenen im Evin-Frauentrakt sind krank. Zehn der inhaftierten Frauen sind über 60 Jahre alt. Die Hälfte hat Kinder. Die Frauen sitzen ihre Haftstrafen aus den unterschiedlichen politischen Gründen ab, doch eines eint sie: Alle wurden wegen ihrer Überzeugungen verurteilt, wegen ihrer politischen Ansichten in Isolationszellen gefoltert, und alle verbringen viele Jahre ihres Lebens im berüchtigten Foltergefängnis Evin im Norden Teherans.

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