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Wahlen in JapanAlte Gewissheiten bröckeln

Martin Fritz
Kommentar von Martin Fritz

Die Niederlage des japanischen Regierungschefs ist milder ausgefallen, als erwartet. Ohne Mehrheit in beiden Kammern sind seine Tage jedoch gezählt.

Higeru Ishiba, Japans Premierminister und Vorsitzender der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP), Tokyo, 20.7.2025 Foto: Franck Robichon/pool via reuters

D ie Niederlage des japanischen Regierungschefs Shigeru Ishiba ist weniger hart ausgefallen, als es die Prognosen erwarten ließen. Am Ende fehlten seiner Koalition nur drei Stimmen, um die Mehrheit in der zweiten Parlamentskammer zu behalten. Dann hätte sich Ishiba wie bisher durch die punktuelle Zusammenarbeit mit der Opposition weiter durchmogeln können. Doch ohne Mehrheit in beiden Kammern sind seine Tage als Regierungschef gezählt. Seine parteiinternen Widersacher warten nur noch auf den richtigen Moment, um ihn abzulösen.

Doch wer immer ihm an der Spitze der Regierung und der Liberaldemokratischen Partei (LDP) folgt, wird kein griffiges Rezept gegen ihren dramatischen Niedergang haben. Seit der Wahl vor drei Jahren ist die absolute Stimmenzahl der LDP nach dem Verhältniswahlrecht von 20 Millionen auf nun 12 Millionen gesunken. Dagegen erhielten die zwei rechtspopulistischen Parteien, die am gestrigen Sonntag hohe Zugewinne verbuchten, zusammen über 14 Millionen Stimmen. Die Wählerinnen und Wähler trauen der Partei, die Japan seit 1955 fast ununterbrochen regiert, nicht mehr.

Japans Rechtspopulisten agierten nach dem Vorbild der MAGA-Bewegung von Donald Trump und europäischer Rechtsparteien wie der AfD, hetzten auf Youtube und der Plattform X gegen ausländische Arbeitskräfte und Touristen. Dazu forderten sie Steuersenkungen, was viele bisher apathische Bürger unter 40 zum Wählen motivierte, die sie sich seit der Rückkehr der Inflation vor drei Jahren immer weniger leisten können. Die Verdopplung des Reispreises erzeugte sichtbare Wut.

Aber der Aufstieg der Rechten spiegelt auch das Bröckeln alter Gewissheiten wider. Japan war einmal reich, nun schmilzt der Wohlstand, der schwache Yen ist ein Symbol dafür. Die Einwanderung stellt das stolze Selbstbild in Frage, man sei eine ethnisch homogene ­Nation. Und viele Japaner fühlen sich von den USA mit Füßen getreten. Der bisherige Beschützer misst die Freundschaft nur noch am Geld. Auch diese Veränderungen sind Wasser auf rechte Mühlen.

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Martin Fritz
Auslandskorrespondent Japan/Südkorea
Volontariat beim NDR. War Hörfunk-Korrespondent in Berlin während der deutschen Einheit. Danach fünf Jahre als Südasien-Korrespondent in Neu-Delhi. Berichtet seit 2001 aus Tokio über Japan und beide Koreas.
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