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Charmant Luft rauslassen

Ein indonesisches Ehepaar studiert Musikethnologie in den USA und gründet 1995 die Band Suarasama. Deren Album „Timeline“ erscheint nun neu

Von Stephanie Grimm

Die Möglichkeit, als zeit­ge­nös­si­sche:r Mu­sik­schaf­fen­de:r mit wenigen Mausklicks auf endlose Klangarchive zuzugreifen und Genres und musikalische Traditionen zusammenzuwerfen, hat zweifellos interessante Fusionen hervorgebracht – oft genug aber auch etwas beliebig anmutende Bindestrich-Musik. Suarasama, das Projekt von Irwansyah Harahap und Rithaony Hutajulu, nahm derartigen Amalgamierungen zu einer Zeit vorweg, als der digitale Zugriff auf Klänge aus aller Welt noch Zukunftsmusik war. Nachdem das aus Indonesien stammende Ehepaar 1995 ihr Studium der Musikethnologie an der University of Washington abgeschlossen hatte, unterrichteten die beiden an einer Universität in Medan im Norden ihrer Heimatinsel Sumatra.

Die nackte Theorie genügte ihnen nicht, sie suchten auch nach kreativer Umsetzung ihres Wissens. Für ihr daraus hervorgegangenes Bandprojekt fanden sie wechselnde Mitstreiter:innen. Ihr Debüt „Fajar Di Atas Awan Far“ (was so viel bedeutet wie: „Morgendämmerung über den fernen Wolken“) erschien 1998; darauf folgten drei weitere Alben. Nach “Rites of Passages“ (2002) und „Lebah“ (2008) war es vor allem ihre vierte und letzte Veröffentlichung, „Timeline“ von 2013, die international Aufsehen erregte, auch über Weltmusikkreise hinaus. Das Album erschien beim stets geschmackssicheren Chicagoer Label Drag City und wird jetzt zum Zehnjährigen wiederveröffentlicht. Erstmals kann man die zart-hypnotischen Sounds auch auf Vinyl erwerben.

Suarasama nahmen den Dangdut, einen seit den 1970er Jahren populären Musikstil aus ihrer Heimatregion, als Ausgangspunkt. In das Genre, das an sich eine wild ekletizistische Mixtur aus regionalen Traditionen und kolonialen Einflüssen ist, aus indischen, arabischen und malaiischen Elementen, und den Sittenwächtern allein aufgrund der dazugehörigen Tanzstile ein Dorn im Auge ist, integrierten sie darüber hinaus afrikanische, lateinamerikanische und osteuropäische Elemente.

Ihr Songwriting gleicht einer systematisch anmutenden Versuchsanordnung, bei der sie definierende Elemente verschiedener Traditionen zusammenbringen. Das Ergebnis mutet allerdings keineswegs konstruiert oder überfrachtet an, sondern klingt rund und organisch. Harahap spielt eine Vielzahl von Saiteninstrumenten: akustische Gitarren ebenso wie die Mandoline, und eine von ihm selbst entworfene Saz-Gitarre. Oder auch die malaiische Gambus, eine vor allem in religiösen Kontexten verwendete rundbauchige Laute.

Der heikle Begriff „Weltmusik“ bekommt hier eine konkrete Bedeutung

Der Song „Dukkha“ etwa bringt die Volksmusik der Mandailing, einer ethnischen Gruppe in Sumatra, mit osteuropäischen Traditionen zusammen. Gespielt wird diese Fusion auf einer westafrikanischen Bechertrommel und der in Indien zu Gesangsbegleitung genutzten Shrutibox; das Instrument erzeugt einen dem Akkordeon ähnlichen Dauerton.

Im Song „Sea Fish“ lassen sie ihre beiden Gesangsstimmen im dorischen Modus, einer moll­ähnlichen Tonleiter, aufeinander treffen, getragen von Muhammad Amins Perkussion. Horas Panjaitans begleitet dazu auf einem Harmonium, das ebenfalls rhythmische Akzente setzt. In der Gesamtanmutung entwickelt der Song eine brasilianisch anmutende Luftigkeit. Ein anlässlich des 10. Jubiläums der Erstveröffentlichung herausgebrachtes Livevideo vermittelt einen Eindruck davon, wie das konzentriert aufspielende Quartett einen dichten Sound erzeugt, hinter dem man mehr als nur vier Mu­si­ke­r:in­nen vermutet.

Die crosskulturellen Synergieeffekte entwickeln einen Sog, der sanft, tröstlich und recht zeitlos wirkt. Die oft heikle, schwammige Begrifflichkeit der Weltmusik bekommt bei diesem Projekt eine ganz konkrete Bedeutung, schließlich schöpfen sie aus tatsächlich weltumspannenden Klangwelten. Und klingen damit trotzdem nicht beliebig. Ganz nebenbei lässt die Combo identitätspolitischen Konzepten davon, wie Kultur zu funktionieren hat, aufs Charmanteste die Luft heraus. Bedauerlicherweise wird das Album das letzte von Suarasama sein. Der Co-Bandleader Irwansyah Harahap starb 2021 im Alter von 60 Jahren.

Suarasama:Timeline (Drag City)