Megaprojekte des Architekten Ole Scheeren: In jeder Hinsicht groß

Ole Scheeren baut Großes in Asien, das ZKM Karlsruhe widmet ihm eine opulente Schau. Die kühne Architektur beeindruckt und macht misstrauisch.

Blick von Oben auf die Wohnanlage Interlace in Singapur

„The Interlace“ in Singapur von Ole Scheeren und OMA, 1040 Wohneinheiten mit Pools und Parks Foto: Iwan Baan

Wie langweilig zeitgenössische Architektur in Deutschland ist, wird gleich nebenan in den Niederlanden schmerzhaft deutlich. Dort wird auf heitere Transparenz gesetzt und bei größeren Gebäuden auch die kühne Form gewagt. Die Megamarkthalle des Architekturbüros MVRDV in Rotterdam etwa: 5.500 Quadratmeter Marktfläche umhüllt von irgendetwas zwischen einem breit gezerrten Triumphbogen und einem gigantischen bunten Brückenbauklotz. Kein Vergleich zu den dumpfen Kästen mit ihren Schießscharten-Fensterschlitzen hierzulande.

Die Gründe für die betonierte Ödnis Deutschlands sind bekanntlich komplex, finanzielle Interessen der Bauträger, mutlose Konsenspolitik und der immer noch wachsende Wust an (je Bundesland variierenden) Bauordnungen greifen lähmend ineinander. Auch ganz schlichte Bedürfnisse nach Wohn- und Aufenthaltsqualität leiden unter der normierten Einfallslosigkeit.

Dass Ästhetik und Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens gemeinsam gedacht werden müssen, propagiert der in Karlsruhe geborene Architekt Ole Scheeren. Peter Weibel, der am 1. März überraschend verstorbene Direktor des dortigen Zentrums für Kunst und Medien (ZKM), hatte Scheeren in seiner Heimatstadt eine opulente Ausstellung spendiert.

Die Schau „ole scheeren: spaces of life“ mit ihren eindrucksvollen Architekturmodellen ist eine von Weibels letzten Großtaten, bevor er Ende März in den Ruhestand gehen wollte. Scheeren baut vor allem in Asien. Seine Firmen­zentralen, Hotels, Kulturbauten und Wohnanlagen im gehobenen Luxussegment sind häufig schwindelerregende Großprojekte.

„ole scheeren: spaces of life“: Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) Karlsruhe, bis 4. Juni

Scheeren gibt sich als smarter und eloquenter Weltbürger. Mit dem Motto „form follows fiction“ – einer Abkehr vom Nüchternheitsprinzip „form follows function“ – hat er seiner Architektur auch ein durchaus PR-wirksames Mantra verpasst. Seine Bauten sollen ein Erlebnis- und Erfahrungsraum sein – und sie sind mitunter eine spektakuläre Bühne.

Zwischen Kunst und Kommerz

Der 52-Jährige denkt in jeder Hinsicht groß, seine Wunderkindkarriere ist in der Karlsruher Schau anhand einer ehrfurchtgebietenden Timeline visualisiert: mehr als 40 Meter lang, zeigt sie an die 100 Architekturmodelle in 3D-Druck. Lächerlich klein nehmen sich die ersten heimischen Versuche neben seinen Großprojekten aus, die er bislang überwiegend in Asien verwirklichen konnte. Darunter das „Guardian Art Center“, ein Hybridprojekt zwischen Kunst und Kommerz, das Chinas wichtigstes Auktionshaus, Galerien, Restaurants, ein Hotel, multifunktionale Veranstaltungsräume und einen musealen Raum beherbergt.

Der Sohn eines Architekten fing mit 14 Jahren im Büro seines Vaters an und baute mit 21 Jahren das erste Haus. Mit 31 Jahren wurde er in Rotterdam Partner bei Rem Koolhaas’ OMA und war vornehmlich für dessen Großprojekte in China zuständig. Mit dem 2012 eröffneten „CCTV“ verwirklichte er das nach dem Pentagon zweitgrößte Bürogebäude der Welt.

Bis heute ist dieser dreidimensionale Loop für die Sendezentrale des chinesischen Staatsfernsehens mit dem statischen Wagnis von 75 Metern Auskragung in 160 Metern Höhe eines seiner spektakulärsten Projekte. In Karlsruhe ist es prominent ausgestellt. 2010 trennte Scheeren sich von Koolhaas und gründete in Peking sein eigenes Büro.

Die Karlsruher Schau unterscheidet nicht zwischen Scheerens unabhängig umgesetzten Projekten und denen, die er noch für OMA plante, sie erwähnt irritierenderweise auch nicht, dass das in Karlsruhe noch ausführlich dokumentierte Frankfurter Projekt „Riverpark Tower“ inzwischen längst gestoppt wurde. Scheeren wollte ein brutalistisches Hochhaus, das 1977 Albert Speer jr. für die DG Bank am Main­ufer geplant hatte, umgestalten und die Büroparzellen zu Luxuswohnungen umbauen. In die freitragende Beton­struktur des Turms sollten horizontale Panoramageschosse eingefügt werden.

Das wäre ein großer Auftrag in Deutschland gewesen, der auch als Vorzeigeprojekt für den aktuellen Nachhaltigkeitstrend im Baubusiness dienen sollte. Nicht realisiert wurde auch Scheerens siegreicher Entwurf für den Neubau der Axel-Springer-Zentrale in Berlin, wo man dann schließlich doch den Plänen seines alten Chefs Rem Kool­haas den Vorzug gab.

Ein großes gläsernes Gebäude, das einen eckigen Loop formt, umgeben von der Skyline Pekings

Wäre bei hiesigen Bauvorschriften nicht gebaut worden: das CCTV in Peking von Ole Scheeren und OMA Foto: Iwan Baan

„Jenseits aller Bauvorschriften“

Zu kühn oder zu teuer? Für Scheeren ist es offenbar schwer, mit seiner groß gedachten Architektur in Deutschland Fuß zu fassen. Er selbst gibt zu, dass spektakuläre Bauten wie das CCTV in Peking „jenseits aller Bauvorschriften“ umgesetzt wurden und hier unmöglich wären. In einem Interview 2015 für das Magazin Baunetz verriet Scheeren, wie solch waghalsige Projekte in einem Land ohne Bauordnung durchgeführt werden: Man setze sich einfach „mit den Behörden zusammen“, woraufhin man seine Pläne gemeinsam mit einem Expertengremium mit Statikern entwickele.

Klingt nach unbegrenzten Möglichkeiten. Andererseits sagte er: „Ich bin aber ein klarer Gegner von der Idee des „wilden Ostens“, in dem sich Architekten austoben können. Wir haben eine große gesellschaftliche Verantwortung.“

Ganz weiß man nicht, wie er diese gesellschaftliche Verantwortung versteht. Seine chinesische Megaarchitektur scheint fast obszön in ihrer Gigantomanie, Fragen zu Ökologie und zum ethischen Preis der Bauten, die sich insbesondere in autoritär regierten Ländern wie China stellen, wischt er betont lässig weg. Als seien es die falschen Fragen für jemanden, der eben in jeder Hinsicht groß denkt.

Dabei ist es nicht unbedingt die Größe, sondern das ungewöhnliche Raumkonzept, das häufig beeindruckt. Wie Ole Scheeren etwa privaten Wohnraum, gemeinschaftliche Flächen und Grünanlagen in einem seiner bekanntesten Bauten, dem vor gut zehn Jahren realisierten „The Interlace“ in Singapur, zusammendenkt. Dessen Modell ist im zentralen Lichthof des ZKM prominent inszeniert. Auf dem Gelände des „Interlace“ befand sich einst ein Wolkenkratzer mit 607 Wohneinheiten, das Grundstück war von mehreren Parks umgeben. Scheeren stapelte für seine Wohnanlage Gebäudeteile wie riesige Kisten übereinander, die im Grundriss ein Wabenmuster nachzeichnen.

170.000 Quadratmeter Nutzfläche entstand aus der verschachtelten, in jede Himmelsrichtung weisenden Architektur, 1.040 Wohneinheiten. Drumherum und zwischendrin Grünflächen, zahlreiche Höfe mit Pools, bepflanzte Dachgärten und viele gemeinschaftlich nutzbare, teils öffentliche Räume – für diejenigen, die sich sozial und finanziell Eintritt zu „The Interlace“ leisten können: ein Klubhaus, ein Theater, ein Fitnessstudio, Restaurants und Tennisplätze.

Ein Hochhaus, das sich in Pixel aufzulösen scheint

Ein solitäres Hochhaus ist das „Maha Nakhon“ von 2018 in Bangkok. Entlang seiner spiralförmig gewundenen 314 Meter Höhe ahmt es eine pixelartige Struktur nach. Es sieht aus, als löse sich der Bau in dieser auf, während er von der Ferne einer zerklüfteten Berglandschaft gleicht. In dem Glitzerturm residiert das Ritz-Carlton-Luxushotel.

Ole Scheerens Megagebäude sind fotogen, instagramable, PR-wirksam. Im „media dump“ der Ausstellung ist ein Raum mit Bildschirmen gepflastert, sie zeigen Social-Media-Posts von Selfies bis zu Panoramavideos der Besucher und Bewohner seiner Architektur. Überhaupt geht es in der ZKM-Schau medial zu, via Augmented Reality kann man sich an den großformatigen Modellen in die Innenräume der Gebäude versetzen lassen.

Überzeugend ist Scheerens Architektur vor allem dort, wo er über das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit nachdenkt. Auch der Ritz-Carlton-Turm in Bangkok hat eine frei zugängliche Dachterrasse (wobei die Frage an das ZKM, wie frei zugänglich sie wirklich ist, unbeantwortet blieb). Scheerens Konzepte sozialer Räume sind alles andere als neu. Schon Le Corbusiers Wohnmaschine aus den späten 1940er Jahren hatte solche Gemeinschaftsflächen.

In vielen sozialen Wohnneubauprojekten von Genossenschaften oder Baugruppen gehören gemeinschaftlich genutzte Räume heute zum Standard. Bei Ole Scheeren bleiben die Gemeinschaftsflächen aber weitestgehend exklusiv, richten sich an die Wohlhabenden.

Dennoch liefert der Architekt gerade in seiner gigantischen Dimension Beispiele, die sich auf andere ökonomische und soziale Verhältnisse übertragen ließen. Wie wäre es denn zum Beispiel mit einem „Interlace“ als kommunaler Wohnungsbau? Wenn es denn die deutschen Bauordnungen erlauben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.