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Debatte um SchwangerschaftsabbrücheKippt Schwarz-Rot nebenbei Paragraf 218?

Eine bislang kaum beachtete Stelle im Koalitionsvertrag deutet eine Legalisierung früher Abtreibungen an. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Krankenkassen dürfen nur für legale Leistungen zahlen Foto: Flavia Morlachetti/getty images

Berlin taz | Schreibt der Koalitionsvertrag in einem bislang wenig beachteten Satz und wie nebenbei eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen fest? So zumindest konnte man Frauke Brosius-Gersdorf vergangene Woche verstehen. In der Sendung von Markus Lanz sagte sie: „Im Koalitionsvertrag steht genau das, was ich vorgeschlagen habe“. Da das Bundesverfassungsgericht entschieden habe, dass die Kassen nur leistungspflichtig seien, wenn der Abbruch rechtmäßig ist, so Brosius-Gersdorf, „geht auch dieser Koalitionsvertrag davon aus, dass der Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase rechtmäßig ist.“

Was steht zum Schwangerschaftsabbruch im Koalitionsvertrag?

Die fünf Zeilen zum Schwangerschaftsabbruch im Koalitionsvertrag sind zwar dürftig, ein Satz aber hat es möglicherweise in sich: „Wir erweitern die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung über die heutigen Regelungen hinaus.“

Warum ist dieser Satz so relevant?

Er zielt darauf, dass die Krankenkassen nur für legale Leistungen zahlen dürfen – aber Schwangerschaftsabbrüche sind hierzulande grundsätzlich illegal, geregelt in Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs. Rechtswidrig, aber straffrei sind sie nur in Ausnahmefällen: zum Beispiel dann, wenn eine Pflichtberatung stattgefunden hat, eine Wartezeit von drei Tagen eingehalten wurde und die Schwangerschaft in den ersten zwölf Wochen abgebrochen wurde. Nicht rechtswidrig ist der Abbruch außerdem, wenn eine Gefahr für das Leben der Schwangeren besteht oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustands abgewendet werden muss.

Wer bezahlt Abbrüche derzeit?

In den weitaus meisten Fällen zahlt die ungewollt Schwangere. Von der Krankenkasse werden die Kosten nur in denjenigen Ausnahmefällen übernommen, in denen der Abbruch rechtmäßig ist: wenn also die ungewollt Schwangere aufgrund von Vergewaltigung schwanger wurde oder ihr Leben in Gefahr ist. Bei rechtswidrigen, aber straffreien Abbrüchen übernehmen die Kassen zwar nicht die Abbrüche selbst, aber Rahmenleistungen wie Beratung oder Versorgung mit Medikamenten. Einen Antrag auf Kostenübernahme kann zudem stellen, wer als „sozial bedürftig“ gilt. Die Kosten übernimmt dann das jeweilige Bundesland.

Wie ist der Passus zur Kostenübernahme zustande gekommen?

Klar ist: Der Satz kam erst in letzter Minute in den Koalitionsvertrag. In einer vorherigen Fassung, die der taz vorliegt, ist von Kostenübernahme noch nicht die Rede. Ob VerhandlerInnen der SPD die neue Formulierung strategisch in den Vertrag verhandelten oder nicht wussten, welchen Sprengstoff sie bergen könnte, dazu gehen die Meinungen auseinander. Den SpitzenverhandlerInnen der Union war jedenfalls offensichtlich nicht klar, was sie da abnickten – denn der Paragraf 218 ist für die Union zentral.

Was sagt Friedrich Merz?

Bei der Bundespressekonferenz am Freitag sagte Merz: „Was im Koalitionsvertrag verabredet worden ist, soll kommen. Da macht niemand Abstriche.“ Welche Rechtsfolgen das habe, möglicherweise auch auf den Paragrafen 218, könne er nicht abschließend beurteilen. „Ich will nur darauf hinweisen, dass das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Deutschland davon ausgeht, dass es rechtswidrig ist, aber unter bestimmten Umständen straffrei bleibt. Ob diese Konstruktion geändert werden muss, wenn wir im Sozialrecht und im Krankenkassenrecht etwas ändern, vermag ich im Augenblick nicht zu beantworten.“

Was sagen andere?

Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministerium unter Nina Warken (CDU) sagte am Montag, der Koalitionsvertrag sei Richtschnur für die Reformvorhaben der Bundesregierung. Die Beratungen über besagten Passus seien innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen. Konkrete Gesetzesinitiativen gebe es noch nicht.

„Kassenleistungen sind nur möglich, wenn die Leistung, also in dem Fall der Schwangerschaftsabbruch, legal ist“, sagte hingegen eine Sprecherin von Doctors for Choice der taz. „Im Umkehrschluss heißt das: Wenn eine Kostenübernahme durchgesetzt werden soll, muss vorher legalisiert werden.“

Ein Sprecher des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen GKV sagte der taz: Wie genau die im Koalitionsvertrag angesprochene Erweiterung aussehen soll, sei derzeit völlig unklar. Daher könne man zu einer möglichen Ausgestaltung nichts sagen. Grundsätzlich, so der Sprecher, wäre es möglich, dass der Gesetzgeber die GKV verpflichtet, Kosten für den Schwangerschaftsabbruch zu übernehmen. Hierbei sei aber eben der rechtliche Rahmen zu berücksichtigen.

Was bedeutet all das politisch?

Vor der Causa Brosius-Gersdorf zweifelte kaum jemand daran, dass der Paragraf 218 für diese Legislatur unangetastet bleiben würde. Nun aber ist klar: über den Passus der Kostenübernahme hat die SPD zumindest einen Hebel, die Legalisierung von Abbrüchen in der Frühphase auf die Tagesordnung zu setzen. Nach der Art und Weise, wie in den vergangenen Wochen mit der von ihr nominierten Brosius-Gersdorf umgegangen wurde, ist zumindest möglich, dass sie das nachdrücklicher verfolgt, als es sonst der Fall gewesen wäre.

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