Spielfilm „Der vermessene Mensch“: German Kulissenschieber in Namibia

Regisseur Lars Kraume erzählt vom Völkermord an Nama und Herero. Doch dabei scheitert er an einer verengten filmischen Perspektive auf Namibia.

Ein weißer junger Mann im Anzug schaut auf eine schawrze Frau mit Kopftuch, die auf eine Tafel schreibt

Die Schauspieler Leonard Scheicher und Girley Charlene Jazama in einer Filmszene Foto: Julia Terjung/Studiocanal

Diese Woche startet ein Spielfilm, der nichts für empfindsame Gemüter ist. Lars Kraumes „Der vermessene Mensch“ reinszeniert in aller Drastik die Gewaltverbrechen des wilhelminischen Kaiserreichs in Namibia.

1904 hatten sich zunächst die Herero, dann auch die Nama gegen die kaiserliche Kolonialmacht in Deutsch-Südwest erhoben. Bis dahin waren die kaiserlichen Deutschen wechselnde Bündnisse mit den untereinander rivalisierenden afrikanischen Nationen eingegangen. Nama und Herero waren verfeindet und bekriegten sich.

Doch unter Generalleutnant Lothar von Trotha ging die deutsche „Schutztruppe“ zu einem Vernichtungsfeldzug gegen die Herero, später auch gegen die Nama über.

Kraume zeigt den Krieg in Deutsch-Südwest um 1904 im Stile eines historischen Reenactments. Aus der Perspektive eines opportunistischen Berliner Wissenschaftlers, einer fiktiven Figur, die im Auftrag seines Berliner Professors Schädel für die rassekundliche Forschung sammelt sowie Kunst- und Kultobjekte der Herero raubt, wird der Völkermord in Szene gesetzt.

„Der Vermessene Mensch“, Regie Lars Kraume. Mit Leonard Scheicher, Girley Charlene Jazama, Peter Simonischek. Deutschland, 116 Minuten. Ab 23.3.2023 im Kino

Tod in der Omaheke

Wie die militärisch unterlegenen Herero-Truppen mit ihren Angehörigen in die Omaheke-Wüste flüchten. Wie skrupellose deutsche Soldaten die wenigen Wasserstellen dort besetzten und auf afrikanische Frauen und Kinder schießen, die sich diesen nähern. Zehntausende Herero, Männer, Frauen und Kinder, verdursteten in der Wüste oder landeten in Konzentrations- und Zwangsarbeitslagern.

„Die Herero sind nicht mehr Deutsche Untertanen. […] Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.“ Den furchtbaren Vernichtungsbefehl Lothar von Trothas lässt der Regisseur einen seiner weißen Historiendarsteller in einer Szene im Feldlager am Waterberg verlesen.

Doch so löblich Kraumes Absicht, über Genozid und Kolonialverbrechen aufklären zu wollen, so eindimensional dabei seine filmische Umsetzung. Dialoge und Handlung dienen einzig der Illustrierung politischer Aussagen und Thesen.

Vieles war historisch tatsächlich viel komplexer, als es der Film suggeriert

Unfreiwillig komisch

Vieles wirkt naturalistisch aufgesetzt, manches unfreiwillig komisch. Etwa wie zu Beginn des Films sich eine Frau aus Namibia und ein Wissenschaftler aus Berlin um 1900 kennenlernen. „Hat Wanderlust Sie hierher gebracht?,“ fragt der weiße Forscher die schwarze Frau in Berlin.

„Nein, man hat mich gezwungen, weil ich Deutsch spreche“, antwortet diese. Die Schauspielerin Girley Charlene Jazama spielt den einzigen mit einer minimalen Individualität ausgestatteten afrikanischen Menschen in diesen Film. Der weiße Wissenschaftler verliebt sich in sie, als er sie am Rande einer kolonialen „Völkerschau“ in Berlin kennenlernt.

„Hat Wanderlust sie hierher gebracht?“, so spricht hier also der verständnisvollste Weiße, der afrikanische Menschen im Dienste der kaiserlichen Forschung studiert. Und der in dem Historienfilm bald nach Namibia aufbrechen wird, um im Gefolge der Massaker der deutschen „Schutztruppe“ Gebeine, Alltags- und Kultobjekte der Herero zu rauben.

Frauen und Kinder vor Hügeln in der Wüste

Szene aus „Der Vermessene Mensch“: Eine Gruppe Ovaherero-Frauen wird zurück in die Wüste getrieben Foto: Julia Terjung/Studiocanal

Kraumes Sicht bleibt trotz hehrer Absicht erstaunlich eurozentristisch, paternalistisch – ausgearbeitete Perspektiven schwarzer oder brauner Akteure kennt sein Film nicht. Vieles war historisch tatsächlich viel komplexer, als es der Film suggeriert. Selbst in der deutschen Kolonialverwaltung herrschten 1904 unterschiedliche Auffassungen, die der Film aber nicht thematisiert.

Bruch oder Kontinuität?

Von Trotha brach mit einer Praxis, die auf Koexistenz von deutscher und afrikanischer Bevölkerung setzte. Sein brutales Vorgehen führte dazu, dass sich auch die mit den Herero verfeindeten Nama- und Orlam-Nationen gegen die deutsche „Schutztruppe“ erhoben, anstatt weiter an ihrer Seite zu kämpfen.

Der Film stellt das Morden vor pittoresker namibischer Kulisse plakativ aus, ohne dabei die Entwicklung des von der Globalisierung erfassten Südwestens Afrikas zu erzählen. Eine grobe eurozentristische Verengung. Die Globalisierung hatte neue Nationen und Gesellschaften hervorgebracht, kulturelle Transformationen und Spannungen, die sich in Kraumes schlichter Weiß-gegen-Schwarz-Optik nicht abbilden.

Von den historischen Gegenspielern der Deutschen erzählt „Der vermessene Mensch“ nichts. Sie bleiben Objekte. Samuel Maharero auf Herero-Seite oder Hendrik Witbooi auf Nama-Seite unterwarfen ihrerseits zuvor die San, die indigene Bevölkerung Namibias. Sie bekämpften sich untereinander und befanden sich wechselnd in militärischen Bündnissen mit den Deutschen. Die aus Südafrika eingewanderten Nama- und Orlam-Nationen fühlten sich eher den Europäern als den Herero zugewandt.

Doch Kraume belässt es bei einer einzigen afrikanischen Protagonistin in Gestalt der Schauspielerin Girley Charlene Jazama, der der opportunistische deutsche Forscher im namibischen Buschland tölpelhaft hinterherstolpert.

Monströse Zurschaustellung

Und die er, so viel schockierendes Überwältigungskino muss sein, im KZ auf der Halbinsel Shark Island schließlich wiederfindet. Inhaftiert. Beim grauenhaften Abschaben und Auskochen der Schädel von Menschen, die bei Internierung und Zwangsarbeit starben. Die filmische Zurschaustellung der Entmenschlichung, sie trägt hier selbst ungebrochen monströse Züge.

2004 sprach die damalige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), auf einer Gedenkveranstaltung im namibischen Okakarara. Sie würdigte den Widerstand von Herero und Nama, sprach von einem „Vernichtungskrieg“ der kaiserlichen „Schutztruppe“.

Sie bat um Vergebung, betonte aber auch, dass es 1904 bereits deutsche Gegner dieses „Unterdrückungskrieges“ gab. „Einer dieser Kritiker war der damalige Vorsitzende der Partei, der ich angehöre, August Bebel“, sagte Wieczorek-Zeul. „Er hat die Unterdrückung der Herero im Deutschen Reichstag auf das Schärfste kritisiert und ihren Aufstand als gerechten Befreiungskampf gewürdigt.“

Von 1990 bis 2020 flossen 1,4 Milliarden Euro Entwicklungshilfen von Deutschland nach Namibia. Seit 2021 liegt ein Entschädigungsabkommen vor. Zwischen den Regierungen ist es abschließend verhandelt, doch unter den namibischen Gruppen sind Punkte noch strittig. Nama und Herero gehören zu den nationalen Minderheiten des Landes und sehen sich nicht in jeder Hinsicht von der Zentralregierung in Windhuk repräsentiert.

Eine drastische Szene in Kraumes Film zeigt den deutschen Wissenschaftler, wie er in der Omaheke-Wüste einen Schädel vom Rumpf eines Leichnahms abtrennt. Tatsächlich lagern immer noch tausende Schädel und Gebeine aus der Kolonialzeit in den Kellern deutscher Institute. Für sie eine würdige Rückführung zu finden, zumindest dafür könnte Kraumes deutsches Naturalismusspektakel als Beschleuniger nun dienen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.