Buch „Knife“ von Salman Rushdie: Das Unglück namens gestern

Über die auf ihn verübte Messerattacke hat Salman Rushdie ein Buch geschrieben. „Knife“ ist eine Verteidigung des Lachens und der Solidarität.

Viele Menschen beugen sich über den verletzten Rushdie und helfen ihm

Der Moment, in dem beherzte Menschen dem angegriffenen Autor zu Hilfe eilen Foto: Joshua Goodman/ap

„Am 12. August 2022, einem sonnigen Freitagmorgen um Viertel vor elf, wurde ich von einem jungen Mann mit einem Messer angegriffen und beinahe getötet, nachdem ich gerade die Bühne des Amphitheaters in Chautauqua betreten hatte, um darüber zu reden, wie wichtig es ist, sich für die Sicherheit von Schriftstellerinnen und Schriftstellern einzusetzen.“

So schlicht und präzise beginnt Salman Rushdies neues Buch „Knife“. Dass Rushdie einer der besten lebenden Autoren der Gegenwart ist, zeigt sich einmal mehr in diesem ersten Satz. Er, den es sichtlich keine Mühe kostet, die nüchterne Beobachtung und Beschreibung des menschlichen Treibens als Märchen, oder vielleicht besser: als Schwank und Satire im Geist von Rabelais zu erzählen, weiß, wann es angebracht ist, zu sagen, was Sache ist.

Das gilt auch für den Titel des Buchs. Es heißt „Knife“, weil es ein Messer war, mit dem der Attentäter mehrfach auf ihn einstach. Das Messer hätte Rushdie fast getötet. Noch heute hat er Schwierigkeiten beim Tippen seiner Texte, weil einige Sehnen seiner linken Hand von diesem Messer durchschnitten worden waren. Das Messer durchtrennte den Sehnerv seines rechten Auges, und wenn es etwas tiefer eingedrungen wäre, hätte es sein Hirn möglicherweise irreparabel geschädigt oder ihn getötet.

„Knife“ heißt auch auf Deutsch „Knife“, was nicht gut ist, weil es das Buch auf eine Stufe mit schlechten Netflixserien und Krimis herunterzieht, die sich durch vermeintlich fancy klingende englische Titel ihrem deutschsprachigen Publikum einen Nimbus des Coolen zu verschaffen versuchen: „Ist nicht so dolle, ja, aber immer noch besser als heimische Produktion.“

Salman Rushdie: „Knife. Gedanken nach einem Mord­versuch“. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Penguin, München 2024, 256 Seiten, 25 Euro

Die deutsche Übersetzung würde in einer besseren Welt also „Messer“ heißen. „Messer“ – nicht „Das Messer“, weil Rush­die an einer Stelle über den Unterschied zwischen Messern und Feuerwaffen als solchen philosophiert. Die Pistole tötet aus der Distanz. Sie dient dazu, Menschen zu verletzen oder zu töten. Das Messer hingegen liegt meist in der Küche. Der Koch, die Köchin schneidet damit Brot, Käse oder Gemüse, um seine oder ihre Liebsten mit lebenswichtiger Nahrung zu versorgen.

Im Dienst der Zuneigung

Das Messer steht also meist im Dienst der Zuneigung und der Liebe – wenn man es nicht in eine Tasche steckt, um einen Dichter wegen eines Buchs zu ermorden, das man nicht gelesen hat. Dass dieser Dichter ein sehr böser Mann ist, hat der Attentäter von einem gewissen „Imam Yutubi“ gelernt. So nennt Rushdie, der den Humor nicht verloren hat, die Inkarnation des islamistischen Hetzers im Netz.

Die Figur des Messers symbolisiert also treffend die beiden Teile und Pole dieses Buchs, dessen erster Teil „Der Engel des Todes“ heißt. Teil zwei trägt den Titel „Der Engel des Lebens“. Sein Buch hat Rushdie „jenen Männern und Frauen gewidmet, die mein Leben gerettet haben“.

Schon nach der Fatwa des Ajatollah Chomeini gegen Rush­die im Jahr 1989 gab es Menschen, die indifferent reagierten. Es gab Menschen, die das sagten, was auch die Indifferenten im Grunde dachten: Rushdie sei ein schlechter Mensch (und also selber schuld, woraus logisch folgt, dass er den Tod verdiene). Rushdie nennt sie in seinem Buch beim Namen, was nur recht und billig ist. (Unter ihnen Jimmy Carter, Roald Dahl, Germaine Greer und Hugh Trevor-Roper.)

Eine anhaltende Wunde

Noch schmerzlicher aber sei gewesen, „dass ich von jenen abgelehnt wurde, für die ich vor allem geschrieben hatte – für die ich, wie ich fand, voller Liebe geschrieben hatte“. Mit der Aggression aus dem Iran sei er zurechtgekommen. „Die aus Indien, Pakistan und aus den südasiatischen Communitys herüberschwappende Feind­seligkeit fand ich viel schwerer zu ertragen. Diese Wunde ist bis zum heutigen Tag nicht verheilt.“

Aber es gab auch Menschen, die sich mit diesem Autor solidarisierten, der ein sehr schönes und witziges Buch namens „Satanic Verses“ über das Leben nichtweißer Menschen im London der 1980er geschrieben hatte. Diese Menschen waren der Ansicht, dass gegen die Arroganz irgendwelcher lächerlicher Autoritäten, die sich das Recht herausnehmen, Schriftsteller zum Tod zu verurteilen, weil sie Angst vor dem Lachen haben, entschieden Widerstand geleistet werden muss.

„Messer“ ist ein Buch über diese Arroganz der Dummen und Humorlosen, vor allem aber ein Buch über die Schönheit von Liebe und Solidarität. Es ist eine Liebeserklärung an seine Frau, seine Familie und Freunde. Rushdie sinniert darin über die Möglichkeit des Glücks in einer im Großen und Ganzen schrecklichen Welt.

Seinen Attentäter nennt Rush­die bei sich und einmal im Buch „Arschloch“. Fortan erscheint dieses Arschloch nur noch als „A.“ im Text. ­Rushdie versucht dessen Motive zu verstehen, kommt aber zum Schluss, dass die Mühe nicht lohnt.

27 Sekunden

Der Autor steht kaum auf der Bühne, da wird er angegriffen, von einem jungen Mann in Schwarz. Dann vereinigen sich die Männer in einem Moment der Intimität, die Rushdie vom maskierten Mörder aufgezwungen wird: „Im Tod gehören wir alle dem Gestern, sind wir für immer in der Vergangenheitsform gefangen. Das war der Käfig, in den mich das Messer zwingen sollte.“ Intimitäten muss sich der schwer Verletzte später auch in den Krankenhäusern gefallen lassen, weil er leben will.

27 Sekunden dauert dieser Moment. Dann sind bereits beherzt Menschen aus dem Publikum auf die Bühne geeilt. Sie überwältigen den Angreifer mit bloßen Händen und sie umsorgen den Angegriffenen mit eben diesen Händen. Einen der Helfer nennt Rushdie „den Daumen“. Denn dessen Daumen verschließt eine klaffende Wunde im Nacken des Autors und rettet ihn so vor dem Verbluten.

Ihm sei nahezu gleichzeitig das Schlimmste und das Beste am Menschen begegnet

Erst als Rushdie in einen Helikopter geladen wird, trennt sich der Daumen von ihm. Wenn das Messer ein Medium ist, durch das sich Aggression und Mordlust genauso wie die Sorge ausdrücken kann, ist die helfende Hand das Medium der Liebe und der Solidarität. Ihm sei nahezu gleichzeitig das Schlimmste und das Beste am Menschen begegnet, schreibt Rushdie.

„Der Tod kam auf mich zu, aber ich fand nichts Besonderes daran. Ich fand ihn nur anachronistisch“, schreibt Rushdie über den Augenblick, als er sieht, dass sich ein Attentäter mit einem Messer nähert. Rushdie versteht nach dem ersten Hieb, den er mit seiner linken Hand abzuwehren versucht, dass dieser Tod keine entfernte Möglichkeit ist, sondern dass er in Kürze sterben könnte. Er befiehlt sich selbst zu leben. Er bedauert, dass sein neuer Anzug nun kaputt ist. Er versucht zu sagen, dass man seine Frau informieren müsse. Er sorgt sich um seinen Hausschlüssel. Rushdie schreibt das alles lakonisch auf.

Ohne Humor lässt sich das Leben weder verstehen noch ertragen. Humor ist Ausdruck der Skepsis gegenüber Wahrheiten, die von den Humorlosen als ewig und unumstößlich verkauft und wenn es sein muss, mit Gewalt durchgesetzt werden. Autoritäten, die Gewalt befehlen, zeigen aller Welt, dass sie keine sind. Denn wenn sie Autorität besäßen, die auf Weisheit und Liebe beruht, bräuchten sie keine Folterkeller, keine Attentäter. Lachen heißt Leben. Sicher, die Humorlosen leben auch, aber in einer Hölle, die sie selbst erschaffen haben.

Rushdie hat „Messer“ geschrieben, „um das Vorgefallene anzuerkennen, die Kon­trolle zurückgewinnen, mir das Geschehene anzueignen und nicht ein bloßes Opfer zu sein. Auf Gewalt wollte ich mit Kunst antworten“. Es ist ihm gelungen.

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