Ende der Atomenergie: Unsozialer Ausstieg

Das Ende der AKW-Nutzung verschärft die sozialen Verwerfungen der Energiewende. Unter den Preisen werden in erster Linie die Ärmeren leiden.

Strommasten vor dem Kernkraftwerk Emsland.

Das AKW Emsland wurde im April abgeschaltet Foto: Sina Schuldt/dpa

Mitte April war es also vorbei. In Deutschland gingen auch die letzten drei Kernkraftwerke vom Netz. Vor allem im Lichte der Klimakrise erschien die Reihenfolge der deutschen Energiewende – erst aus der Atomkraft raus, dann aus der Kohle, und dann irgendwann auch aus dem Gas – mit der Zeit immer merkwürdiger. Statt mit der Kohle anzufangen, entledigte man sich zunächst einer fast CO2-freien Energiequelle.

Neben dem Weltklima leidet aber auch das oft beschworene soziale Klima unter dem Atomausstieg. Der Plan, das Stromnetz von fossiler und atomarer Grundlastversorgung auf 100 Prozent Erneuerbare umzustellen, bringt nämlich gewaltige Kosten mit sich, unter denen besonders die Ärmsten ächzen.

Zwar können Fotovoltaik und vor allem Windkraft im Alltag recht billig Strom gewinnen. Doch die Gesamtkosten für die Transformation des Energiesystems sind gewaltig. So wollen die Treiber der Energiewende in den kommenden Jahrzehnten eine riesige Infrastruktur aus Kurzzeit- und Langzeitspeichern aus dem Boden stampfen, die bei Bedarf für die wetterabhängigen Erneuerbaren einspringen können.

Darüber hinaus muss Deutschland auch das Stromnetz aus- und umbauen, neue Versorgungsleitungen legen und zur Harmonisierung der vielen dezentralen Energiequellen die Digitalisierung voranbringen. Schon heute sehen sich die Netzbetreiber häufig gezwungen, mit teuren „Redispatches“ (Anpassungen) einzugreifen, um Stromproduktion und -nachfrage im Gleichgewicht zu halten.

Die Maßnahmen vergrößern die Rechnung für Energiewende

Alle diese Maßnahmen vergrößern die Rechnung für die Energiewende. Man könnte diese Kosten abmildern, würde man statt der Totaltransformation die Atomkraft als CO2-armen Grundlastsockel für Wind und Sonne beibehalten oder sie gar weiter ausbauen, wie es andere Länder planen.

Die kleine Stromverbraucherin subventionierte industrielle Windparkbetreiber und gut betuchte Eigenheimbesitzer

Schon 2021 zog der Bundesrechnungshof bittere Bilanz: Die Energiewende „droht Privathaushalte und Unternehmen finanziell zu überfordern“; die Kosten des Netzumbaus „treiben den Strompreis absehbar weiter in die Höhe“. Dazu kommt der Preis der CO2-Zertifikate, der in den kommenden Jahren weiter steigen und die noch fest verankerte fossile Grundlastproduktion mit Kohle und Gas verteuern wird.

Am Ende zahlen die Verbraucherinnen. Erst vor Kurzem hat die Bundesregierung die EEG-Umlage gestrichen, mit der alle Stromkunden jahrelang den Ausbau von Solar- und Windkraft bezuschussten. Auch die kleine Stromverbraucherin subventionierte darüber großindustrielle Windparkbetreiber und gut betuchte Eigenheimbesitzer, die Solarzellen auf ihre Dächer pflasterten – eine Umverteilung von unten nach oben. Nach über zwanzig Jahren Energiewende und Subventionen in Höhe von Hunderten Milliarden Euro hat Deutschland nicht nur das fossillastigste Netz Westeuropas, sondern auch mit die höchsten Strompreise auf dem Kontinent.

Neoliberale Methoden

Teuer an der Kernenergie wiederum ist vor allem der Bau von AKWs. Im Alltagsbetrieb produzieren sie hingegen effektiv und damit auch günstig Strom, wie Zahlen der Internationalen Energieagentur zeigen – Endlagerungs- und Rückbaukosten eingeschlossen. Besonders eine Laufzeitverlängerung bestehender Meiler hätte also ein Gegenmittel für steigenden Strompreise sein können.

Die Politik hat mittlerweile erkannt, dass der Abbau gesicherter Leistung zum Problem werden könnte – und setzt deshalb bei der Nachfrage an. Das Umweltbundesamt bezeichnet „die Reduktion des Energieverbrauches“ als „eine der größten Herausforderungen der Energiewende“. Um das Stromsparen zu erleichtern, sollen alle Anbieter variable Stromtarife anbieten: Der Preis wird dann stündlich schwanken, abhängig davon, ob die Sonne gerade scheint oder der Wind weht.

Bis 2032 will die Bundesregierung zudem digitale Strommessgeräte in jedes Haus bringen. Auf den sogenannten Smart Metern können Kunden in Echtzeit erkennen, wie hoch der Strompreis ist und ihr Verhalten daran anpassen. „Demand Management“ nennt die Regierung das. Was nach neoliberalem Sprech klingt, atmet auch ebenjenen Geist: Sind die Strompreise in der Dunkelflaute gerade hoch, werden sich Menschen mit geringem Einkommen wohl zweimal überlegen, ob sie sich den Tarif leisten können. Sie werden einfach aus dem „dynamischen“ Markt gedrängt – oder müssen entsprechend Geld berappen.

Es war nicht alternativlos

In Großbritannien will die Regierung Smart-Meter-Nutzern nun sogar Geld für eingesparten Strom bezahlen. Kritiker warnen zu Recht: Arme Menschen, die bereits nicht viel Energie nutzen, könnten ihren Basisverbrauch noch weiter einschränken, um am Ende des Monats etwas mehr Geld auf dem Konto zu haben. Die gesicherte Leistung aus AKWs könnte solche Angebots- und Preisschwankungen abschwächen. Der Kurs der Bundesregierung droht indes auch hierzulande, den Armen eine neue Art der Austeritätspolitik aufzuerlegen: Sobald die Gesellschaft zum Sparen aufgerufen wird, spüren es die Armen als Erste.

Die Haupteinwände der Atomgegnerinnen bleiben die Sicherheitsrisiken sowie der Atommüll. Schaut man sich jedoch statistisch die Todesfälle pro erzeugter Terawattstunde an, so ist die Kernenergie ungefähr so sicher wie Solar- und Windkraft. Und dass die Atommüllfrage keineswegs unlösbar ist, zeigen die Finnen, die bereits ein Endlager gefunden haben.

Die Dekarbonisierung der gesamten Energiewirtschaft ist eine gewaltige Aufgabe, die angesichts der Klimakrise nicht verhandelbar ist. Sie allein wird mit vielen Kosten und sozialen Verwerfungen einhergehen. Der Ausstieg aus der Kernenergie war hingegen keine alternativlose Entscheidung. Wenn Deutschland freiwillig auf diese Stromquelle verzichtet, verknappt sie das Angebot unnötig und schraubt die Transformationskosten in luftige Höhen. So eine Politik muss man sich eben leisten können.

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Jahrgang 1996, Studium der Politikwissenschaft und Nordamerikastudien in Berlin und Paris. Seit April 2023 Volontär der taz Panter Stiftung. Schreibt über internationale Politik, Klima & Energie, und Kultur.

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