Schleswig-Holsteins SPD im Vorwahlkampf: Parteichefin gegen Oberbürgermeister
Um den Spitzenplatz der schleswig-holsteinischen SPD für die Landtagswahl 2027 kandidieren zwei Kandidat*innen, die sehr unterschiedlich sind.

Vor der Landtagswahl 2022 hatte Midyatli überraschend den im Land weitgehend unbekannten Thomas Losse-Müller zum Spitzenkandidaten gemacht. Das Ergebnis war eine krachende Niederlage, Losse-Müller hat die Landespolitik inzwischen verlassen. „Mit dem heutigen Wissen hätte ich damals wohl eine andere Entscheidung getroffen“, sagt Midyatli, die auch stellvertretende Bundesparteivorsitzende und Fraktionschefin im Landtag ist, bei einer Pressekonferenz in Kiel. Nun sei für sie der perfekte Zeitpunkt, selbst anzutreten: „Ich bin in den vergangenen Jahren politisch weiter gewachsen, habe Krisenerfahrungen gesammelt. Und meine Söhne sind inzwischen groß.“
Als Landesvorsitzende hätte sie den ersten Zugriff auf die Kandidatur, aber sie überlässt der Basis die Entscheidung. „Niemand kann bessere Entscheidungen treffen als die Mitglieder“, sagt Maybrit Venske, stellvertretende Parteivorsitzende.
SPD steckt in der Krise
Ulf Kämpfer freut sich auf das Verfahren: „Mit Urwahlen haben wir gute Erfahrungen gemacht.“ Die gab es zuletzt 2012, als der damalige Kieler Oberbürgermeister Torsten Albig das interne Rennen gewann und in die Staatskanzlei einzog. „Wir wollen die Partei motivieren und die Öffentlichkeit über unser politisches Angebot informieren“, sagt Kämpfer. Parallel wirbt die SPD um neue Mitglieder, die mitbestimmen können, wenn sie bis Mitte September eintreten. Für Kämpfer sind Neumitglieder eher „Beifang. Wir brauchen vor allem den Zündfunken, an dem sich die Begeisterung entfachen kann.“
Der ist bitter notwendig. Die SPD in Schleswig-Holstein steckt tief in der Krise. Bei der Landtagswahl 2022 erhelt sie nur 16 Prozent der Stimmen, elf Prozent weniger als 2017. Bei den Kommunalwahlen 2023 sah es nur unwesentlich besser aus. Dagegen steht die schwarz-grüne Regierung unter Führung des Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU), der beständig hohe Zustimmungswerte bekommt und die jüngsten Wahlen mit deutlichen Vorsprüngen gewann.
Die beiden Bewerber:innen um den SPD-Spitzenposten sehen die Lage naturgemäß optimistischer: „Schleswig-Holstein war immer ein Land mit knappen Ergebnissen“, sagte Kämpfer. „Es gab bei jeder Wahl eine neue Parteienkonstellation, und ich arbeite daran, dass die nächste Regierung unter Führung der SPD steht.“
Harte statt weiche Themen
Denn so gut Daniel Günther bei weichen Themen sei und auch wenn er super Reden bei den Karl-May-Festspielen halte, bei „harten Themen“ wie dem Weiterbau von Autobahnen, besserer Bildung und bezahlbaren Miete gehe nichts voran. Für viele Menschen steige die Lücke zwischen Einkommen und Kosten, und die Menschen würden merken, dass hinter der „Wohlfühlfassade“ der schwarz-grünen Regierung wenig stecke, so Kämpfer.
Serpil Midyatli nannte ähnliche Themen, allen voran gerechte Bildung, Kita-Plätze und Wohnen. Inhaltlich gebe es zwischen beiden keine großen Unterschiede, sagte die Landesvorsitzende über Kämpfer, der ihr Stellvertreter im Landesparteivorstand ist.
Umso unterschiedlicher sind ihre Lebensläufe und Politik-Stile. Serpil Midyatli wurde 1975 in Kiel geboren, ihre Eltern waren aus der Türkei eingewandert und besaßen ein Restaurant. Nach ihrem Realschulabschluss wollte Midyatli am Wirtschaftsgymnasium Abitur machen, brach aber ab, um ein Lokal zu leiten. In die SPD trat die Jung-Unternehmerin im Jahr 2000 ein, seit 2009 sitzt die mit einem Gastronomen verheiratete Mutter zweier Kinder im Landtag. 2019 übernahm sie den Vorsitz der Landespartei.
Tour durchs Land
Ihr Lebenslauf und ihre Erfahrungen seien ihr großes Plus: „Ich muss keine Statistiken lesen, um zu wissen, wie sich eine Mutter fühlt, die keinen Kita-Platz findet, oder wie es ist, wenn über zu viele Kinder mit Migrationshintergrund in Klassen gesprochen wird.“ Ja, sie sei emotional, und das sei gut so: „Das muss man sein in der Politik, gerade wenn es um die geht, die Hilfe brauchen.“
Kämpfer, Jahrgang 1972, stammt aus der Kleinstadt Eutin, studierte in Hamburg und Göttingen Jura, absolvierte Forschungssemester in Irland und New York. Seine erste Berufsstation nach der Doktorarbeit war im Kieler Umweltministerium, später war er als Richter tätig. Seit 2014 ist der Jurist, der mit der Grünen-Politikerin Anke Erdmann verheiratet ist und mit ihr ein Kind hat, Oberbürgermeister von Kiel. Seine lange Erfahrung in der Verwaltung und seine Fähigkeit, Kompromisse zu schließen, nennt er als die Gründe, warum die Genoss:innen ihn wählen sollten.
Ab August wollen Midyatli und Kämpfer durchs Land touren und sich den Mitgliedern vorstellen. Die Wahl findet im Oktober statt.
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