Massenabschiebungen nach Niger: In die Wüste gekarrt und ausgesetzt

Algerien schiebt zehntausende Menschen jährlich ab – völkerrechtswidrig. Dieses Jahr wurden schon 10.000 Personen in der Wüste ausgesetzt.

Eine Frau steht mit einem Kind auf dem Rücken vor einem Reisebus

Diese Frau wartet in Tamanrasset auf den Bus, der sie nach Niger bringen soll Foto: Ryad Kramdi/afp

TUNIS taz | Die Zahlen sind unerreicht, die Zustände im Norden Nigers nahe der algerischen Grenze heftig wie nie. Zwischen Januar und Ende März 2023 haben algerische Behörden im Rahmen von Kollektivabschiebungen mehr als 10.200 Geflüchtete und Mi­gran­t*in­nen an der Grenze zu Niger in der Wüste ausgesetzt, berichtet das Aktivist*innen-Netzwerk Alarme Phone Sahara (APS).

Auch die Menschenrechtsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) schlägt Alarm und rief die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas auf, umgehend Schutz für die in der Kleinstadt Assamaka im Norden Nigers gestrandeten Menschen bereitzustellen, die dort unter extrem prekären Bedingungen leben. Die Lage in der nur rund 1.500 Be­woh­ne­r*in­nen zählenden Stadt sei beispiellos, so MSF in einer Stellungnahme.

Eine für 1.100 Menschen ausgelegte Notunterkunft des an die Vereinten Nationen angegliederten Grenzregime-Dienstleisters IOM (Internationale Organisation für Migration) in Assamaka ist völlig überfüllt, die Organisation nimmt schon seit Monaten keine neu ankommenden Menschen mehr auf.

Ein von MSF betriebenes Gesundheitszentrum ist ebenso überlaufen. Hunderte Menschen hätten im und rund um das Zentrum provisorische Zelte errichtet und würden teils an einer Schatten spendenden Müllstelle ausharren, um sich vor den Temperaturen von bis zu 48 Grad zu schützen. Es gebe nicht genug Nahrung und Wasser für diese Anzahl an Menschen, erklärte MSF.

Seit Jahren lassen algerische Behörden willkürlich und unter eklatanter Verletzung internationaler Flüchtlings- und Menschenrechtskonventionen fast wöchentlich hunderte Geflüchtete und Mi­gran­t*in­nen im Norden Algeriens verhaften. Die Menschen werden anschließend in Buskonvois in das rund 2.000 Kilometer südlich von Algier gelegene Tamanrasset transferiert.

Auf Grundlage eines 2014 unterzeichneten Rücknahmeabkommens zwischen Niger und Algerien werden diese dann auf Lkw gepfercht und meist am sogenannten „Point Zero“ mitten in der Sahara ausgesetzt. Von diesem noch auf algerischen Territorium befindlichen Ort werden Abgeschobene gezwungen, rund 15 Kilometer nach Assamaka zu laufen, wo MSF, APS oder IOM Nothilfe leisten.

2021 habe MSF insgesamt 27.208 Abschiebungen aus Algerien registriert, 2022 seien es sogar 36.083 gewesen, so der Büroleiter von MSF in Niger, Jamal Mrrouch, gegenüber der taz. Der Rücknahmedeal von 2014 erlaubt eigentlich nur die Ausweisung nigrischer Bürger*innen, doch Algerien ignoriert diese Bestimmung konsequent und schiebt auch Menschen aus arabischen, west- und zentralafrikanischen Staaten oder Pakistan und Bangladesch nach Niger ab.

Neue Dimension von Rassismus

Algerien scheint derweil nicht nur die Anzahl der Ausweisungen auszuweiten, sondern auch die Abschiebepraktiken verschärft zu haben. Rund 80 Prozent aller jüngst Abgeschobenen hätten MSF berichtet, ihnen seien von algerischen Offiziellen Geld und Pass abgenommen worden, erzählt Mrrouch der taz.

„Schon seit Jahren nehmen algerische Behörden den nach Niger Ausgewiesenen systematisch die Smartphones ab, um sie daran zu hindern, Photos zu machen und diese zu veröffentlichen. Auch Geld und Wertgegenstände werden ihnen abgenommen, aber wir konnten in der Vergangenheit nur einige wenige Fälle bestätigen, in denen Abgeschobenen ihre Ausweise weggenommen wurden“, erklärt Mokhtar Dan Yaye von APS der taz.

Das zuletzt offenbar systematische Abnehmen von Ausweisdokumenten durch algerische Behörden verzögert jedoch Administrativprozeduren sowie Rückführungen, verkompliziert es doch die Prüfung der Herkunft von Abgeschobenen.

Einige der jüngst nach Niger Ausgewiesenen sind derweil erst kürzlich aus Angst vor einer Welle an rassistischen und gewaltsamen Übergriffen auf Schwarze aus dem Nachbarland Tunesien nach Algerien geflohen und waren dort von algerischen Sicherheitskräften verhaftet und umgehend nach Niger abgeschoben worden, erklärt Mrrouch.

Tunesiens Präsident Kais Saied hatte im Februar mit einer vor rassistischer Verschwörungsrhetorik triefenden Stellungnahme gegen Mi­gran­t*in­nen gehetzt und damit eine landesweite Gewaltorgie gegen Schwarze losgetreten. Mi­gran­t*in­nen und Geflüchtete sind in Nordafrika zwar schon lange Rassismus, Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt, die jüngsten Entwicklungen in Tunesien und Algerien haben allerdings eine neue Dimension.

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