Normalisierung Israels Gewalt in Gaza: Tödliche Abstumpfung
Das Berichterstatten über Gaza ist zum Verzweifeln, die meisten Leser:innen sind abgestumpft – auch deshalb, weil die Politik nichts unternimmt.

E s ist journalistisch zum Verzweifeln. Die Lage im Gazastreifen wird immer schlimmer, aber medial ist sie schon längst zur Pflichtveranstaltung verkommen. Denn das „Schlimmer“ kämpft gegen die kurze medialen Aufmerksamkeitsspanne an. Haben wir alles schon gesehen und gehört, heißt es: Der tägliche kurze Bericht über mehrere Dutzend Tote an den israelisch-amerikanischen Essenverteilstellen der dubiosen Gaza Humanitarian Foundation (GHF); die Bilder von Menschen in Zelten, die erzählen, dass sie kaum mehr etwas zu essen finden. Die Einstellungen aus einem Krankenhaus mit den abgemagerten Kinderkörpern in dieser menschengemachten Katastrophe und natürlich die wiederkehrenden Aufnahmen von einem Meer von Kindern mit leeren Blech- und Plastikschüsseln.
Irgendwann macht der Schock der Taubheit Platz. Dann sitzen wir in Redaktionskonferenzen und fragen: Wie können wir die Geschichte weiterdrehen, sie spürbar machen? Dann kommen wir mit den Statistiken der Hilfsorganisationen, die versuchen, Hunger wissenschaftlich in Zahlen zu kategorisieren, die viel und doch wieder nichts aussagen, weil sie keine Namen haben. Oder wir finden einen amerikanischen oder deutschen, im besten Fall „bio-weißen“ Arzt in Gaza, der über Unterernährung seiner Patienten erzählt oder davon, mit welchen Schusswunden sie von den Verteilstellen auf einem Eselskarren zum Spital transportiert wurden, weil es keinen Treibstoff mehr gibt.
Doch die Taubheit bleibt. Wohl auch, weil all diese Berichte politisch nichts bewirken. Statt aufzuschreien, sitzt die Politik das Ganze aus. Es ist wie eine Decke, die über uns gezogen ist, die nicht durchdrungen werden kann. Deutsche Staatsräson, leere EU-Nahost-Worthülsen, Trump’scher Wahnsinn – die Decke hängt tief. Und wir darunter werden immer abgestumpfter.
Es ist journalistisch zum Verzweifeln. Aber wie klein und unbedeutend ist diese Verzweiflung im Vergleich zu jener der Menschen in Gaza, über die wir berichten. Sie kämpfen mit ihren Familien jeden Tag ums Überleben, wir nur darum, uns am Morgen als Journalisten im Spiegel ansehen zu können. Dann fragt uns unser Gewissen wie jeden Tag: Was können wir recherchieren, schreiben und erzählen, damit die Abgestumpften wieder etwas spüren.
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