Ziviler Ungehorsam im Iran: Aufbegehren im Kontrollstaat

Im Iran widersetzen sich die Frauen mit zivilem Ungehorsam den Sittenregeln. Das Regime reagiert mit Ausgrenzung und setzt auf Überwachungshightech.

Frauen in Teheran, Iran

Iranische Frauen bilden die Speerspitze des Widerstands: Straßenszene in Teheran, April 2023 Foto: Vahid Salemi/ap

WIEN taz | Auf einigen Bildern ist der Iran kaum wiederzuerkennen. Weg sind die schwarzen Schleier. Stattdessen sieht man wehende Haare, schwarz, lockig, blondiert, von bobkurz bis hüftlang. Manchmal spaziert auch eine komplett verschleierte Frau im Tschador schwesterlich neben einer Frau im T-Shirt und mit offenem Haar – ein Zeichen der gegenseitigen Toleranz und gegen die Polarisierung, die das iranische Regime zwischen religiösen und nichtreligiösen Bürgerinnen und Bürgern schaffen will.

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Solche Bilder machen in sozialen Medien kaum noch die Runde, zu gewöhnlich sind sie geworden. Zumindest in den großen Städten gehören Akte des zivilen Ungehorsams gegen das Mullahregime inzwischen – ein Dreivierteljahr nach Ausbruch der letzten großen Protestwelle – fast schon zum guten Ton. Um viral zu gehen, muss man weitergehen: im Minirock die Einkaufsstraße ­Valiasr in Teheran entlangspazieren oder in kurzen Sporthosen und Tanktop Fahrrad fahren – Dinge, die anderswo normal erscheinen, in der Islamischen Republik aber immer noch ungeheuren Mut erfordern.

Zwar patrouilliert die gefürchtete Sittenpolizei nicht mehr in den Straßen, doch das Regime ermuntert die gewaltbereiten Basidschi, die Sittengesetze zu überwachen und mit allen Mitteln durchzusetzen. Die Freiwilligenmiliz besteht überwiegend aus jungen Männern und Frauen, die meist in armen Stadtvierteln rekrutiert und anschließend stark indoktriniert wurden.

Die Speerspitze des Widerstands gegen die islamistische Unterdrückung im Iran bilden nach wie vor die Frauen. Denn in der Islamischen Republik, die nach der Revolution von 1979 ins Leben gerufen wurde, wird so­zia­le und politische Kontrolle in erster Linie als Kon­trol­le über den weiblichen Körper ausgeübt.

„Der Hidschab ist ein Symbol der Islamischen Republik. Gibt es keinen Hidschab, macht die Islamische Republik keinen Sinn mehr“, sagte vor wenigen Wochen Mohammad ­Dehghan, der amtierende Vizepräsident für juristische Fragen. Iranische Aktivistinnen wie die in den USA lebende Masih ­Alinejad vergleichen den Zwangs­hidschab darum mit der Berliner Mauer: Fällt der Hidschab, fällt auch die Islamische Republik.

„Indirekte und intelligente“ Methoden

Seit Monaten schon sucht das Mullahregime deshalb nach neuen Methoden, um die Einhaltung der vermeintlich islamischen Sitten durchzusetzen. Unzählige Gremien und Taskforces arbeiten daran, die ins Wanken geratene Gesellschaftsordnung aus Puritanismus und Frauenverachtung zu bewahren und Verstöße zu ahnden. Wie die neuen Wege der Strafverfolgung genau funktionieren, bleibt vorerst allerdings zumindest auf Gesetzesebene im Vagen. Ständig werden neue Maßnahmen eingeführt, wieder zurückgenommen, überarbeitet, ersetzt, erweitert. Die Unklarheit in der Gesetzgebung scheint System zu haben: Eine breite öffentliche Debatte wird dadurch verhindert oder zumindest erschwert.

Trotzdem lässt sich inzwischen eine Strategie erkennen, die es in sich hat: Physische Übergriffe wie im Fall Mahsa Aminis, deren mutmaßliche Tötung durch die Sittenpolizei vergangenen September die Massenproteste auslöste, seien zumindest für offizielle Behörden ab jetzt tabu, sagte Bijan Nobaveh Vatan, ein ultrakonservatives Parlamentsmitglied. Stattdessen sollen die Behörden auf „indirekte und intelligente Strafmethoden“ zurückgreifen, um Verstöße gegen den Zwangshidschab und andere Sittenregeln zu ahnden. So steht es in einem Gesetzentwurf, der im März von einer Gruppe konservativer Abgeordneter vorgelegt wurde.

Gewalt gibt es aber weiterhin. Sie wird jetzt halboffiziellen Gruppen wie den Basidschi überlassen, von denen sich die politische Führung notfalls distanzieren kann. In sozialen Medien berichten Iranerinnen und Iraner, wie die Freiwilligenmiliz in den Stadtvierteln patrouilliert – mit einer faktischen Lizenz zum Ermahnen, Belästigen und Misshandeln.

Weniger grausam, aber vielleicht noch effektiver sind die „indirekten und intelligenten“ Methoden. Schon seit rund einem Jahr blicken die Iranerinnen und Iraner mit Sorge auf die vielen Überwachungskameras, die sich fast epidemisch im ganzen Land ausbreiten.

„Als innovative Maßnahme wird die iranische Polizei intelligente Kameras an öffentlichen Orten einsetzen, um Personen zu identifizieren, die gegen die Vorschriften verstoßen“, zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Tasnim die Polizei. Frauen, die den Hidschab verweigern, werden jetzt nicht mehr durch die Sittenpolizei identifiziert und festgenommen, sondern durch hochmoderne Überwachungskameras mit Gesichtserkennung erfasst. Beim ersten Mal erhalten sie eine Ermahnung, spätestens beim zweiten Mal eine Geldstrafe.

Die Höhe der Strafe liegt aktuell bei bis zu 100 US-Dollar, dem aktuellen Monatslohn eines iranischen Fabrikarbeiters. Hardliner haben aber bereits Beträge von 60.000 Dollar gefordert. Wer die Strafen nicht zahlen will oder kann, dem wird das Bankkonto gesperrt. „Für Reiche wird somit sogar der Hidschab optional“, kritisierte Nasila ­Marufian, eine iranische Journalistin, einen entsprechenden Gesetzentwurf, der im Mai dem Parlament vorgelegt wurde.

Doch die Strafen reichen über die Geldbuße hinaus: Geschäfte, Cafés, Restaurants und Einkaufszentren, in denen Frauen ohne Hidschab gesichtet werden, werden dichtgemacht. Autos, in denen unverschleierte Frauen mitfahren, werden konfisziert. Ziel dieser Maßnahmen sei „die soziale Ausgrenzung“ von Frauen, die den Hidschab verweigern, so der ultrakonservative Abgeordnete Ali Yazdikhah.

Technologie aus China

Möglich wird diese Art der Strafverfolgung durch chinesisches Hightech. 2021 schloss Iran mit China ein Abkommen über strategische Kooperation mit einer Laufzeit von 25 Jahren. Im Gegenzug zu billigem Erdöl und zur Übernahme verschiedener Wirtschaftszweige durch chinesische Firmen bekommt Iran aus China Überwachungstechnologie. Obwohl iranische Funktionäre den Kauf solcher Spitzentechnologie nicht zugeben, rühmt sich der chinesische Marktführer für Überwachungstechnik ­Tiandy auf seiner Website offen seiner Geschäftsbeziehungen zu Teheran. Was in China unter anderem dazu dient, Uiguren zu verfolgen, wird im Iran verwendet, um Demonstrierende und unverschleierte Frauen zu identifizieren.

Dass im Iran aktuell eine Kultur des zivilen Ungehorsams aufblüht, ist angesichts solcher Formen der Repression bemerkenswert, wenn auch kein neues Phänomen: Früher waren es Frauen, die unter dem Hidschab einzelne Haarsträhnen hervorscheinen ließen, die die Grenzen des Möglichen verschoben. Heute sind es Frauen, die den Hidschab komplett ablegen und in T-Shirt und kurzen Hosen durch die Parks spazieren.

Aus den Reihen der Opposition im Iran heißt es, es sei nur eine Frage der Zeit, bis der Protest auch wieder auf die Straßen getragen werde. Ein potenzieller Auslöser ist die horrible Wirtschaftslage im Land. Die geschwächte Regierung plant deshalb schon länger eine Erhöhung der stark subventionierten Gas- und Benzinpreise, hat den Schritt aber immer wieder verschoben – wohl aus Angst vor neuen Ausschreitungen. Schon 2019 hatte eine Erhöhung der Benzinpreise Proteste ausgelöst.

„Jeder Funke könnte ausreichen, um das Fass in die Luft zu jagen“, sagt ein Regimegegner im Gespräch mit der taz, der aus Sicherheitsgründen ­anonym bleiben will. Ein Hashtag, der in diesen Wochen in den sozialen Medien im Iran kursiert, ­lautet: „Es wird ein heißer Sommer“.

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