Dokumentarfilm „Acasă“ über Roma-Familie: Für sie ist kein Platz

Das Dokumentarfilmdebüt „Acasă“ des rumänichen Regisseurs Radu Ciorniciuc begleitet eine Roma-Famlie. Sie müssen einem Naturpark weichen.

Eine Roma-Familie sitzt auf einer Wiese.

Die Familie Enaches im Bukarester Park von Văcărești Foto: Alive

Wir tauchen ein, fast buchstäblich: Da wuchert Natur, da ist ein See und Schilf, da ist ein Boot, da sind Fische, sie werden mit Händen gefangen. Hunde, Katzen, ein Schwein läuft herum. Eine Idylle, durch die sich die Kamera bodennah und auf Augenhöhe bewegt, für einen Moment kann man ­denken, man sei durch irgendeine Hintertür in den Garten Eden geraten.

Die Menschen aber, die hier leben, haben nicht viel: eine windschiefe und wacklige Hütte, eine Tür, die nicht schließt, die Tiere streunen herein, es gibt wenig zu essen, hier sind nicht Adam und Eva zu Hause, sondern die Roma-Familie der Enaches: Vater und Mutter und ihre neun Kinder.

Seit zwanzig Jahren leben sie hier. Hier: Das ist draußen, gleich vor der Stadt. Die Stadt ist Bukarest, das Land Rumänien, der Garten Eden der Park von Văcărești. Einst wollte Ceaușescu ihn fluten, der Damm am Rand wurde gebaut, dann spülten die Zeitläufte den ehemaligen Diktator Ceaușescu davon. Große Pläne gab es für einen Sport- und Kulturkomplex, die Investoren kamen und gingen, nichts wurde daraus.

Am Ende beschloss man, die ­verwilderte, von einer Vielzahl von Pflanzen und Tieren besiedelte Gegend zum Naturpark zu machen. Die Existenz der Familie Enache ist den Behörden bekannt, auch dass der Vater die Kinder der Schulpflicht entzieht.

„Acasă“ (Rumänien 2020, Regie: Radu ­Ciorniciuc). Die DVD ist im Handel ab rund 14 Euro erhältlich.

Die ersten Minuten verbringt Radu Ciorniciucs Dokumentarfilm mit den Enaches in ihrer Natur, dann aber setzt die Kamera per Drohne zu einem Höhenflug an. Erst sieht man von oben nur das Grüne, dann seine Grenzen: der Damm, ein Fluss, dahinter die unabsehbar sich erstreckende Stadt. Diese Bewegung nach oben ist das Omen der Vertreibung, die folgt.

Erst wird die Familie weiter geduldet, man sieht, wie Vater Enache die nun durch seinen Garten Eden Trampelnden mit sichtlichem Misstrauen beäugt. Einmal taucht sogar kein Geringerer als Prinz Charles auf, dem die Verwandlung der Wildnis in einen Naturpark, den größten in der EU gar, gefällt.

Der Staat ist streng, aber freundlich

Die Enaches jedoch müssen gehen, da richtet auch die Suiziddrohung von Vater Enache wenig aus. Der Staat nähert sich streng, aber freundlich, man weist der Familie eine Sozialwohnung zu, die Kinder werden in die Schule gesteckt.

Regisseur Ciorniciuc, der vor diesem Debüt als Investigativjournalist gearbeitet hat, folgt den Enaches, er folgt ihnen durch die Jahre, hinaus aus dem Park, hinein in die Stadt, in die winzige Wohnung, er folgt den Kindern in die Schule, dem Vater ins Krankenhaus, dem einen Sohn in einen kleineren Park in der Stadt, in dem er illegal Fische fängt und von der Polizei brutal abgestraft wird; hier und auch in der Schimpfkanonade eines Nachbarn kommt der Anti-Roma-Rassismus ins Bild.

Je länger es geht, desto mehr werden auch die Konflikte in der Familie selbst deutlich, der Widerstand der Söhne gegen das autoritäre Gebaren des Vaters. Gerne hätten sie die Wahl gehabt, zum Beispiel Lesen und Schreiben zu lernen.

Nichts von alledem wird kommentiert und erläutert. Über Für und Wider des Lebens der Enaches in der Natur, über Für und Wider ihrer Zwangszivilisierung, über das eine und das andere Elend muss man sich selbst ein Bild zu machen versuchen. Nicht leicht, wenn so viele Kontexte fehlen, da der Film an keiner Stelle Hintergründe oder Strukturen erklärt. Aber vielleicht ist die Solidarisierung, die sich aus dem entschlossenen Dabeisein ergibt, auch die einzig richtige Haltung.

Es ist ein Film, der sich über das, was er zeigt, nicht erhebt. Der bei und mit den Enaches ist, für die in der rumänischen Gesellschaft kein rechter Platz ist. Ihnen über neunzig Minuten diesen Raum zu geben und auf diese Weise für sie zu sein: Das ist dann wieder nicht wenig.

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