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Normalisierung Israels Gewalt in GazaTödliche Abstumpfung

Karim El-Gawhary
Kommentar von Karim El-Gawhary

Das Berichterstatten über Gaza ist zum Verzweifeln, die meisten Le­se­r:in­nen sind abgestumpft – auch deshalb, weil die Politik nichts unternimmt.

Palästinenserinnen warten verzweifelt im Stadtteil Al-Rimal im Zentrum von Gaza-Stadt auf Lebensmittel, am 20. Juli 2025 Foto: Rizek Abdeljawad/Xinhua/imago

E s ist journalistisch zum Verzweifeln. Die Lage im Gazastreifen wird immer schlimmer, aber medial ist sie schon längst zur Pflichtveranstaltung verkommen. Denn das „Schlimmer“ kämpft gegen die kurze medialen Aufmerksamkeitsspanne an. Haben wir alles schon gesehen und gehört, heißt es: Der tägliche kurze Bericht über mehrere Dutzend Tote an den israelisch-amerikanischen Essenverteilstellen der dubiosen Gaza Humanitarian Foundation (GHF); die Bilder von Menschen in Zelten, die erzählen, dass sie kaum mehr etwas zu essen finden. Die Einstellungen aus einem Krankenhaus mit den abgemagerten Kinderkörpern in dieser menschengemachten Katastrophe und natürlich die wiederkehrenden Aufnahmen von einem Meer von Kindern mit leeren Blech- und Plastikschüsseln.

Irgendwann macht der Schock der Taubheit Platz. Dann sitzen wir in Redaktionskonferenzen und fragen: Wie können wir die Geschichte weiterdrehen, sie spürbar machen? Dann kommen wir mit den Statistiken der Hilfsorganisationen, die versuchen, Hunger wissenschaftlich in Zahlen zu kategorisieren, die viel und doch wieder nichts aussagen, weil sie keine Namen haben. Oder wir finden einen amerikanischen oder deutschen, im besten Fall „bio-weißen“ Arzt in Gaza, der über Unterernährung seiner Patienten erzählt oder davon, mit welchen Schusswunden sie von den Verteilstellen auf einem Eselskarren zum Spital transportiert wurden, weil es keinen Treibstoff mehr gibt.

Doch die Taubheit bleibt. Wohl auch, weil all diese Berichte politisch nichts bewirken. Statt aufzuschreien, sitzt die Politik das Ganze aus. Es ist wie eine Decke, die über uns gezogen ist, die nicht durchdrungen werden kann. Deutsche Staatsräson, leere EU-Nahost-Wort­hülsen, Trump’scher Wahnsinn – die Decke hängt tief. Und wir darunter werden immer abgestumpfter.

Es ist journalistisch zum Verzweifeln. Aber wie klein und unbedeutend ist diese Verzweiflung im Vergleich zu jener der Menschen in Gaza, über die wir berichten. Sie kämpfen mit ihren Familien jeden Tag ums Überleben, wir nur darum, uns am Morgen als Journalisten im Spiegel ansehen zu können. Dann fragt uns unser Gewissen wie jeden Tag: Was können wir recherchieren, ­schreiben und erzählen, damit die Abgestumpften wieder etwas spüren.

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Karim El-Gawhary
Auslandskorrespondent Ägypten
Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)
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2 Kommentare

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  • Ich bin in keinster Weise abgestumpft, die taz schon, sie veröffentlicht keinen meiner Kommentare zum israelischen Völkermord an den Palästinensern.

  • "Die Politik sitzt das Ganze aus"

    Würde ich pauschal nicht behaupten. Es gibt zwei große Blockierer, die USA und Deutschland. Letzteres besonders in Hinblick auf EU Beschlüsse und Sanktionen.

    Jüngstes Beispiel die heutige Erklärung von 28 Staaten unterzeichnet, darunter

    Foreign ministers of Australia, Austria, Belgium, Canada, Cyprus, Denmark, Estonia, Finland, France, Iceland, Ireland, Italy, Greece, Japan, Latvia, Lithuania, Luxembourg, Malta, The Netherlands, New Zealand, Norway, Poland, Portugal, Slovenia, Spain, Sweden, Switzerland and the UK.

    Das Statement war eindeutig. Ende des Gaza Krieges, freier Zugang zu Nahrungsmitteln, Ende der Siedlergewalt, Ablassen von den Umsiedlungsplänen und Freilassung der Geiseln.

    Deutschland teilt diese Positionen offensichtlich nicht und gehört nicht zu den Mitunterzeichnern. Die Regierung lässt lieber Vertreter der Taliban einreisen für die Ausstellung von Reisepässen, damit die Abschiebeflüge demnächst direkt nach Afghanistan durchgeführt werden können.

    Da kann sich jeder selbst ein Urteil bilden.

    Hier der Link zur Erklärung GOV UK



    www.gov.uk/governm...tinian-territories