„Schlachten“ im Maxim-Gorki-Theater: Neue Menschen, alte Menschen

Theater im Krieg: Oliver Frljić malt mit Heiner Müllers Textcollage „Schlachten“ am Berliner Gorki Theater das Barbarentum des Menschen aus.

Vier Menschen stehen auf der Bühne, drei haben die Hände erhoben, einer hält ein Gewehr hoch, zu ihren Füßen liegen Babypuppen

Marina Frenk, Mehmet Yılmaz, Vidina Popov, Tim Freudensprung in „Schlachten“ Foto: Ute Langkafel/MAIFOTO

Mitten im Krieg Theater über den Krieg zu machen, ist kein einfaches Geschäft. Denn wer ins Theater geht, um ein Kriegsstück anzuschauen, ist meist tief eingewoben in die Nachrichtenlage. Die eigenen Schlüsse werden daraus gezogen, die eigene Position keck aufmunitioniert. Das Geschehen auf der Bühne soll dann Bestätigung liefern.

Genau diesen Gefallen tut Regisseur Oliver Frljić in „Schlachten“ aber nicht. Er setzt sich vielmehr zwischen die meisten der denkbaren Stühle in Sachen (Ukraine-)Krieg. Daher ist abzusehen, dass diese Inszenierung auf weitgehende Ablehnung stoßen wird. Ansehenswert ist sie dennoch, vielleicht sogar genau deshalb.

In seinem dritten – und besten – Teil der Kriegstrilogie, die mit dem Revolutions- und Machtstück „Dantons Tod/Iphigenie“ begann und mit einer plakativ-belehrenden „Mutter Courage“ weitergeführt wurde, wühlt Frljić tief im Textfundus von Heiner Müller. Der kennt sich mit Kriegen aus, die Sprache ist poetisch und bei aller Klarheit selten eindeutig. „Wolokolamsker Chaussee“, „Germania 3“ und „Philoktet“ sind die am meisten ausgebeuteten Textminen. Frljić steuert aber auch eigene Zwischenstücke bei.

Stalin und „der neue Mensch“

Das historische Panorama beginnt mit Stalin. Der schnauzbärtige Diktator faselt noch vom „Neuen Menschen“ – ein Zukunftsprojekt, immerhin, für dessen Erreichen allerdings jedes Opfer, jeder Terror entschuldbar scheint. Sein Nachnachnachfolger auf dem Diktatorensessel hat nicht mal eine solche Vision. Wladimir Putin kennt nur den Terror und will ganz Altes wiederherstellen.

Weil aber selbst Stalin, so jedenfalls Müller, die Ahnung überkam, dass die Kombination aus Vision und Terror zur permanenten Mobilisierung nicht taugt, war er glücklich über den Zeitgenossen mit dem kleineren Bärtchen, Adolf Hitler. Das Kalkül: Je grausamer der deutsche Vorstoß vor mehr als 80 Jahren, desto mehr Sympathien für den, den man bald darauf „Väterchen Stalin“ nannte. Munter tanzen dazu Figuren mit Stalin-, Hitler- und Trotzki-Köpfchen auf der Bühne.

Maxim-Gorki-Theater Berlin, „Schlachten“, 3. Teil der Kriegstrilogie nach Heiner Müller, Regie: Oliver Frljić, mit Martina Frenk, Tim Freudensprung, Vidina Popov u.a., weitere Termine 02.04.34 und 18.04.23

Den großen Mobilisierungsdiskurs bricht Frljić dann auf eine Individualszene aus „Wolokolamsker Chaussee“ herunter. Ein Kommandeur (Tim Freudensprung) nutzt die Selbstverstümmelung eines Untergebenen (Mehmet Yilmaz), um ein Exempel zu statuieren und die willenlose Horde Menschen unter ihm zu einem Bataillon zu schmieden.

Schmiedehammer ist das Erschießungskommando, besetzt aus Kameraden des zum Tode Verurteilten. Der Rest der Truppe schaut zu. Es ist ein Ini­tia­tions­er­leb­nis. Ein Weg zurück, zu Recht und Moral des zivilen Lebens, bleibt denen, die mittun, und auch denen, die tatenlos zuschauen, nicht mehr.

Der Rausch des Kampfes

Der Rausch des Kampfes ist der einzige Ausweg. Frljic, aufgewachsen im Balkankrieg, dürften derartige Mobilisierungs- und Brutalisierungspraktiken vertraut sein. Hierzulande schreibt man sie gern den Gegnern zu. Krieg verändert aber auch die „Eigenen“, die „Guten“.

Wladimir Putin kennt nur den Terror und will ganz Altes wiederherstellen.

„Der Krieg ist, wie die Schwarzerde der Steppe, ein fruchtbarer Nährboden für innerlich verstörte Menschen, die nach Grenzsituationen lechzen wie die Sonnenblume nach Licht“, schreibt der polnische Schriftsteller Szczepan Twardoch nach Frontbesuchen in der Ukraine.

Er bringt regelmäßig Militärausrüstung, kennt Soldaten und Offiziere und liefert bei deutlich benannter Sympathie für die gerechte Sache der Ukraine tiefe Einblicke in die zwischen Verstörtsein und Hellsicht oszillierenden Gemüter in der Kampfzone. Sein Text, am Wochenende von der NZZ veröffentlicht, ist eine kongeniale Begleitlektüre zur Berliner Inszenierung.

Auch auf die Mobilisierungspraktiken im Hinterland hat Frljić es abgesehen. Grandios die – von Vidina Popov lustvoll ausgemalte – Kandidatenshow zu „Deutschland sucht das nächste Top-Opfer“. Von „kleinen“ Kriegen – wie dem bosnischen – über „große“ – Irak, Syrien und Ukraine – bis hin zur aktuellen Erdbebenkatastrophe reicht die Auswahl.

Erregungsbusiness

Sich nicht kümmern, nicht interessieren, nicht helfen wollen, ist sicher keine Option. Das Erregungsbusiness, das von einem Schreckereignis zum nächsten übergeht, ohne an den Ursachen etwas ändern zu wollen, ist aber auch verlogen.

Hier bleibt die Inszenierung leider hinter ihrem eigenen Programmheft zurück. In einem dort veröffentlichten Interview plädiert die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff für Verfahren und Praktiken, die Konflikte gewaltfrei zu lösen. Das szenische Material indes befeuert weiter die Gewalt.

Frljić steuert damit in eine Ausweglosigkeit, die auch dem späten Müller, dem von „Germania 3“, angelastet wurde. Und wenn Vidina Popov direkt bei ­Müller Rat sucht, kommt keine befriedigende Antwort mehr. Am Ende schickt Frljić Kinder auf die Bühne – als Zeichen offenbar, dass auch die nächsten Generationen in den Moloch des Schlachtens hineingezogen werden.

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