Neues Hitalbum von Miley Cyrus: Pralinenschachtel im Restmüll

Ganz ohne Trennungsschmerz: US-Sängerin Miley Cyrus verarbeitet eine gescheiterte Beziehung auf ihrem neuen Album „Endless Summer Vacation“.

Miley Cyrus in goldenem Body auf Motorhaube

Es war nicht alles schlecht im Mittelalter: Miley Cyrus Foto: Sony

Es gibt ja nicht so wahnsinnig viel, das lobenswert am Mittelalter war, aber immerhin: Vor sechshundert Jahren mussten Männer wenigstens noch Kulturtechniken wie den Minnesang unter Beweis stellen, um ihre Zuneigung zu den Frauen auszudrücken. Heute halten es einige für ausreichend, ungefragt ein Foto ihres erigierten Glieds zu verschicken, um sich davon dasselbe zu erhoffen. Nicht alles, was glänzt, ist Zivilisation. Manchmal hilft der Fortschritt auch bei der Wiederannäherung an den Primaten.

Wenigstens mit dem Entzug romantischer Rituale kann spätestens im modernen Kapitalismus aber kein Macker mehr ernst zu nehmend drohen: „Blumen kann ich mir selbst kaufen“, singt US-Popstar Miley Cyrus in ihrer Single „Flowers“. Den Song – eine lasziv-passiv-aggressive Liebeserklärung an sich selbst – veröffentlichte sie just am Geburtstag ihres Ex-Mannes, des Schauspielers Liam Hemsworth.

Schnappatmung wegen 14 Statisten

Naturgemäß floss daraufhin in der Boulevardpresse der Speichel. Restlos zur Schnapp­atmung verhalf den Clickmonstermedien anschließend, dass im Musikvideo zu „River“ 14 Männer tanzen, nachdem Gerüchte kursierten, dass Cyrus von Hemsworth mit 14 Frauen betrogen worden sei.

Ein Großteil der medialen Promotion für „Flowers“ und folglich auch für das nun nachgeschobene Miley-Album „Endless Summer Vacation“ lief daraufhin so gut wie von selbst. Ein vertuschelter PR-Stunt allein erklärt das aber nicht: Über die USA und Deutschland über Vietnam bis Paraguay – in über 30 Ländern erreichte „Flowers“ diese Woche Platz eins der Charts und avancierte beinahe sofort zu einem erfolgreichen Popsong. Wenig verwunderlich: Nicht nur ist es großartige Musik, sie bringt auch ohne Proporz eine zeitgenössische und feministisch lesbare Haltung zum Ausdruck.

Miley Cyrus: „Endless Summer Vacation“ (Columbia/Sony)

Wohl auch das veranlasste den britischen Radiosender BBC dazu, Miley Cyrus kurzerhand zum „ultimativen Popstar des 21. Jahrhunderts“ zu erklären, nachdem der Guardian die Künstlerin bereits zuvor als „Madonna ihrer Generation“ beschrieb. Klingt leicht geschwollen, leugnen lässt sich der Erfolg aber nicht: Nach der Karriere als Teenie-Serienstar und einer ausgedehnten Candy-Pop-Phase („Can’t Be Tamed“, 2010; „Bangerz“, 2013) ließ Miley Cyrus mehrere Hommagen folgen.

Etwa das Blondie-inspirierte „Plastic Hearts“ (2020) oder das nostalgische „Younger Now“ (2017), auf dem die Tochter des US-Countrysängers Billie Ray Cyrus zusammen mit ihrer Patentante Dolly Parton singt. Erfolgreich war davon so gut wie alles, der Smashhit blieb der 30-Jährigen aber seit „Wrecking Ball“ (2013) verwehrt.

Originäre Pop-Produktion

Bis jetzt. „Endless Summer Vacation“ ist zudem das erste Album, das nur schwer irgendeiner „Phase“ von Cyrus zuzuordnen ist. Die Musik lässt sich nicht mit „klingt wie“ oder „inspiriert von“ kategorisieren. Es ist eine originäre Pop-Produktion mit etlichen prominenten Beteiligten, wie dem britischen Produzenten James Blake, der australischen Sängerin Sia und Bon-Iver-Produzent BJ Burton, die Cyrus allesamt nur ergänzen und sie an keiner Stelle verdrängen können.

Musikalische Referenzen erscheinen höchstens als anerkennendes Kopfnicken, wie die herrlich theatralische Glamrocknummer „You“ und das feine Dylan-Zitat inklusive Mundharmonika-Solo in „Thousand Miles“. Gelingen lässt die Musik auf „Endless Summer Vacation“ aber auch das allzeit siegessichere Lächeln von Miley Cyrus, das man in „You“ sogar hören kann.

Keine traurigen Sehnsuchtshymnen, wie es in der Art etliche von Taylor Swift, Adele und Lana del Rey gibt, verdient der Ex-Mensch hier. Stattdessen gibt es erhabene Ansagen an einen, der den Raum mit fremdem Parfüm verpestet hat, sich deswegen verpissen darf („Muddy Feet“) und daher nun viel verpasst („Jaded“).

Das ist giftig und schön, zartbitter und auch kitschig, wie ein brennender Strauß Rosen oder eine Schachtel Pralinen im Restmüll. Kurz: ein echter Fortschritt.

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