Das Verleger-Duo
: Büchermann
und Bücherfrau

Anders sein als die anderen – das ist im Grunde etwas, das auf die bewegte und bewegende Geschichte des März-Verlags genauso zutrifft wie auf die beiden Menschen, die in einer Arbeitswohnung in Berlin-Schöneberg gegenüber einer gelben Bücherwand sitzen und diesen Verlag heute betreiben.

Richard Stoiber und Barbara Kalender sind seit Juni 2021 das neue Verleger:innen-Duo, die beiden empfangen zu Kaffee und Gebäck, sichtlich begeistert ziehen sie frisch gedruckte März-Bändchen von Olga Ravn, Hendrik Otremba und Eva Tepest aus dem Regal. „Wir leben für Bücher. Wir sind wohl die Besessenen, die Berufenen oder die Verrückten“, sagt Barbara Kalender, „also verrückt nicht im Sinne von geisteskrank, sondern im Sinne von anders als die anderen.“

Der Verlag hat vor zwei Jahren einen Relaunch mit verjüngtem und gewagtem Programm hingelegt. Nachdem Jörg Schröder, der langjährige März-Verleger und Partner von Barbara Kalender, im Juni 2020 starb, traf Kalender im Jahr darauf auf den ehemaligen Matthes-&-Seitz-Lektor Stoiber, knapp 30 Jahre jünger als sie. Bei den beiden matcht es.

Kalender, 64, und Stoiber, 35, teilen eine ähnliche Vorstellung von Literatur. „Der Altersunterschied interessiert uns überhaupt nicht. Uns interessiert die Ware, der Inhalt, der Roman. Solange Richard die richtigen Bücher liest, ist doch alles gut“, sagt Kalender. Stoiber widmet sich als Geschäftsführer und Programmleiter quasi 24/7 dem Verlag: „Man muss sich schon klarmachen: der Verlag, das ist jetzt mein Leben. Wenn man lamentiert, wie viel man arbeiten muss, dann wird das nichts. Dann bekommt man Magengeschwüre.“

In der Verlagswohnung in einer Bauhaus-Wohnsiedlung in Schöneberg stehen viele März-Klassiker im Regal. Für (Post-) 68er:innen gehörten Bücher wie Günter Amendts „Sexfront“ oder Valerie Solanas’ „Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer“ zum diskursiven Grundbesteck, auch die Autoren der Beat Generation (die meisten waren in der Tat Männer) erschienen in dem 1969 gegründeten Verlag. Einige dieser Bücher legen die beiden nun neu auf. Mit dem Neustart tritt aber auch eine neue Au­to­r:in­nen­ge­ne­ra­ti­on auf den Plan, Schrift­stel­le­r:in­nen wie Jenny Hval oder eben Tepest und Otremba. Dieses Frühjahr erscheinen neun Titel, die meisten Ersterscheinungen. Die Themenmischung ist vielsagend: Black Metal, dunkles Begehren, queerer Sex, Lust (und Unlust) im Allgemeinen und die kommentierten falschen Hitler-Tagebücher finden sich in ein und demselben Programm.

Damit wollen sie an die Verlagsgeschichte anknüpfen. „Als ich den März-Verlag vor vielen Jahren entdeckte, dachte ich: ‚Aha, so kann man also auch einen Verlag betreiben!‘“, sagt Stoi­ber, „mit einem Programm, das irgendwie alles abdeckt, von Politik über Porno bis zu experimenteller Literatur. Dazu mit einem erkennbaren ästhetischen und politischen Kompass und fernab des literarischen Massengeschmacks.“ Erfolgreich sei ein Verlag für ihn dann, wenn alle Beteiligten davon leben könnten und es gelänge, die Menschen für Literatur zu gewinnen: „Ich bin dann zufrieden, wenn wir vermeintlich schwierige, komplexe Bücher einem größtmöglichen Publikum zuführen“, so Stoiber. Das sei eine große Herausforderung, zumal in einer Zeit, in der einfache Weltbilder immer attraktiver würden.

Kalender und Stoiber wirken schon jetzt wie ein eingespieltes Duo, im intellektuellen Ping-Pong spielen sie sich die Bälle hin und her. Und sie streiten gerne. Als Stoiber sagt, das Modell der Selbstausbeutung und Überidentifizierung mit der Verlagsarbeit sei „im Grunde hyperkapitalistisch“, widerspricht Kalender. Das liegt wohl auch daran, dass für sie alles im Leben zusammengehört: „Ich trenne Arbeit, Privates und Politisches nicht. Und den Slogan,Das Private ist politisch’ kennen wir doch wohl alle noch.“

„Wir sind wohl die Besessenen, die Berufenen oder die Verrückten“

Barbara Kalender, März-Verlag

Man kann ausufernde Diskussionen mit den beiden führen, sie decken – ein bisschen wie das Verlagsprogramm – irgendwie alles ab. Aber wie zur Hölle soll man aus einem fast zweistündigen Gespräch ein Kurzporträt stricken? Zum Glück hat Kalender eine Antwort: „Ist doch ganz einfach: Richard Stoiber, Büchermann. Barbara Kalender, Bücherfrau.“

So kann man es natürlich auch sagen. Jens Uthoff