US-Reporter Evan Gershkovich in U-Haft: Politischer Spielball

Evan Gershkovich drohen bis zu 20 Jahre Haft. Ob die Vorwürfe konstruiert sind, spielt in einem autoritären Staat wie Russland keine Rolle.

Evan Gershokovich im Glaskasten im Moskauer Gericht, er lächelt

Evan Gershkovich Mitte April vor einem Stadtgericht in Moskau Foto: Alexander Zemlianichenko/ap

Als die Öffentlichkeit Evan Gershkovich das letzte Mal zu Gesicht bekam, stand der US-Journalist in einem verglasten Kasten in einem Moskauer Gericht. Er lächelte. „Evan, bleib stark!“, rief ihm ein Kollege auf Russisch zu. Das Gericht lehnte an diesem Tag Mitte April den Einspruch, den Gershkovich und seine Anwältinnen gegen seine Haft eingereicht hatten, ab. Sie hatten Hausarrest anstelle der Untersuchungshaft gefordert und eine Kaution von 50 Millionen Rubel angeboten, umgerechnet eine halbe Million Euro. Gershkovich verschwand nach dieser Niederlage wieder in seiner Gefängniszelle im berüchtigten Moskauer Gefängnis Lefortowo.

Evan Gershkovich, 31, arbeitet in Russland als Reporter für das Wall Street Journal (WSJ). Am 28. März veröffentlichte er gemeinsam mit einem Kollegen einen Text über den Niedergang der russischen Wirtschaft. Einen Tag später wurde er vor einem Steakhaus in der Millionenstadt Jekaterinburg vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB verhaftet. Er sei beim Spionieren im Auftrag der US-amerikanischen Regierung auf „frischer Tat ertappt“ worden, behauptete Kremlsprecher Dmitri Peskow. Der FSB wirft ihm vor, Staatsgeheimnisse gesammelt zu haben. Beweise hat Russland bisher nicht vorgelegt. Gershkovich hatte zur Söldnertruppe Wagner recherchiert. Die US-Regierung und das WSJ weisen die Anschuldigungen gegen Gershkovich strikt zurück.

Zwei Monate sind seit der Festnahme vergangen. Freun­d:in­nen und Kol­le­g:in­nen kämpfen seitdem für die Freilassung des US-Reporters. Sie haben den Instagramkanal @freegershkovich ins Leben gerufen, sein Freund und ehemaliger Kollege Pjotr Sauer hat eine Briefkampagne für ihn gestartet. Das WSJ informiert auf seiner Startseite über ihren Reporter: Dort finden sich gesammelt die neuesten Entwick­lungen zu dem Fall, Gershkovichs wichtigste Texte, ein Porträt über ihn und ein Videointerview mit seiner Familie.

Internationale Me­di­en­ver­tre­ter:­in­nen und -organisationen haben in einem offenen Brief dazu aufgerufen, den US-Journalisten freizulassen. Auch deutsche Medienschaffende haben das gefordert und dafür an den russischen Botschafter in Berlin geschrieben.

USA erklärt Freilassung zur „Priorität“

Das erste Mal seit Ende des Kalten Krieges wird ein US-Journalist in Russland wegen Spionagevorwürfen eingesperrt. Bei einer Verurteilung drohen Gershkovich bis zu 20 Jahre Haft. US-Präsident Joe Biden hat die Freilassung zu seiner „Priorität“ erklärt, teilte das Weiße Haus kürzlich mit. Seine Regierung arbeite „jeden Tag“ daran, die Freilassung von Evan Gershkovich zu erreichen.

Die internationale Anteilnahme für Gerhskovich ist groß. Und doch wirkt die politische und gesellschaftliche Unterstützung bislang vergeblich. Erst vergangene Woche hatte das russische Außenministerium Gershkovich wiederholt konsularischen Besuch untersagt. Die Absage fand sich als Randnotiz in einer Mitteilung des russischen Außenministeriums, in dem für 500 US-Bürger:innen, darunter Ex-Präsident Barack Obama, ein Einreiseverbot verhängt wurde. Russische Journalisten hätten im Mai schließlich keine US-Visa für die Reise mit Außenminister Sergej Lawrow zu den Vereinten Nationen in New York erhalten, hieß es dazu. Sanktionen und berufliche Einschränkungen für Russen blieben nie ohne Strafe, hörte man aus Moskau.

Gershkovich ist damit längst zum politischen Spielball Russlands geworden. Und das in einer Zeit, in der die Beziehungen zwischen Russland und den USA angesichts der russischen Invasion in der Ukraine ohnehin an einem Tiefpunkt sind. Ob die Vorwürfe gegen Gershkovich konstruiert sind, ob es keine Beweise gibt, spielt in einem autoritären Staat wie Russland keine Rolle. Welche Hoffnung gibt es dann für Evan Gershkovich?

Vergangene Woche schien Bewegung in den Fall zu kommen. Da berichtete CNN, dass sich die US-Regierung darum bemühe, hochrangige russische Gefangene für einen Austausch mit Russland zu finden. Dafür sei die Regierung mit anderen verbündeten Ländern im Gespräch, darunter auch Deutschland. Entscheidend werden könnte also nicht, die Unschuld von Gerhskovich zu beweisen, sondern wen die USA zum Tausch anbieten können.

Tauschpartner: „Tiergartenmörder“

Ähnlich gelaufen war es im Fall der US-Basketballspielerin Brittney Griner, die zehn Monate lang in russischer Haft war. Erst durch einen Gefangenenaustausch zwischen den USA und Russland kam sie in diesem Mai frei. Schon damals brachte Russland einen Tausch unter Beteiligung Deutschlands ins Spiel. Im Visier hatte man den sogenannten Tiergartenmörder Vadim Krasikov. Er wurde im Dezember 2021 in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt.

Erneut stellt sich also die Frage, ob die russische Seite diesen verurteilten Mörder zum Gegenstand von Verhandlungen machen wird. Aber dürfte der „Tiergartenmörder“ überstellt werden?

Sollte es im Interesse der Bundesregierung sein, Krasikov im Rahmen diplomatischer Initiativen nach Russland zu überstellen, so gebe es dafür rechtliche Instrumente, sagt Rechtsanwalt Nikolaos Gazeas der taz. Er ist auf das internationale Strafrecht spezialisiert und seit 2020 der deutsche Anwalt von Alexej Nawalny.

Wenn die Bundesregierung Krasikov nach Russland schicken möchte, müsste diese den Generalbundesanwalt um Zustimmung ersuchen. Formal wäre er als Vollstreckungsbehörde zuständig. Der Generalbundesanwalt kann darüber entscheiden, die Strafvollstreckung vorzeitig zu beenden, auch ohne Zustimmung des Gerichts. Der Verurteilte Krasikov könnte dann an Russland übergeben werden, das förmlich seine Strafvollstreckung übernehmen würde. Juristisch sei das möglich, sagt Gazeas, auch wenn es in dem Wissen geschehe, dass Russland wahrscheinlich die Strafe aussetzen würde.

In Deutschland müsste der wegen Mordes verurteilte Russe also weder begnadigt, noch müsste ihm seine Strafe erlassen werden. Das hält Rechtsanwalt Gazeas für nicht vermittelbar. „Am Ende ist der Gefangenenaustausch für jeden Staat eine rein politische Entscheidung“, sagt er. „Vadim Krasikov ist einer der aus Sicht des Kremls wichtigsten rechtskräftig verurteilten russischen Gefangenen, die wir aktuell in Deutschland haben“, sagt Gazeas. Ob und wofür man Krasikov im Tausch übergebe, werde sich die Bundesregierung daher sehr gut überlegen. 


Die Bundesregierung befindet sich also in einem Dilemma: Sie muss entscheiden, ob sie den US-Amerikanern hilft, ihren eigenen Staatsbürger freizubekommen, oder ob sie den Gefangenen Vadim Krasikov für noch mögliche größere, wichtigere Verhandlungen mit den Russen behält.

Dass Gershkovich in Russland als politischer Gefangener festgehalten und ihm Spionagedelikte vorgeworfen werden, hält Gazeas für „geradezu absurd“. Der Gefangenenaustausch sei in der gegenwärtigen Situation für einen politischen Gefangenen in Russland faktisch die einzige Möglichkeit, um freizukommen.

Ob sich die deutsche Regierung an der Freilassung von Evan Gershkovich beteiligt, wollte die Bundesregierung auf taz-Anfrage nicht mitteilen. Ein Regierungssprecher sagte jedoch, dass die Regierung tief besorgt sei über die Verhaftung des US-Journalisten in Russland: „Die Arbeit von akkreditierten Korrespondentinnen und Korrespondenten muss ungehindert und ohne Einschüchterung möglich sein.“ Journalismus dürfe nicht kriminalisiert werden. „Die russischen Behörden demonstrieren mit ihrem Vorgehen einmal mehr ihre systematische Missachtung der Medienfreiheit“, sagte der Regierungssprecher der taz.

Unter dem Vorsitz von Deutschland haben sich die G7-Staaten im Jahr 2022 dazu entschlossen, sich gemeinsam für die Stärkung der Pressefreiheit einzusetzen und unabhängigen Journalismus in Krisen- und Kriegsregionen zu unterstützen. Wie Deutschland dies im Zusammenhang mit der Inhaftierung von Gershkovich gewährleisten kann, ist bislang nicht ersichtlich.

Gershkovich hatte fünfeinhalb Jahre aus Russland berichtet, rund eineinhalb Jahre für das Wall Street Journal. Viele ausländische Jour­na­lis­t:in­nen verließen nach Kriegsbeginn im vergangenen Jahr zumindest vorübergehend Russland. Gershkovich entschied sich zu bleiben. Er empfand es als seine Pflicht zu berichten. In dem bislang einzigen Brief, den Gershkovich aus dem Gefängnis an seine Familie geschrieben hat, heißt es, er verliere nicht die Hoffnung. Und: „Ich versuche zu schreiben. Vielleicht werde ich endlich etwas Gutes schreiben.“

Am Mittwoch hat ein Moskauer Gericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit die Haft von Gershkovich bis Ende August verlängert. Seine Freilassung ist ein weiteres Mal auf unbekannte Zeit verschoben.

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