Neuer Roman von Birgit Birnbacher: Arbeitstiere auf Lebenszeit

In Birgit Birnbachers Roman „Wovon wir leben“ träumen die Männer nachts von ihren Maschinen. An den Frauen im Dorf bleibt die Fürsorgearbeit hängen.

Ein Maskenweber baut an seinem nest

Ein Maskenweber bei der Arbeit – ein Motiv bei Birgit Birnbacher Foto: Spitta + Hellwig/plainpicture

Der im südlichen Afrika beheimatete Maskenweber ist ein Meister des Nestbaus. Rund 25 seiner aus Schilf, Gras und anderen Pflanzenfasern entstehenden Gebilde konstruiert er jährlich. Für jedes Nest braucht der knapp 15 Zentimeter lange Vogel rund fünf Tage, wobei er für ein einziges Weibchen bis zu fünf Nester errichten muss. Man könnte sagen: Der Maskenweber ist ein echtes Arbeitstier.

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Als dieses fungiert er symbolisch in Birgit Birnbachers neuem Roman „Wovon wir leben“. Nur kurz taucht er auf, gebannt auf eine Postkarte, initiiert er die Affäre zwischen der Protagonistin Julia Noch und einem verheirateten Kollegen. Der Maskenweber ist nur einer von vielen kleinen Hinweisen auf das Thema Arbeit, das Birgit Birnbacher, die Bachmann-Preisträgerin des Jahres 2019, wie beiläufig in ihren Roman einstreut.

Julia hat ihre Arbeit als Krankenschwester soeben verloren, ein Behandlungsfehler sowie eine Lungenkrankheit nach einer (Covid?)-Infektion führen dazu, dass sie sich neu orientieren muss. Auch der Vater, bei dem sie in der ländlichen Heimat Zuflucht sucht, ist, seit die letzte Fabrik in der Umgebung schließen musste, arbeitslos. So wie die meisten Männer im Dorf. Sie sitzen tagein, tagaus im einzig noch geöffneten Wirtshaus der Gegend, betrinken sich und verspielen, was ihnen noch geblieben ist. Unter anderem die Ziege Elise, um die sich fortan Julia kümmern soll.

Birgit Birnbacher: „Wovon wir leben“. Zsolnay, Wien 2023, 192 Seiten, 24 Euro

Wer sonst? „Fürs Fleisch und Blut, fürs Gebären, fürs Großziehen, die Sauberkeit und den Dreck, für die Exkremente, die Tränen und den Schweiß waren immer die Frauen zuständig.“ Doch die Mutter ist kürzlich abgehauen, hat das Innergebirge fluchtartig verlassen – gen Italien. Da kommt Julia als Tochter gerade recht, um sich neben dem Vater und Elise auch zeitweise um den eigentlich in einer Klinik lebenden Bruder zu kümmern. Die Fürsorge wird ausgelagert, für die Bedürfnisse der anderen „sollen Mutter oder ich sorgen, bis in alle Ewigkeit“.

Immer mehr geben als nehmen

Ähnlich wie die ebenfalls österreichische Autorin Mareike Fallwickl („Die Wut, die bleibt“) widmet sich Birnbacher dem Thema (Für-)Sorgearbeit und zeigt auf, an wem diese allzu oft wie selbstverständlich hängen bleibt: den Frauen. Doch Birn­bacher weitet aus, was bei Fallwickl im Häuslichen, im vermeintlich Privaten bleibt. Denn nicht erst nachdem sie zurück in die Heimat kommt, bestimmen Pflege und Fürsorge Julias Leben.

Einatmen. Ausatmen. Dabei „immer mehr geben als nehmen“. Das ist Julias Überlebensstrategie, war sie in ihrem durchgetakteten Beruf, einem „eigentlich doch unplanbaren Bereich, der Arbeit am Menschen“. Und ist sie auch weiterhin im Leben mit einer chronisch gewordenen Krankheit und den Care-Tätigkeiten, die sie im elterlichen Haus erwarten.

„Wie ich mich hier sofort entscheiden muss: Kümmere ich mich um ihn […] oder fordere ich, dass er sich um mich kümmert, und ärgere mich jeden Tag, dass es zu wenig ist“, lässt Birnbacher ihre Protagonistin denken und stellt dabei Familienverhältnisse und die damit einhergehende Verteilung von Verantwortlichkeiten in einer patriarchalen Gesellschaft infrage. Wer kümmert sich? Wer arbeitet? Und ist nicht beides Arbeit, die einfach nicht als gleichwertig anerkannt wird?

Inspirieren lassen hat sich Birnbacher, geboren 1985 in ebendieser Region im Salzburger Land, für ihren Roman unter anderem von einer klassischen Studie der österreichischen Sozialpsychologin Marie Jahoda. Anfang der 1930er erforschten Jahoda und ihr Team die sozio-psychologischen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf Menschen im davon stark betroffenen Ortsteil Marienthal nahe Wien. Das Ergebnis der empirischen Forschung zeigte, dass Langzeitarbeitslosigkeit ein Gefühl von Isolation und Resignation fördert.

Wenn die Sinnhaftigkeit wegbricht

Was bleibt also, wenn die Sinnhaftigkeit in einer kapitalistisch ausgerichteten Gesellschaft in der Arbeit liegt und diese plötzlich wegbricht? „Mit jedem Herzschlag und jedem Atemzug war jedes einzelne Rädchen verwachsen mit dem großen Ganzen – jeder einzelne Mensch ein Arbeiter auf Lebenszeit.“ Und während die Männer bei Birnbacher noch nachts von ihren Maschinen träumen, „mit denen sie verwachsen waren, wie mit Geliebten“, sind die Ehen längst geschieden oder endeten verwitwet.

Ganz Soziologin, die sie ist, schafft Birnbacher es bestens, dieses Gefühl der endlosen Apathie im vor sich hin siechenden Dorf einzufangen, als Autorin verleiht sie ihm sprachlich Gewicht. Der selbstmitleidige Alkoholismus der Männer bricht sich in vermeintlichen Schimpfwörtern nieder; Frauen, die weggehen, sind „Huren“, Menschen, die etwas gegen alkoholisiertes Autofahren haben, sind „schwul“, und wer es raus aus dieser Tristesse schafft, ist ein „Verräter“.

Schuld sind ohnehin immer die anderen. Und doch hat Birnbachers Blick auf das Dorfgefüge nie etwas Verurteilendes. Zuweilen weist sie sogar ihre Protagonistin zur Selbstreflexion an, wenn diese sich als mittellose Rückkehrerin allzu sehr über die Dortgebliebenen erhebt.

Mit der Gabe der Beobachtung

Obwohl literarisch kein Novum – im deutschsprachigen Raum erfreut sich der Dorfroman großer Beliebtheit –, ist Birnbachers Roman angenehm einnehmend. Statt das Leben auf dem strukturschwachen Land zu horrifizieren, wie es ihr Kollege, der österreichische Autor Wolf Haas, auf seine humorvolle Art tut, zeichnet Birnbacher ein zwar ungeschöntes, aber durchaus realistisches Bild: eines zwischen Hoffnungslosigkeit und der Suche nach Sinnhaftigkeit. Sie prangert an, nicht mit der Holzkeule, nicht mit lauten Forderungen, sondern mit der Gabe der Beobachtung.

Ihre Sprache bleibt dabei, passend zum Setting, meist schnörkellos. Und doch scheint auch immer wieder etwas Poetisches zwischen den Zeilen hervor, etwa wenn „gedankliche Rostflecken“ Julias innere Monologe befallen.

Wenn der Maskenweber mit seinen Nestern fertig ist, zerstört er sie meist wieder. Er webt und webt, dabei kann er nur wenige Nester nutzen, „den Rest der Zeit webt er umsonst“. Dass der Mensch so nicht leben muss, ist vielleicht die Quintessenz dieses wunderbaren Romans.

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