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Neue Oper für HamburgKein Applaus für Klaus Michael Kühne

Gastkommentar von Karl-Martin Hentschel

Der reichste Mann Deutschlands schenkt Hamburg eine neue Oper. Warum ihm kein Lob für seine Großzügigkeit gebührt, sondern eine Vermögenssteuer.

Klaus Michael Kühne ist der reichste Mann Deutschlands Foto: Lars Berg/imago

K laus-Michael Kühne ist nach Angaben des Magazins Forbes der reichste Mann Deutschlands. Er schenkt Hamburg ein neues Opernhaus. Gott, muss der reich sein! Und wie spendabel! Nebenbei ist er noch der wichtigste Sponsor des HSV. Solche großherzigen Menschen brauchen wir. Soll man die wirklich stärker besteuern? Ist das gerecht?

In Diskussionen über Reichtum habe selbst ich als Mathematiker manchmal Probleme, die Dimensionen zu erklären. Versuchen wir es einmal: Ein Facharbeiter verdient im Jahr netto etwa 27.000 Euro. Der Bundeskanzler verdient netto (ohne seine vielen Nebeneinkünfte) etwa 150.000 Euro. Das ist fast das Sechsfache. Arbeitet er so viel mehr? Ist das gerecht? Die meisten Menschen finden: Ja, das ist okay.

Oliver Blume, der VW-Vorsitzende und zugleich bestbezahlte Manager Deutschlands, verdient 5,4 Millionen Euro netto. Das ist 36-mal(!) so viel wie der Bundeskanzler (in Worten: sechsunddreißig) und über 200-mal so viel wie ein Facharbeiter. Kann man so viel überhaupt ausgeben? Ist das gerecht? Macht das glücklicher? Da trennen sich die Meinungen.

Bild: privat
Karl-Martin Hentschel

ist Mitglied im Bundesvorstand des Vereins Mehr Demokratie e. V. Er war von 1996 bis 2009 Abgeordneter im Landtag in Schleswig-Holstein und Fraktionsvorsitzender während der rot-grünen Simonis-Regierung. 2019 erschien sein Buch „Demokratie für morgen“ (UVK Verlag).

Und Herr Kühne, der reichste Mann Deutschlands? Der hat im Jahr 2022 3,3 Milliarden Euro Dividende aus seiner Beteiligung an der Reederei Hapag-Lloyd erhalten. Diese Zahl sagt niemandem mehr etwas. Das ist über 600-mal so viel wie der superreiche VW-Vorsitzende Blume.

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Ein Mount Everest und zwei Kölner Dome

Um das anschaulich zu machen: Nehmen wir an, das Nettoeinkommen eines Facharbeiters entspräche sieben Zentimetern – also der Größe eines Hühnereis. Dann entspräche das Einkommen des Bundeskanzlers 42 Zentimetern, also der Größe eines Blumentopfs mit einer Blume darin. Das Einkommen des VW-Chefs Herrn Blume entspräche bereits dem großen Fenster links unten im ­Portal des Kölner Doms – das Fenster ist 15 Meter hoch.

Und nun zu Herrn Kühne. Sie vermuten sicher, dass sein Einkommen dann der Höhe des Doms entspräche. Das wären 157 Meter. Aber weit gefehlt! Das wäre „nur“ das Zehnfache von Herrn Blume. Und das höchste Gebäude der Welt? Der Burj Khalifa in Dubai mit 828 Metern? Auch das reicht nicht aus. Ja, selbst der Mount Everest wäre nicht ausreichend. Man müsste dann noch zwei Kölner Dome übereinander oben draufstellen.

Wenn ein Facharbeiter total sparsam wäre und jedes Jahr die Hälfte seines Einkommens auf die hohe Kante legen würde, dann müsste er 250.000 Jahre arbeiten, um so viel anzusparen, wie Herr Kühne in einem einzigen Jahr einnimmt. Um aber so viel anzusparen, wie Herr Kühne an Vermögen besitzt, hätte der Facharbeiter bereits drei Millionen Jahre sparen müssen.

Stimmt – das ist irre! Aber wie hat denn Kühne sein Vermögen erarbeitet? Die Geschichte geht so: Die Brüder Alfred (Klaus-Michael Kühnes Vater) und Werner Kühne übernahmen 1932 das Geschäft Kühne + Nagel, nachdem ihr Vater verstorben war. Im selben Jahr kam es zu einer Auseinandersetzung mit ihrem dritten Partner Adolf Maass, der jüdischer Abstammung war und dem fast die Hälfte des Betriebs gehörte. Im April 1933 musste er das Unternehmen ohne Abfindung verlassen. Am 1. Mai 1933 traten Alfred und Werner Kühne der NSDAP bei – mit einem jüdischen Mitinhaber wäre ihnen das wohl nicht möglich gewesen. Das Ehepaar Maass starb 1945 in Auschwitz.

NS-Musterbetrieb

Die Firma wurde ein NS-Musterbetrieb und wuchs rapide. Sie bekam nämlich von Hitler das Monopol für den Abtransport von Einrichtungen aus 65.000 jüdischen Haushalten in Frankreich und den Beneluxstaaten, deren Bewohner ins Ausland flohen oder gar ins KZ kamen.

Und nach dem Krieg? Zunächst durften die Brüder wegen ihrer Nazivergangenheit kein Geschäft führen. Sie machten deshalb Dieter Liesenfeld, einen jungen Mann jüdischer Abstammung, zum Teilhaber. Dann aber agierte Kühne + Nagel als Tarnfirma der Organisation Gehlen, eines Vorläufers des Bundesnachrichtendienstes, der unter der Aufsicht der CIA stand. Alfred Kühne wurde auf Anweisung der CIA „entnazifiziert“ und zahlte seinen Bruder und Herrn Liesenfeld aus. Später übergab er dann die Führung des Konzerns nach und nach an seinen einzigen Sohn Klaus-Michael.

Heute ist Kühne + Nagel das drittgrößte Logistikunternehmen der Welt. Firmen- und Wohnsitz hat Kühne seit Jahrzehnten in der Schweiz. Im November 2008 widersprach er bei einer Podiumsdiskussion einer möglichen Fusion mit der dänischen Reederei Mærsk. Er wolle das Käuferkonsortium „möglichst reinrassig deutsch halten“ – aber natürlich in Deutschland keine Steuern zahlen.

Eine bessere Gesellschaft wäre möglich – mit seinem Geld

Erstes Gedankenspiel: Herr Kühne schenkt nun ein Opernhaus für 300 Millionen Euro. Großzügig? Rechnen wir nach: Würde er Abgaben bezahlen wie jeder normale Arbeitnehmer, wären das 1,7 Milliarden Euro jährlich. Das wären also fünfeinhalb Opernhäuser – jedes Jahr! Oder: Der Hamburger Senat und die Bundesregierung könnten von seinen Steuern auch 40.000 zusätzliche Er­zie­he­r*in­nen finanzieren – die dringend gebraucht werden in Deutschland. Er würde trotzdem jedes Jahr um fast 2 Milliarden Euro reicher!

Zweites Gedankenspiel: Tatsächlich ist die Familie Kühne nur eine von insgesamt etwa 220 Milliardärsfamilien in Deutschland. Wenn diese prozentual so viel Steuern zahlen würden wie normale Arbeitnehmer, dann würde das reichen für 100.000 neue dringend benötigte Sozialwohnungen, ein Programm für gleiche Chancen für alle Kinder, die dringend nötige Reparatur der Infrastruktur von Schulen, Krankenhäusern, Brücken und der Bahn sowie den klimagerechten Umbau des Landes.

Kühne für die Spende der Hamburger Oper zu applaudieren, wäre also gänzlich unangebracht. Viel angemessener wäre die Frage, warum Milliardäre wie er nicht systematisch für die Finanzierung einer besseren Gesellschaft zur Verantwortung gezogen werden.

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3 Kommentare

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  • 1. Ich habe immer ein Problem damit, wenn man zwei Themen miteinander vermischt, die gar nichts miteinander zu tun haben. Und wenn das Vermögen allein auf Zahngold aus den KZ beruhte - was hat das mir einer Vermögenssteuer zu tun? Das eine ist ein moralisches Problem und ggf. eine Restitutionsfrage. Das andere ist Steuerecht.

    2. Was haben die Einnahmen aus der Dividende mit der Vermögenssteuer zu tun? Das ist ein Frage der Einkommensteuer. Von daher plädiert der Artikel wohl für eine Einkommensteuer auf Kapitalerträge und nicht auf Vermögen.

    • @Peter Rabe:

      Aber die einfache Grundaussage lautet: Reichtum sollte angemessen besteuert werden; sie bleibt richtig. Was die zwei miteinander vermischten Themen anbelangt; es wäre wohl interessant, wie ein großer Teil vermögender Menschen zu ihrem Vermögen gekommen sind. Die Erklärungen dafür reichen teils (insbesondere bei adligen Großgrundbesitzern) bis in finsterste Feudalzeit oder auch eben in die Nazizeit.

      • @Axel Donning:

        Bei Steuern bin ich dabei. Auf Erträge jeder Art. Bei Vermögen bin ich dagegen. Schon viele meiner Vermögensgegenstände sind leicht zu verstecken. Da geht bestimmt noch mehr. Geldbewegungen aber sind transparent (relativ).

        Historische Betrachtungen haben ihren Platz. Aber eben im entsprechenden Umfeld. Und nicht bei der Steuer. Auch wenn ich die Diskussion müßig finde, wessen Vorfahren wie zu Reichtum gekommen sind. Folgt ja hier nichts draus.