Deutsch-russische Beziehungen: Ein Abschied folgt dem nächsten

Moskau begrenzt die Zahl deutscher Staatsbediensteter in Russland. Dass die Spannungen wachsen, spürt auch die kleine Tochter unserer Autorin.

Eine Frau sitzt in einem Auto, hinter ihr sieht man das Schild einer deutschen Botschaft

Auch mehr als zwanzig deutsche Diplomaten müssen Russland verlassen Foto: Natalia Kolesnikova/afp/getty images

MOSKAU taz | Seit Monaten schreibt unsere siebenjährige Tochter Abschiedsbriefe. Die Wörter „traurig“ und „vermissen“ beherrscht sie mittlerweile perfekt. Seit Russland seinen Krieg in der Ukraine begonnen hat, schrumpfen auch die diplomatischen Kanäle zwischen Deutschland und Russland. Es gibt gegenseitige Ausweisungen, geforderte Reduzierung des Personals und jetzt auch Schließungen von diplomatischen Vertretungen, hier wie dort. Berlin fürchtet um die Sicherheit Deutschlands und Europas und will die russischen Geheimdienstler unter den Diplomaten loswerden. Moskau reagiert pikiert und greift zu Maßnahmen, die über die sogenannte Spiegelbildlichkeit hinausgehen. Diese treffen die Bediensteten in ganz Russland, Deutsche wie Russen. Sie treffen auch uns und unseren Alltag.

„Es ist traurig, dass du gehen musst. Ich werde dich soooooo vermissen.“ Die Anzahl der o variiert unsere Erstklässlerin und setzt, je nach Adressaten, Katzen, Hasen oder Dinos darunter. Für die Freundin, den besten Freund, eine Schulkameradin, die geliebte Erzieherin, die Lehrerin, die Hortbetreuerin. Unsere Tochter geht auf die deutsche Botschaftsschule in Moskau, eine Schule, die deutsche wie russische Kinder und auch deutsch-russische, türkische, belgische nicht nur in Mathematik und Deutsch unterrichtet(e), sondern viel auch in gegenseitigem Verständnis für unterschiedliche Meinungen, Kulturen, Gesellschaften.

Für Verständnis lässt Russlands Angriffskrieg keinen Raum. Gleich zu Beginn der Invasion hatten mehrere Familien Russland verlassen. Manche, weil sie keine Zukunft mehr für ihre Kinder hier sahen, andere, weil sie Jobs verloren oder weil Moskau sie auswies.

In der vergangenen Woche folgte der nächste Schlag: Nun greift die von der russischen Regierung festgesetzte Höchstgrenze für das Personal in deutschen Institutionen quer durch Russland – in der Botschaft, den Konsulaten, Schulen, Kindergärten, Goethe-Instituten, aber auch russischen Schulen, die mittels von Deutschland finanzierter Programme deutsche Leh­rkräfte beschäftigen. Das russische Außenministerium hatte bereits seit April von „Obergrenzen“ gesprochen, nachdem auf Drängen des Auswärtigen Amtes eine zweistellige Zahl russischer Di­plo­ma­t*in­nen aus Deutschland ausgereist war.

„Es war ein Meer voller Tränen“

Dass seit Freitag auf deutscher Seite nur noch 350 Bedienstete in Russland bleiben dürfen, ist Moskaus Retourkutsche. Andere müssen oder mussten bereits gehen. Darunter deutsche Diplomat*innen, aber auch russische Lokalbeschäftigte: von Sach­be­ar­bei­te­r*in­nen an der Botschaft über Kindergärtnerinnen bis hin zu Putzfrauen in den jeweiligen Einrichtungen. Manche sind seit Jahrzehnten dabei – und stehen nun auf der Straße. Wie auch Familien, die von einem Tag auf den anderen Kündigungen aus dem Kindergarten bekamen.

Innerhalb von nur wenigen Stunden entschieden die Verantwortlichen in Botschaft und Schule, wer ­gehen muss und wer bleiben darf. „Es war ein Meer voller Tränen“, sagen Betroffene. Die Deutsche Schule muss mehr als die Hälfte ihres Personals kürzen, dadurch reduziert sich teils auch der Unterricht. Das Goethe-Institut, das knapp 20 Sprachlernzentren betreibt und an die 10.000 Leh­re­r*in­nen betreut, schränkt die Arbeit ebenfalls ein und will nur noch in Moskau und Sankt Petersburg geöffnet bleiben.

Andere Einrichtungen müssen den Betrieb einstellen. Auch die deutschen Konsulate in Jekaterinburg, Nowosibirsk und Kaliningrad schließen im November. Als Reaktion hat das Auswärtige Amt Russland aufgefordert, vier der fünf Konsulate in Deutschland zuzumachen.

Ungewissheit als ständiger Begleiter

Berlin sieht im Vorgehen Moskaus, die Obergrenze einzuführen, eine „durch nichts gerechtfertigte Entscheidung“ und nennt es einen „Schritt zur Eskalation“. Moskau weist die Verantwortung weit von sich. „Im Eifer einer feindseligen Politik verliert Berlin jegliche Orientierung“, schreibt das russische Außenministerium und kündigt an: „Diese provokativen Aktionen werden nicht ohne angemessene Reaktion bleiben.“

Die Ungewissheit, seit dem 24. Februar 2022 ohnehin ein ständiger Begleiter des Lebens und Arbeitens in Russland, wird größer, die Brücken reißen weiter ein. „Irgendwann ist keiner mehr hier“, sagt unsere Siebenjährige – und setzt sich an den nächsten Brief. „Es ist so traurig.“

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