Theaterstück über den Ukraine-Krieg: Im russischen Raketenhagel

Der ukrainische Dramatiker Andriy Bondarenko hat im Auftrag der Neuen Bühne Senftenberg ein Stück geschrieben. Es spielt in einem Luftschutzkeller.

Auf der leeren Bühne ist Pulverdampf zu sehen

Pulverdampf auf der Bühne: Szene aus „Was man im Dunkeln hört“ Foto: Steffen Raschen/Neue Bühne Senftenberg

Es ist nicht das finale Grauen, die Panik und das Elend, das beispielsweise der Film „Der Untergang“ aus Berliner Kellern 1945 marktschreierisch inszeniert. Die brutale Waffengewalt bleibt draußen, dringt maximal als abgestürzte Drohne auf den Hof des Hauses vor, ist meist nur in Form von Angriffswarnungen und Frontmeldungen präsent.

In dem Stück „Was man im Dunkeln hört“ könnte die Atmosphäre im Luftschutzkeller auch für bequeme Westeuropäer anschlussfähig sein. Die Vorstellung ist nicht fern, man könnte selbst in diesen rettenden und zugleich freiheitsberaubenden Kellerknast irgendwo in der Ukraine verbannt sein.

Das enge, dunkle Studio­thea­ter der Neuen Bühne Senftenberg und die Stahlregale der Bühne, die als Laufstege und separate Spielzonen dienen, schaffen Bunkeratmosphäre. Jenseits der Theaterspots bewirken Leuchtstoffröhren an den Regalen passende Lichtstimmungen. An der Bühnenrückwand hängen zahlreiche Anoraks und Mäntel wie in einer Garderobe. Vorübergehend hier abgegeben, so scheint es, aber dieser vorübergehende Zustand hält nun schon länger als ein Jahr an.

Terror gegen die Zivilbevölkerung

Das ist nicht das Massengrab unter dem Theater von Mariupol, aber auch kein Refugium, das vor russischen Raketen oder iranischen Drohnen sicher wäre. Der infame Kreml-Terror gegen die Zivilbevölkerung ist omnipräsent in dieser Theatererzählung, jeden kann es jederzeit treffen. Man hat sich nur mit dem Daueralarm arrangiert, ist auch abgestumpft. In diesem Mikrokosmos bildet sich in dem Text von Andriy Bondarenko eine Paranormalität aus, die das gewohnte Leben draußen in diesen hermetischen Underground transportiert.

Der Autor Bondarenko mischt in kluger Weise das Lavieren der Opfer zwischen Flucht vor dem Grauen und allzu menschlicher Anpassung an das Diktat des Fatums. Das kennt man nicht erst seit dem russischen Überfall auf die Ukraine. Bondarenko arbeitet derzeit als Leiter des Literatur- und Theaterdepartments in Lwiw. Ein bescheiden wirkender jüngerer Mann, dem sein Doktortitel in Philosophie und seine zahlreichen Dramen nicht zu Kopf gestiegen sind.

Sein Auftragswerk für das bemerkenswerte Senftenberger Theater im Lausitzer Braunkohlerevier hängt mit dem Sonderfonds des Brandenburger Kulturministeriums für kriegsbetroffene ukrainische Künstler zusammen. Statt des ursprünglich für März geplanten „Woyzeck“ bemühte man sich nun um einen ukrainischen Autor oder eine Autorin. Hinzu kommt, dass Hausregisseurin Elina Finkel zwar lange schon in Deutschland lebt, aber aus der Ukraine stammt.

Makabre Stimmung

Ist die Situationskomik auch makaber in der Inszenierung, darf dennoch gelacht werden. „Die Stimmung ist im Keller“, heißt es ironisch. Dessen Insassen trinken Kaffee und Tee „als Zeichen, dass wir noch am Leben sind“. Sie können zwar ihren freien Tag nicht draußen verbringen, bereiten sich aber auf den morgigen Arbeitstag vor. Das Paar Jura und Julia will hier unten sogar die durch den Kriegsbeginn verhinderte Hochzeit nachfeiern, muss aber zuvor Konflikte wegen des langen Aufenthalts Julias im Westen aufarbeiten.

Bei diesen Szenen steigert sich das lange nur aus eher sterilen Monologen und Dialogen bestehende Geschehen zu turbulenter Heiterkeit. Ungebetene Hochzeitsgäste wollen einem angeblichen Zettel mit der Einladung zu einer Orgie folgen.

Bondarenko parodiert eingangs einen Prepper-Typen, der ebenso in Polen oder Deutschland leben könnte. Nicht nur mit einem Notfallkoffer plant er sein Überleben, auch auf einen Atomschlag bereitet er sich vor. Ein Atomschlag, und das überrascht, mit dem in der Ukraine offenbar umso mehr gerechnet wird, je erfolgloser die russische Armee konventionell operiert.

Atomnixen und Todestulpen

Daneben berühren poetische Passagen. Die Oma, die Tschernobyl überlebt hat, ist offenbar traumatisiert und dem Wahn nahe, fantasiert von Atomnixen und gelben Todestulpen. In der Ausschöpfung dieser Kontraste und Paradoxien aber bleiben Elina Finkels Inszenierung und auch die Schauspieler hinter dem Potenzial des Textes zurück.

Sowohl die latente tödliche Gefahr als auch deren trotziges Ignorieren ließen sich pointierter ausspielen. Auch wenn es hier um Inseln der Normalität geht, hätte mehr Expressivität eine dringendere Wirkung erzielt. Die bei Bondarenko durchaus angelegten durchweg sympathischen Typen entfalten sich zu wenig.

Der Text kippt allerdings immer wieder in sehr geradlinigen Patriotismus und in Siegesgewissheit. Ins Abgründige stößt hingegen die wiederholte Frage vor, wie die Ukrainer sich dereinst an diese Ausnahmezeiten erinnern werden, an ihre Ambivalenz womöglich. Das Publikum hatte verstanden und spendete langen, intensiven Beifall, der auf eine auch nach einem Jahr noch wenig abgenutzte ­Solidarität schließen lässt.

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